Die einen gehen, die anderen kommen. Großbritannien mag mit dem EU-Austritt die Tür hinter sich zugeschlagen haben, was auch zu Verwerfungen bei gemeinsamen Forschungsvorhaben geführt hat. Doch vor dieser Tür wartet auch eine Reihe von Staaten, die mit ihrem bevorstehenden EU-Beitritt die Forschungslandschaft der Union bereichern werden. Die Rede ist von den sechs Westbalkanländern: Albanien, Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und dem Kosovo. Der Beitrittsprozess ist unterschiedlich weit fortgeschritten. Während etwa Montenegro bereits seit 2012 Beitrittskandidat ist, konnte der – noch nicht von allen EU-Staaten anerkannte – Kosovo noch keinen offiziellen Beitrittsantrag stellen.

Seit langem gibt es Bemühungen, die Staaten näher an die rechtlichen und administrativen Gepflogenheiten der EU heranzuführen – auch im Forschungsbereich. Hier startete heuer mit "Policy Answers" ein neues EU-Projekt, in dem 14 Partner in der EU und auf dem Westbalkan kooperieren, um Netzwerkbildung, politischen Dialog, Strategieentwicklung und Agendasetting für die Forschungsökosysteme der sechs Staaten zu fördern. Die Projektleitung liegt beim Wiener Zentrum für Soziale Innovation (ZSI), die österreichische Förderagentur FFG ist Partnerin im Projekt.

Die europäische Integration in den Ländern des Westbalkans ist unterschiedlich weit vorangeschritten, auch im Forschungsbereich. Im Bild: die Universität Sarajevo.
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Kooperation auf Augenhöhe

"Policy Answers baut auf einer Reihe von Vorprojekten auf", erklärt Projektleiterin Elke Dall vom ZSI. "Vertreter von Institutionen aus dem Westbalkan und von EU-Staaten wie Deutschland, Österreich, Italien oder Kroatien treffen sich dabei auf Augenhöhe, um herauszufinden, wie man besser kooperieren kann. Wir organisieren etwa Treffen von Ministern und Funktionären, helfen beim Aufbau von Infrastrukturen oder personellen Kapazitäten und organisieren ein Monitoring, das den Grad der Integration in die EU-Forschungslandschaft misst."

Ein Projektpartner ist die Universität Banja Luka in Bosnien-Herzegowina. Andjela Pepic, die hier für den Technologietransfer zuständig ist, arbeitet auch an Policy Answers mit. "Projekte dieser Art helfen uns, maßgeschneiderte Entwicklungsprogramme zu entwerfen – nicht nur in der Forschung, sondern auch im Management und in der Administration", sagt Pepic. Das sei vor allem in Bereichen notwendig, wo die Forschung nicht an Projekten der EU-Forschungsrahmenprogramme – aktuell Horizon Europe – Anteil hat. Denn durch den Zugang zu diesen EU-Projekten hat sich in den letzten 15 Jahren bereits viel getan.

Maßnahmen-Patchwork

Während es damals nur einzelne Projektbeteiligungen auf EU-Ebene gab, liege ihre Uni heute bei einer Erfolgsrate von 13 bis 14 Prozent der Einreichungen, betont Pepic – ein Wert, der bereits nahe am EU-weiten Schnitt von etwa 16 Prozent liegt. Die Forschungsmanagerin verweist auf eine Zunahme von Patenten, die aus der universitären Forschung entstehen, und eine vermehrte Rückkehr von Forscherinnen und Forschern aus dem Ausland. Unternehmerisches Denken werde etwa durch eine Onlineplattform gefördert, auf der Studierende ihre Businessideen erproben und spielerisch entwickeln können. "Es ist ein richtiges Patchwork an Maßnahmen, die die Forschungslandschaft attraktiver machen", resümiert Pepic.

Die Integration in die EU-Forschungslandschaft ist in den sechs Staaten sehr unterschiedlich weit fortgeschritten. Nordmazedonien, das seit 2020 EU-Beitrittsverhandlungen führt, verfügt etwa seit 2014 über eine moderne Forschungsförderungsgesellschaft, den Fund for Innovation and Technology Development. Policy-Answers-Partnerin Katarina Kreceva leitet hier die Abteilung für Programmentwicklung. Die Institution startete ursprünglich mit zwei Förderschienen, die auf Start-ups und die Kommerzialisierung von Innovationen abzielten. Das Angebot wird seitdem sukzessive ausgeweitet. Doch Kreceva und ihr Team erkannten auch bald, dass man noch früher ansetzen muss, um Bewusstsein für die Relevanz von Innovation in der Gesellschaft besser zu fördern.

"Wir sahen, dass das Bildungssystem nicht die Fähigkeiten vermittelte, um innovative Ideen kommerziell zu nutzen", erklärt Kreceva. "Wir haben deshalb ein Programm entworfen, das bereits in der Schule zu experimentellem Lernen und einer Karriere in der Forschung ermutigt." In den Projekten der jungen Forschenden entstanden etwa bereits neuartige Signalwesten für den Straßenverkehr oder solarbetriebene Boote.

Regionaler Austausch

Das Zugänglichmachen von Innovationsinfrastrukturen wie Fab-Labs mit 3D-Druckern und anderen technologischen Werkzeugen für Schüler, Studierende und Unternehmen wurde zu einem wichtigen Punkt der Förderarbeit. Die in den Programmen unterstützten Firmen nahmen über die Jahre stark zu. 500 Anträge kommen mittlerweile pro Ausschreibung herein, insgesamt 800 Unternehmen werden bereits gefördert.

"Wir sehen aber nicht nur die Fortschritte, sondern auch, wo wir als Forschungsökosystem noch dazulernen müssen", betont Kreceva, die im Rahmen von Policy Answers auch an einem stärkeren regionalen Austausch auf dem westlichen Balkan arbeitet. Auch für Nordmazedonien gilt: Je besser das Forschungsumfeld gestaltet ist, desto eher kann der Braindrain von Talenten ins Ausland gestoppt werden. (Alois Pumhösel, 10.9.2022)