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Als der Shooter-Urvater Doom anno 1993 erschien, war ich neun Jahre alt. Wir spielten es damals heimlich auf einem 486er mit 50 Megahertz. An das Spiel selbst habe ich durch jahrzehntelange Shooter-Abstumpfung keine große emotionale Bindung. Aber da war die Musik. Das Intro At Doom's Gate hat sich wahrscheinlich in das musikalische Gedächtnis einer Generation eingebrannt, so auch in meines. Der Begleitsong war für uns Viertklässler das, was wir für richtig harte Klänge hielten. Das musste dieser sagenumwobene Heavy Metal sein, von dem damals die "Großen" redeten. Wir fühlten uns wie Metalheads, direkt aus dem Kultfilm Wayne's World von 1992.

Fast Forward, knapp 30 Jahre später: Die Neuauflage von Doom aus dem Jahr 2016 und Doom Eternal lebten für mich nur durch den Soundtrack: Harte Heavy Metal-Klänge trieben mich trotz wenig originellen Gameplays an, weiterzuspielen. Umso größer war meine Freude, als Metal: Hellsinger angekündigt wurde. Ein Spiel, das nicht Schrotflinte, Plasmakanone und BFG in den Vordergrund rückt, sondern harte Riffs und herzinfarktbeschleunigende Doublebass-Drums. All das verspricht das neueste Werk des Teams um David Goldfarb, dem Game Director von Payday 2 und Lead Designer von Battlefield 3 sowie Battlefield: Bad Company 2.

Ein Musikspiel auch für Taktlose

Dabei war ich anfangs skeptisch, denn Metal: Hellsinger beschreibt sich selbst als Rhythmus-Spiel. Trotz intensiver Liebe zur einschlägigen Musik hat sich bei mir nie ein großes Taktgefühl eingestellt – ich würde mich sogar als musikalisch absolut talentfrei bezeichnen, und schon beim Wippen mit dem Fuß gerate ich zielstrebig nach wenigen Sekunden aus dem Takt. Aber Metal: Hellsinger schafft es in den ersten Sekunden des Gameplays schon, die Bedenken zu zerstreuen.

Besonders originell sind die Bosse nicht.
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Die Prämisse wird wohl eher keine Preise abräumen: Als ihrer Stimme beraubter Dämonin müssen wir die Ebenen der Hölle durchqueren, uns zur Herrscherin, der "Roten Richterin" durchkämpfen und uns dabei Horden ihrer dämonischen Schergen entledigen.

Das funktioniert aber nur, wenn wir diese Dämonen auch im Viervierteltakt über die Klinge springen lassen. Also schießen wir Feuerbälle ab, laden die Doppelrevolver durch oder packen die Schrotflinte aus. All das muss im Takt zur Musik geschehen, ansonsten richtet unser infernales Arsenal keinen Schaden mehr an, und wir könnten genauso gut mit abgebrochenen Drumsticks um uns werfen. Aber nicht nur das Schießen, auch das Nachladen und Ausweichen müssen perfekt zum Rhythmus passen, damit ausreichend Wut generiert wird. Dieser Zähler erhöht den Schaden bis zum 16-Fachen, was natürlich das Spieltempo erhöht. Schwächen wir stärkere Gegner ausreichend, rast die Spielfigur per Tastendruck auf sie zu und führt einen "Glory Kill" aus. Ja, richtig gelesen, Metal: Hellsinger bedient sich großzügig beim geistigen Vorbild von id-Software.

Das Metal-Staraufgebot

Ein sprechender Totenkopf mit der Stimme von Troy Baker, der schon Pagan Min in Far Cry 4 und Sam Drake in Uncharted vertonte, begleitet uns dabei und setzt die für Ego-Shooter üblichen ironischen Sprüche ab. Der Totenschädel ist es auch, der uns die Story näherbringen soll, aber die überhöre ich im Rausch des Metal ständig, schließlich bin ich hier zum Headbangen und nicht im Buchklub.

Das Line-up von Metal: Hellsinger erinnert an ein Festival und ist definitiv ein Schmankerl für Metal-Fans.
Foto: Funcom

Apropos Headbangen: Wer besser im Takt bleibt, schaltet auch mehr Tonspuren frei. Steht der Wut-Multiplikator auf der niedrigsten Stufe, hören wir lediglich Drums und Bassgitarre, nach und nach kommen klangliche Elemente hinzu bis bei der Maximalstufe der Gesang einsetzt. Musikalisch ist Metal: Hellsinger über jeden Zweifel erhaben. Den Entwicklern ist es gelungen, Genre-Größen wie Arch-Enemy-Sängerin Alissa White-Gluz, Matt Heafy von Trivium, Serj Tankian von System of a Down und Tatiana Shmayluk von der ukrainischen Band Jinjer vor das Mikrofon zu bekommen. Alleine dafür dürfte das Spiel für Metal-Fans einen Kauf wert sein.

