Da schwebt noch eine Wolke über dem ORF-Zentrum: Auf ausgeglichene Ergebnisse 2022 und 2023 fehlen noch einige Millionen.

Foto: Harald Fidler

Wien – Lücken bei GIS-Meldungen und -Einnahmen, Teuerung, Energiepreise, schwierige Gehaltsverhandlungen: ORF-General Roland Weißmann wird seinem obersten Aufsichtsorgan kommende Woche berichten, wie es wirtschaftlich um Österreichs größten Medienkonzern mit rund einer Milliarde Euro Jahresumsatz steht.

Acht Millionen fehlen auf ausgeglichenes Ergebnis

Für 2022 fehlen nach STANDARD-Infos noch rund acht Millionen auf ein ausgeglichenes Ergebnis, vor dem Sommer waren es noch rund 13 Millionen. In den Budgetverhandlungen für 2023 sucht man noch Sparpotenzial für zweistellige Millionenbeträge – rund 30 Millionen Euro**.

23.000 GIS-Meldungen unter Plan

Der GIS gelang es nach STANDARD-Infos im ersten Halbjahr nicht, die seit Jahresbeginn verstärkten Abmeldungen mit Neuanmeldungen auszugleichen. Rund 23.000 Anmeldungen soll die GIS unter Plan liegen. Die GIS-Einnahmen sollen laut einer ORF-internen Quelle noch sechs Millionen Euro unter Plan liegen.

Ablaufdatum für GIS-freies Streaming

GIS-freier Streamingnutzung hat der Verfassungsgerichtshof im Sommer ein Ablaufdatum verpasst: Eine so wesentliche Nutzungsmöglichkeit ohne Programmentgelt sei verfassungswidrig, bis Ende 2023 muss der Gesetzgeber eine neue Regelung finden.

Werbung 2022 über Plan

In der aktuellen Prognose des ORF an den Stiftungsrat sollen die GIS-Einnahmen 2022 nur noch 200.000 Euro unter Plan liegen. Geplant waren rund 664* Millionen Euro im Gesamtjahr – aber noch mit einer Gebührenerhöhung ab März 2022, die schließlich schon einen Monat früher mit 1. Februar wirksam wurde. Der zusätzliche Monat hilft nun, die Budgetziele trotz höherer Abmeldungen einzuhalten.

Die Werbeeinnahmen des ORF sollen nach jüngster Prognose an den Stiftungsrat am Jahresende sogar rund fünf Millionen über Plan liegen, budgetiert waren knapp 211 Millionen Euro. Vor allem die Fernsehwerbung soll sich im ORF besser entwickeln als erwartet.

"Größte Herausforderungen seit der Weltwirtschaftskrise"

Thomas Zach, Vorsitzender des Finanzausschusses im Stiftungsrat, äußert sich nicht zu konkreten Geschäftszahlen. Aber er verweist auf STANDARD-Anfrage auf "die größten Herausforderungen seit der Weltwirtschaftskrise 2008/9". Die neue Geschäftsführung des ORF müsse zugleich "Versäumnisse vorangegangener Geschäftsführungsperioden aufholen und die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen lösen", sagt Zach, zugleich Sprecher der ÖVP-nahen Mehrheitsfraktion im ORF-Stiftungsrat.

Zach rechnet im Gespräch mit dem STANDARD nicht damit, dass das Budget für 2023 bereits kommende Woche "in trockenen Tüchern" ist, "das wäre vermessen angesichts der Gesamtlage".

Zach betont aber die Notwendigkeit "eines ausgeglichenen Budgets für 2023, um darauf aufbauend Schwerpunkte setzen zu können". "Das Hauptaugenmerk gilt der weiteren Digitalisierung und dem Programm." Er werde die Geschäftsführung darin bestärken, hier "jeden Handlungsspielraum zu suchen", sagt Zach.

