Als es Karl Nehammer im ORF-Sommergespräch zu bunt wurde mit diesen Vorhalten über politische Sünden der ÖVP und als der Rückgriff auf das Strafrecht als einzige Grenze auch nichts half, sprach er: "Wer legt fest, was Moral ist? Wer sagt, was gerade ethisch ist?"

Bundeskanzler Karl Nehammer im ORF-Sommergespräch.
Foto: APA/EVA MANHART

Das ist ein bisserl schlampig formuliert von einem christdemokratischen Politiker. Vielleicht auch ein bisserl schlampig gedacht. Es muss ja nicht gerade der kategorische Imperativ von Immanuel Kant sein, wonach man seine Handlungen immer so ausrichten möge, dass sie Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnten. Etwas viel verlangt vielleicht.

Aber der Katholik Nehammer müsste eigentlich auch das "sittliche Naturgesetz" kennen, nämlich dass Menschen fähig sind, im Lichte der Vernunft ein moralisch richtiges Handeln zu erkennen und umzusetzen.

Man könnte aber auch so altmodische (und durchaus schillernde) Begriffe wie "politischer Anstand" heranziehen – etwa in dem Sinn, dass man bestimmte Dinge einfach nicht tut: Wahlkampfkosten krass überziehen, gefälschte Umfragen mit Steuergeld bezahlen, Ressentiments gegen Migranten schüren und sich mit einer menschenfeindlichen, rechtsextremen Partei zusammentun.

Kurzum, das weiß man schon selbst. Aber wenn einer der Bundeskanzler ist und den moralischen Relativismus propagiert, dann ist das auffällig. (Hans Rauscher, 8.9.2022)