Das gab es bei den Filmfestspielen in Venedig noch nie. Ein nackter Rücken sorgte für Diskussionen, ausgerechnet. Dass Schauspielerinnen in rückenfreien Kleidern über den roten Teppich laufen? Völlig normal. Jene großen Kleider sind fester Bestandteil der weiblichen Abendgarderobe. Schon Lauren Bacall oder Audrey Hepburn trugen in den 1950er-Jahren rückenfreie Kleider.

Am Wochenende allerdings legte ein Mann seinen Rücken frei. Der Schauspieler Timothée Chalamet erschien anlässlich der Premiere des Films "Bones and All" in einem weinroten, rückenfreien Neckholder-Top und einer Hose (oder war es doch ein Overall?) des Designers Haider Ackermann. Die Bilder vom roten Teppich verbreitete sich schlagartig auf Social Media: Schaut mal, der Timothée! Der bloße Rücken seiner Kollegin Taylor Russell (in Balenciaga) daneben? Interessierte kaum jemanden.

Rückenansichten: Jene von Timothée Chalamet schlug Wellen, das Outfit seiner Kollegin Taylor Russell blieb weitestgehend unbeachtet.
Foto: IMAGO/Thomas Bohlen/Starface

Nun könnte man meinen, dass ein solcher Auftritt heute keine Meldung mehr wert ist. Es haben schließlich einige Prominente Vorarbeit geleistet: Lars Eidinger kam zur Premierenfeier nach der Eröffnung der Salzburger Festspiele in einem Kleid, Brad Pitt führte unlängst in Berlin vor, dass auch ein Endfünfziger aus Hollywood Rock tragen kann. Zumindest ab und an.

Liebling der Kameras: Timothée Chalamet bei den Filmfestspielen Venedig.
Foto: Vianney Le Caer/Invision/AP

Der halb entblößte Oberkörper aber blieb bislang unangetastet. Selbst Harry Styles, einer der modisch experimentierfreudigsten heterosexuellen Popstars, kam noch nicht auf die Idee, Schulterblätter und Rücken zu zeigen. Nun hat sie ihm Timothée Chalamet weggeschnappt.

Welchen Wirbel er mit seinem Auftritt im Internet auslösen würde, dürfte der 26-jährige Schauspieler geahnt haben. Schon im Frühjahr war der "skinny white boy" zu den Oscars mit nacktem Oberkörper erschienen. Darüber hängte er nicht mehr als eine Smokingjacke aus der Frauenkollektion von Louis Vuitton: Kein "Best of Red Carpet" kam ohne den 26-Jährigen aus.

Die Generation Z dürfte der Aufregung mit einem Schulterzucken begegnen. Der US-Amerikaner inszeniert sich so wie viele Mittzwanziger auf den Social-Media-Plattformen: sexy und ohne Angst vor althergebrachten Rollenbildern. Daran werden wir uns ein Beispiel nehmen. Der nächste Auftritt von Chalamet wird kein Anlass mehr für eine Kolumne sein, versprochen. (feld, 7.9.2022)