Ex-Kanzler Sebastian Kurz (links) und sein Nachfolger Karl Nehammer (beide ÖVP).

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Stellen Sie sich vor, Ermittler kämen zu Ihnen und überreichten Ihnen eine Sicherstellungsanordnung, weil es Verdachtsmomente gegen frühere Kolleginnen oder Mitarbeiter gibt. Sie lesen sich die Anordnung durch, überlegen kurz und sagen dann: Nein, dem leiste ich nicht Folge. Ich beschreite aber nicht den Rechtsweg, sondern gebe dem Staatsanwalt die Daten einfach nicht. Beim normalen Bürger wäre dann der Teufel los. So dreist wären aber auch die wenigsten.

Das Kanzleramt ist es. Es hat eine Anordnung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erhalten, Dokumente, E-Mails und Postfächer einiger Mitarbeiter zu übermitteln. Das hält man für zu unkonkret, die Sicherstellung also für rechtswidrig. Deshalb will man dort "Gespräche führen", also quasi mit der WKStA verhandeln. Ein Weg, den der Rechtsstaat nicht vorsieht und den das türkise Finanzministerium einst schon bei der Aktenlieferung Richtung U-Ausschuss probiert hat – und kläglich scheiterte, kam es doch zur Exekution einer höchstrichterlichen Entscheidung.

Die Krux mit den Löschungen

Man kann das Kanzleramt ja durchaus verstehen: Die Stimmung im Haus ist sicher nicht die beste, wenn Ermittler die E-Mails dutzender Mitarbeiter durchforsten. Es gibt da arbeitsrechtliche Bedenken, teils sollen private Informationen der Beamtenschaft in den E-Mails stecken. Die Betroffenen haben sich auch nichts zuschulden kommen lassen, vielmehr muss die WKStA aus ihrer Sicht auf diese E-Mails zugreifen, weil die beschuldigten Ex-Kanzleramtsmitarbeiter in der Umfragenaffäre viel gelöscht haben sollen. Über Umwege will man also deren Kommunikation rekonstruieren. Natürlich gibt es da Bedenken über den Umfang der Daten, die sichergestellt werden sollen: Manche Anwälte spekulieren sogar, dass die WKStA einfach versucht, in der Fülle an Dokumenten bislang unbekannte Verdachtsmomente zu finden – was verboten wäre.

Gleichzeitig muss man sich fragen, wovor man im Kanzleramt so große Angst hat: Was schreiben Beamte denn "Privates" in E-Mails, das bei Ermittlungen oder einer Lieferung an den U-Ausschuss so brisant wäre? Und warum wurde überhaupt von den Kanzlervertrauten so viel gelöscht?

Vertrauensverlust

Jedenfalls kann sich das Kanzleramt nicht einfach widersetzen. Die Optik ist verheerend, der Vertrauensverlust gegenüber der Justiz wird als Kollateralschaden akzeptiert. Das ist schon allein deshalb bedenkenswert, weil die handelnden Akteure ja selbst in den Ermittlungen vorkommen; der Generalsekretär im Kanzleramt, Bernd Brünner, war im erweiterten Kreis der Vertrauten von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Und Kanzler Karl Nehammer ist als ÖVP-Chef Obmann einer Partei, die nach dem Verbandsgesetz selbst in der Causa beschuldigt ist.

Richtig wäre es, der Sicherstellungsanordnung Folge zu leisten und dann Rechtsmittel dagegen einzulegen. So, wie es die Beschuldigten aus dem Kanzleramt in der Causa Inserate bereits gemacht haben – und damit übrigens krachend gescheitert sind. (Fabian Schmid, 8.9.2022)