Eigentlich sollte er in wenigen Wochen seinen Urteilsspruch entgegennehmen, nun ist er auf der Flucht: Leonard Glenn Francis, Beschuldigter im wohl größten Korruptionsfall in der Geschichte der US-Marine, entkam am Sonntag aus dem Hausarrest. Bei einer Überprüfung fand die Polizei von San Diego Francis' Anwesen leer vor, nun wird nach ihm gefahndet.

Leonard Glenn Francis, genannt "Fat Leonard", wurde nach seiner Flucht am Wochenende von den US Marshals zur Fahndung ausgeschrieben.
AP

Francis, der wegen seines starken Übergewichts in den USA den Spitznamen "Fat Leonard" verliehen bekam, hat eingeräumt, bis zu seiner Verhaftung 2013 über mehrere Jahre hinweg in großem Stil hohe Beamte der US-Marine bestochen zu haben, um seiner Logistikdienstleistungsfirma Glenn Defense Marine Asia Vorteile zu verschaffen. Konkret ging es dabei um die Beschaffung geheimer Informationen über Bewegungen von Marineschiffen in Südostasien, wo Francis‘ Firma in mehreren Häfen operierte.

Marinemitglieder änderten Schiffsrouten

Mithilfe dieser Informationen beschaffte sich Francis, selbst malaysischer Staatsbürger, Aufträge etwa zur Beladung und Betankung von Marineschiffen unter anderem in den Häfen von Singapur, Tokio, Bangkok und Manila. Dazu lenkten gekaufte Marineangehörige sogar eigens Schiffe in die entsprechenden Häfen um. Francis‘ Firma erhielt für ihre Dienstleistungen hohe Bezahlung über Gebühr und soll außerdem Rechnungen gefälscht und Subunternehmen vorgetäuscht haben, um für nie erbrachte Leistungen entlohnt zu werden. Das berichtete 2016 die "Washington Post".

Um das zu ermöglichen, schmierte Francis, wie er nach seiner Verhaftung gestand, Marineoffizielle mit insgesamt etwa einer halben Million Euro Bargeld, Luxusreisen, Prostituierten und ausschweifenden Partys. Im Lauf der Ermittlungen gestanden mehrere Marineoffizielle, derartige Bestechungen angenommen zu haben. Laut einem namentlich nicht genannten Mitglied der amerikanischen Staatsanwaltschaft soll deshalb insgesamt gegen über 200 Personen ermittelt worden sein, so die "Washington Post".

Flucht wäre fast unbemerkt geblieben

Trotz des immer wieder aufkommenden Verdachts konnte Francis sein System jahrelang am Laufen halten. Seit 2006 wurden 27-mal Ermittlungen gegen Francis‘ Firma eingeleitet, die allerdings allesamt wegen mangelnden Erfolgs eingestellt wurden. 2013 schließlich gelang es der Bundespolizei, den kriminellen Geschäftsmann unter dem Vorwand eines Treffens mit geschäftswilligen Admirälen nach San Diego zu locken und dort in einem Hotel festzunehmen.

Obwohl es sich bei dem Fall um einen der größten Korruptionsskandale in der Geschichte des US-Militärs handelt, wäre Francis' Flucht am vergangenen Wochenende den Behörden fast entgangen. Obwohl in den vorangegangenen Tagen laut Nachbarn sogar mehrere Umzugswägen in der Einfahrt des Hauses geparkt haben sollen, wurde die für Francis' Überwachung zuständige Behörde erst stutzig, als der Sender seiner Fußfessel eine Unregelmäßigkeit meldete.

Zur Fahndung ausgeschrieben

Daraufhin begaben sich zunächst die Verteidiger des Beschuldigten zu der Adresse. Nachdem ihre Kontaktversuche mittels Klopfen und Absenden von Nachrichten erfolglos blieben, riefen diese schließlich die Polizei, wie die "San Diego Union Tribune" als Erste berichtete. Francis hatte sich seiner Fußfessel entledigt und das Anwesen verlassen. Laut CNN soll das Gerät in einer Kühlbox gelegen sein.

Wie der US Marshals Service in San Diego über Twitter bekanntgab, wird Francis nun wegen Verstoßes gegen die Auflagen seiner Unterbringung außerhalb einer U-Haftanstalt gesucht. Diese war wegen seines schlechten Gesundheitszustandes genehmigt worden.

Sollte er versuchen, über einen amerikanischen Flughafen auszureisen, würden die Behörden sofort darüber informiert, so der zuständige US Marshal, Omar Castillo, gegenüber "CNN". Außerdem sei auch die mexikanische Polizei für den Fall, dass Francis in das südliche Nachbarland der USA auszureisen versucht, informiert worden. (Thomas Fritz Maier, 7.9.2022)