Drama auf dem Autofriedhof: Calixto Bieitos nicht unumstrittene "Carmen"-Inszenierung.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Eine Sommergrippe! Groß war der Schreck, als Direktor Bogdan Roščić am Dienstagabend nach der Pause einer bis dahin sternstundenartigen Aufführung von Bizets Carmen auf die Bühne der Wiener Staatsoper trat, um zu verkünden, die Protagonistin Elīna Garanča sei leider indisponiert, werde aber die weitaus anstrengenderen beiden folgenden Akte dennoch zu Ende singen.

Zu hören war von einer solchen (oder überhaupt irgendeiner) Einschränkung freilich davor und danach nichts. Ganz im Gegenteil: Wie stets bei Garanča bilden die verkörperte Figur und vokaler Ausdruck eine Einheit – eine absolute Ausnahmeerscheinung, deren voller Mezzo immer noch facettenreicher zu werden scheint. Das Verführerische der Rolle ist überreich präsent, aber dazu kommt ein schier unausschöpfliches Gefühlsspektrum von Ausdruckslosigkeit und spöttischer Kälte bis zum entsetzten Schrei. Ein Psychogramm unter der akustischen Lupe.

Direkte Emotionalität

An ihrer Seite ist Don José Piotr Beczała – an sich mehr großer Sänger als großer Darsteller – neben seiner perfekten Technik und unerschütterlichen Strahlkraft in beeindruckender Weise Dramatik und direkte Emotionalität zugewachsen. Dirigent Yves Abel sorgt währenddessen für vitales Lokalkolorit und viel Schwung. Unter den Rollendebüts bildet Roberto Tagliavini (Escamillo) eine beeindruckende Erscheinung, stimmlich auftrumpfend, aber auch etwas instabil irrlichternd. Slávka Zámečníková ist eine makellose herzerweichende Micaëla.

Man könnte die Inszenierung von Calixto Bieito in manchem kritisieren und sie auch als auf etwas verschrobene Weise konventionell bezeichnen. Die finale letale Begegnung des zentralen Paars auf leerer Bühne ist beklemmend realistisch. Großes Operntheater. (daen, 7.9.2022)