Kopf aus und treiben lassen

Genau da kommt aber ein wenig Frust auf: Ist ein Bereich von Gegnern gesäubert und der Wut-Zähler nach oben getrieben, steht plötzlich eine Zwangspause bevor, der Zähler sinkt wieder, und damit verliert auch der Soundtrack an Reiz – dabei will ich doch den Metal hören! Aber diese Design-Entscheidung ist schon nachvollziehbar: Die Musik ist nicht nur Kernelement des Gameplays, sondern auch gleichzeitig Belohnung für gute Spieler-Performance, und die braucht man auch, will man in Metal Hellsinger bestehen.

Auch bei zahlenmäßiger Überlegenheit der Gegner gilt: Ruhe bewahren, Kopf ausschalten und von der Musik treiben lassen.
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Der Schwierigkeitsgrad ist durchaus knackig und bleibt man nicht absolut diszipliniert im Takt werden der namenlosen Dämonin schnell die Flügel gestutzt. Dazu kommt ein Element, das mich schon in der Doom-Reihe genervt hat: Gegner spawnen wie wild um die Spielfigur herum. Das ist besonders ärgerlich, wenn größere Monster im Rücken des Spielers auftauchen und man keine Chance hat, deren Treffern zu entkommen.

Will man die Dämonenhorden schneller aus dem Leben scheiden sehen, kann man sich Vorteile in "Marterungen" genannten Challenges freispielen. Die funktionieren ähnlich wie die Vorbilder aus – eh schon wissen – Doom. Wurden dabei beispielsweise 30 Monster getötet, ohne aus dem Takt zu kommen, erhält man einen Vorteil wie schnelleres Nachladen oder längere Wut-Zeit. Neu oder originell ist das alles nicht, aber es funktioniert.

Die Entwickler geben Tipps, wie man Metal: Hellsinger am besten spielt.

Metal: Hellsinger bemüht sich trotz der bestenfalls zweckmäßigen und klobigen Grafik sehr, ein feuriges Bühnenspektakel auf den Bildschirm zu zaubern: Flammenbälle zischen an der Spielfigur vorbei, Blitze zucken umher, und ständig muss per Doppelsprung und Dash ausgewichen werden. Auch hier gilt das Credo: nicht panisch werden, sondern auf den Takt achten. Das funktioniert übrigens am besten, wenn man nicht lange darüber nachdenkt und den Taktgeber rund um das Fadenkreuz ignoriert.

Tool gegen die Sound-Latenz

An der ersten Demo des Spiels wurde eine gewisse Latenz zwischen der Musik und den Eingaben bemängelt, was natürlich das Potenzial hat, das ganze rhythmusgetriebene Spielsystem über den Haufen zu werfen. Das kann ich im Test nicht bestätigen, im Gegenteil: Für Spielerinnen und Spieler mit Bluetooth-Kopfhörern und anderen Ausgabegeräten mit hoher Latenz haben die Entwickler ein eigenes Synchronisierungs-Tool entwickelt, das seinen Dienst hervorragend erfüllt.

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Jeder Level nimmt etwa zwischen fünfzehn und zwanzig Minuten in Anspruch. Zweimal kann man seine Dämonin im normalen Schwierigkeitsgrad wiederauferstehen lassen, ansonsten muss man sich wieder von vorne durch die Höllen-Ebene kämpfen. Diese sind leidlich abwechslungsreich in Szene gesetzt: Es gibt die üblichen Feuer-, Eis- und Postapokalypse-Level, die noch dazu streng linear verlaufen. Letzteres dürfte aber ebenfalls der Spielmechanik geschuldet sein, schließlich will man ja möglichst schnell und ohne Umwege zur nächsten Feindes-Horde. Schalter-Rätsel oder Plattform-Einlagen wären in einem Musikspiel arg fehl am Platz.

Fazit

Ist Metal: Hellsinger ein guter Shooter? Nein. Ist Metal: Hellsinger ein gutes Musikspiel für zwischendurch? Zur Hölle, ja! Der Vergleich mit den neuesten Doom-Ablegern ist trotz vielen eins zu eins übernommenen Ideen eigentlich ungerecht, denn diese gehören einem anderen Genre an. Für ein Spiel, das die Musik in den Vordergrund stellt, müssen andere Maßstäbe gelten als beim bis ins letzte Detail auf Hochglanz polierten Egoshooter. Metal: Hellsinger will ein Spiel für Metalheads sein, und dieses Ziel erreicht es mit Bravour.

Wer jetzt Lust auf lauwarmes Dosenbier, harte Klänge und feurige Bühnenshows verspürt, dabei eine ungewaschene Kutte trägt und den mit zwanzig ranzigen Festivalbändchen verzierten Arm zur Pommesgabel ausstreckt, für den ist Metal: Hellsinger eine uneingeschränkte Kaufempfehlung. Wer Heavy Metal für glorifizierten Lärm hält, wird wohl wenig Freude an dem Spiel haben, aber das ist gut so, denn es ist einfach nicht für jeden gemacht. Den Entwicklern von The Outsiders ist jedenfalls ein beeindruckendes Nischenprojekt gelungen, das nicht von allen geliebt werden will und auch nicht muss. Allein das muss man in einer immer langweiliger werdenden Branche anerkennen. (Peter Zellinger, 12.9.2022)