Es muss schon etwas Einschneidendes passieren, damit Maßnahmen der Regierung von allen Seiten des politischen Spektrums gleichermaßen kritisiert werden. Bei der am Mittwoch im Ministerrat beschlossenen Strompreisbremse war es so. Durch die Bank wird der türkis-grünen Koalition angelastet, abermals mit der Gießkanne Geld zu verteilen und Anreize zum Energiesparen zu vereiteln.

Der Chef des Fiskalrates, der über den Budgetpfad wachen soll, Christoph Badelt, spricht angesichts der Ausgestaltung des Modells von der "zweitbesten Lösung". Es musste etwas getan werden, sagt Badelt. "Aber ich bin schon enttäuscht, dass es nicht gelungen ist, zielgerichtetere Förderungen auf den Weg zu bringen. Wir geben viel Geld aus für Menschen, die es nicht unbedingt brauchen. Das werden wir uns auf Dauer nicht leisten können." Die Ausrede, dass es der Bund wegen der Eile nicht geschafft habe, eine Datenbank aufzubauen, in der Melde- und Einkommensdaten verknüpft werden, um gezielter Hilfen auszuzahlen, will er nicht gelten lassen. "Dieses technische Problem ist seit einem halben Jahr bekannt", sagt Badelt zum STANDARD.

Den fehlenden Aufbau einer Datenbank thematisiert auch Ökonom Michael Böheim vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im ZIB 2-Interview am Mittwoch. Da die Strombremse derzeit bis 2024 geplant sei, könnte man die Zeit nutzen, sich Gedanken darüber zu machen, ob eine Datenverknüpfung bis dahin nicht doch möglich wäre. "Wir sollten es probieren, anstatt von vorneherein zu sagen, dass es nicht geht", sagt Böheim. Weiters sieht der Ökonom bei dem, bei 40 Cent angesetzten, oberen Schwellenwert die Gefahr, dass Energiekonzerne dies künftig als Anreiz sehen könnten, die Preise erneut zu erhöhen. Stromkundinnen und -kunden hätten wenig Möglichkeiten auszuweichen, Energieanbieter könnten die Preise schleichend anheben.

Die lange erwartete Strompreisbremse kommt, und sie wird nicht billig. Applaus erntet die Regierung für die Maßnahme kaum.
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Untypische Einigkeit

"Die Überförderungen während der Corona-Pandemie sind noch brandaktuell, da packt der Staat die Gießkanne aus und macht denselben Fehler schon wieder", sagt Marcell Göttert vom unternehmernahen Thinktank Agenda Austria. Die soziale Treffsicherheit liege fast bei null. Göttert hätte Einmalzahlungen für einkommensschwache Haushalte bevorzugt. "Der Bevölkerung wird vorgegaukelt, man könnte die Probleme für alle ohne Folgen abfedern, das geht aber einfach nicht. Entweder zahlen wir bald höhere Steuern, oder die langfristigen Schulden steigen weiter."

Auch das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut argumentiert ähnlich. Die schnelle Entlastung sei positiv zu beurteilen, die fehlende Differenzierung, wie etwa bezüglich der Haushaltsgröße, führe jedoch zu mangelnder Treffsicherheit. Gleichzeitig gehe der Anreiz zum Stromsparen teilweise verloren. Chefökonom Oliver Picek zufolge sollte ein 50-prozentiger Preiszuschlag anfallen, wenn pro Person mehr als 3.600 Kilowattstunden verbraucht werden – mit Ausnahmen für Wärmepumpen. Finanziert werden solle die Idee über eine "Übergewinnsteuer für Stromkonzerne". Besagte Übergewinnsteuer zur Gegenfinanzierung fordert auch die Arbeiterkammer Wien. Man lehne es ab, Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sich die Strompreise selbst bezahlen zu lassen.

Weg von der Ursprungsidee

Das Wifo war einer der Ideengeber für die Strompreisbremse, was hält Institutschef Gabriel Felbermayr von dem Regierungsvorhaben? Dass der Staat hier noch einmal Geld in die Hand nehme und dabei "klotzt und nicht kleckert", sei prinzipiell sinnvoll, sagt Felbermayr im STANDARD-Gespräch. Die Strompreisbremse sei auch die erste echte Antiteuerungsmaßnahme der Regierung, weil mit ihr tatsächlich die Verbraucherpreise etwas gesenkt werden dürften.

Aber: "Dass in dem Vorhaben die Größe der Haushalte bei der Förderung zunächst keine Rolle spielt, zerstört in Teilen unseren Vorschlag. Das ist ein zentrales Problem", so Felbermayr. Das habe zur Folge, dass bei vielen Haushalten 100 oder sogar 120 Prozent der Stromkosten abgedeckt würden. Anreize, Energie zu sparen, gingen damit natürlich verloren, schließt sich Felbermayr dem Gros der anderen Kritiker an.

Zu viele Kosten gedeckt

Aufhorchen lässt Felbermayr mit dem Vorschlag, die ab Oktober geplante CO2-Steuer zum Teil zu verschieben. Das Signal, dass wir uns von fossilen Brennstoffen verabschieden müssen, sei wichtig, auch unabhängig vom Ukraine-Krieg. Jener Teil der Steuer, der auf Sprit anfalle, sollte daher auf jeden Fall jetzt wie geplant kommen, sagt Felbermayr. Bei jenen Menschen, die mit Gas heizen, jetzt im Winter auch noch eine Steuer draufzuschlagen, sei allerdings eine "Zumutung", diese Abgabe könnte also noch einmal ausgesetzt werden.

Eine solche Teilverschiebung wäre auch eine Kompromissmöglichkeit für die türkis-grüne Koalition, die ÖVP sieht ja die Steuer kritisch, die Grünen pochen darauf.

Zufrieden zeigten sich die Sozialdemokraten, zumindest inhaltlich, allerdings komme die Maßnahme zu spät. Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl pochte wie die Gewerkschaft auf eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen zur Gegenfinanzierung. FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach davon, dass die Bremse bloß "Symptombehandlung" sei, die der Dramatik der Preisentwicklung nicht gerecht werde. (Andreas Danzer, András Szigetvari, 7.9.2022)