Wien – Mit feiner Klinge haben Supermärkte mit ihren Lieferanten noch nie verhandelt. Seit die Preise für Lebensmittel stark steigen, arbeiten beide aber mehr denn je mit der Brechstange.

Zehn Prozent der Haushaltsausgaben fließen im Schnitt in den Kauf von Lebensmitteln. Rund ein Viertel davon landet im Müll.
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Die Lebensmittelindustrie kämpft mit explodierenden Kosten für Rohstoffe, Logistik wie Energie und will sie abgegolten wissen. Einzelhändler stehen wiederum in der Schusslinie der Konsumentenschützer und wollen sich von ihnen nicht zu Sündenböcken machen lassen. Denn deutlich teurere Einkaufskörbe sind in Zeiten der Krise politischer Zündstoff.

Die aufgeheizte Stimmung entlädt sich in Deutschland im Rauswurf mächtiger Marken aus den Regalen. Handelskonzerne verlangen von vielen Produzenten Preisgarantien, wogegen sich diese verwehren.

Eskaliert sind die Konflikte bei Edeka. Coca-Cola pochte auf Preiserhöhungen von bis zu elf Prozent, berichteten deutsche Medien. Der Handelsriese machte die Mauer. Der Getränkekoloss stoppte im September daraufhin seine Lieferungen. Auch Produktlinien von Danone, Henkel und Nestlé sollen in Filialen manch Diskonters mittlerweile fehlen. An ihre Stelle rückten günstigere Eigenmarken des Handels.

Trittbrettfahrer?

Hochrangige Handelsbosse werfen der Industrie einhellig Gier und Preistreiberei vor: Diese würde ihre Gewinne gleichsam als Trittbrettfahrer im Windschatten der Inflation zulasten der Kunden erhöhen.

Vor Preissteigerungen durch die Hintertür warnen die Verbraucherschützer und stellen Produkte mit geschrumpftem Inhalt bei gleicher Verpackungsgröße an den Pranger.

In Österreich gehe es in erster Linie bei Verhandlungen mit internationalen Markenkonzernen hart auf hart, präzisiert Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Statt wie bisher nur einmal im Jahr, forderten Hersteller heuer mitunter schon die fünfte Anpassung. Wobei vereinzelt auch ein kleinerer Lieferant so manche Preiserhöhung zu großzügig bemesse. "In Zeiten wie diesen müssen alle in den sauren Apfel beißen: Produzenten, Händler und Konsumenten", sagt Berkmann. Wir verzichten auf Marge, und das erwarten wir auch von unseren Lieferanten."

Für Handelsverbandschef Rainer Will wurden teils rote Linien überschritten, wenngleich abseits regionaler österreichischer Hersteller. Händler hätten dank ihrer Eigenmarken einen guten Einblick in die Kosten der Lebensmittelproduktion, erläutert Will. Doch wo maximal einstellige Preiserhöhungen realistisch gewesen wären, hätten einige globale Industrieriesen deutlich mehr als 20 Prozent eingefordert.

"Unbillige Polemik"

Die Industrie lässt die anhaltende Kritik nun nicht länger auf sich sitzen. Von unbilliger Polemik ist die Rede, die sehr wohl auch auf mittelständische Lieferanten abziele. "Der Handel tut so, als wehre er sich als Kleiner gegen riesige Konzerne", sagt Günter Thumser, Chef des Markenartikelverbands, im Gespräch mit dem STANDARD. Doch in Wahrheit deckten in Österreich drei große Händler mehr als 85 Prozent des gesamten Lebensmittelgeschäfts ab. "Es gibt hier kein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Keiner der hunderten Lieferanten kann es sich leisten, auf ein Drittel seines Umsatzes zu verzichten."

Fakt sei, dass die Preise für Lebensmittel in Österreich zwischen Juli 2021 und dem Frühjahr 2022 um drei Prozentpunkte unter der nationalen Teuerung blieben. "Landwirtschaft und Industrie haben höhere Kosten in den vergangenen Jahren zum größten Teil selbst abgefedert."

Die gewaltige Welle an finanziellen Belastungen, die auf die Branche seither zurollte, könnte diese aber nicht mehr bewältigen, sagt Thumser mit Blick auf erste Insolvenzen unter deutschen Anbietern von Eigenmarken für den Handel.

Kosten ufern aus

Die energieintensive Lebensmittelindustrie zahle für Gas zehnmal mehr als vor einem Jahr, rechnet Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Branchenverbands, vor. Die Stromkosten hätten sich versechsfacht. Simple Paletten verteuerten sich um das Eineinhalbfache, Container um bis zu 900 Prozent. Für Verpackung lege man 70 bis 80 Prozent mehr hin – von wichtigen Rohstoffen wie Zucker, dessen Preis sich verdoppelte, nicht zu reden. Zugleich kündigten sich weitere Auflagen an – von einer Kennzeichnung der Herkunft für Lebensmittel bis hin zu mehr recycelfähiger Verpackung, die allerdings gut das Dreifache der bisherigen koste.

Thumser macht Konsumenten keine Illusionen. Sie müssten sich im Laufe des Jahres auf weiter steigende Ausgaben für Nahrungsmittel einstellen. "Ohne Kostenstopp wird es keinen Preisstopp geben."

Dass der Handel anders als die Industrie unter mageren Margen leide, lässt er so nicht gelten. "Da werden Äpfel mit Nüssen verglichen." Wenn schon über Gewinne debattiert werde, wäre ein Blick auf jene der Vollsortimenter gut. "In den vergangenen zwei Jahren war keine andere Branche im Handel erfolgreicher."

Kein Körberlgeld

Gerald Hackl, Chef der Vivatis, die mit knapp einer Milliarde Euro Umsatz und 3400 Mitarbeitern zu den größten Lebensmittelproduzenten Österreichs zählt, hat den Handel mit zweistelligen Preiserhöhungen konfrontiert, wobei ein Teil davon in drei Schritten bereits umgesetzt wurde. Dass sich die Industrie ein Körberlgeld hole, weist er scharf zurück. Vivatis schultere heuer eine Mehrbelastung von gut 85 Millionen Euro – allein Speiseöl verschlinge 20 Millionen Euro mehr.

"Ein Viertel der Kosten bleibt an uns hängen", befürchtet Hackl. 2023 kämen auf Vivatis trotz aller Sparmaßnahmen zusätzliche 30 Millionen Euro für Energie zu. "Wir sind weit weg von zweistelligen Margen."

Konsumenten kauften verstärkt günstige Eigenmarken – Diskonter erhielten den Vorzug. Soll die Regierung die Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel senken? Hackl hält davon nichts. "Das wäre Gießkanne." Eine direkte Unterstützung von Geringverdienern sei vernünftiger.

Der Vivatis-Chef warnt davor, Supermärkte und ihre Lieferanten auseinanderzudividieren. Die Branche riskiere damit, Lebensmittelerzeugung im eigenen Land zu verlieren. An internationalen Investoren, die Appetit auf österreichische Marken hätten, fehle es nämlich nicht. (Verena Kainrath, 8.9.2022)