Ausgeglichenes Ergebnis 2022 avisiert – und auch 2023

ORF-Generaldirektor Weißmann hat bereits vor dem Sommer angekündigt, dass der ORF das Jahr 2022 ausgeglichen abschließen wird, auch wenn damals noch rund 13 Millionen Euro fehlten. Dieses Ziel bekräftigte Weißmann nun nach STANDARD-Infos in einem Zwischenbericht an die Stiftungsräte – und ebenso das Ziel eines ausgeglichenen Ergebnisses 2023.

"Harte Zeiten"

Weißmanns Botschaft an die Stiftungsräte und wohl auch an die Belegschaft für Gehaltsverhandlungen: "harte Zeiten". Der ORF befinde sich wie die gesamte Wirtschaft in der schwierigsten Situation seit 2008/9, das Budget sei deshalb besonders schwierig mit noch fehlenden zweistelligen Millionenbeträgen bei Unsicherheiten wie den Gehaltsverhandlungen und der Werbeentwicklung. Er zeigt sich aber optimistisch für ein ausgeglichenes Budget und strategische Investitionen in Programm und jüngeres Publikum. Der ORF hält derzeit bei rund 30 Millionen, Sparpotenzial von 15 Millionen sei bereits identifiziert.**

"Jeden Euro umdrehen" will das ORF-Management in der aktuellen Lage, auch Strukturen hinterfragen, heißt es intern. "Alles wird hinterfragt", heißt es intern: "Gibt es Leistungen, die man besser über den Markt bezieht statt selber zu produzieren." Ausgliederungen werden nach STANDARD-Infos geprüft, ebenso Teilschließungen von Betriebsbereichen in der Zulieferung in mehreren Direktionen.

Umgekehrt werde aber auch geprüft, ob bisher dauerhafte Anmietungen nicht einfacher und womöglich günstiger mit Anstellungen zu bewerkstelligen wären.

Fast 600 Pensionierungen – Nachwuchs gesucht

Der ORF übermittelte den Stiftungsräten zudem eine Personalstrategie für die nächsten Jahre. Bis 2026 listet sie mehr als 570 potenzielle Pensionierungen auf – bei gut 3.100 Beschäftigten im ORF und mehr als 4.100 im Gesamtkonzern mit Tochterfirmen. Beinahe die Hälfte der Beschäftigten im ORF ist über 50 Jahre alt, nur fünf Prozent sind unter 30. Ende 2022 soll ein großes Recruitingprogramm beginnen, vor allem für multimediale Journalistinnen und Journalisten. Strategische Recruiting-Maßnahmen hat in den vergangenen Monaten vor allem Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) vielfach eingefordert.

"Digitalisierungswelle teilweise verschlafen"

Wenn Zach von Versäumnissen früherer Geschäftsführungen spricht, meint er vor allem die digitale Ausrichtung des gesamten ORF: "Nicht ohne Grund hat der Stiftungsrat – fraktionsübergreifend – in den Jahren vor 2021 gleich zweimal Sonderklausuren in Sachen Digitalisierung eingemahnt." Der ORF habe in den vergangenen Jahren "die zweite große Digitalisierungswelle der Medienbranche teilweise verschlafen und zu spät oder nur auf massives Drängen des Stiftungsrats reagiert". Das Gesamtunternehmen ORF müsse sich in seiner Struktur und seinen Arbeitsprozessen auf den digitalen Wandel einstellen – man könne hier "nicht auf den Gesetzgeber warten".

ORF-General Weißmann verhandelt (wie schon sein Vorgänger) mit Medienministerin, Grünen und vor allem privaten Medienhäusern über eine Digitalnovelle für den ORF. Und das bisher ohne greifbares Ergebnis, aber mit deutlichem Widerstand vor allem von Verlagshäusern, die maßgebliche Einschränkungen des Textangebots auf ORF On als Konkurrenz zu privaten Medien fordern.

Früh am Budget arbeiten

Schon in den vergangenen Jahren hat Stiftungsrat Zach darauf gedrängt, die Budgetprozesse frühzeitig zu starten, "und dabei bleiben wir, in so herausfordernden Zeiten profitieren wir davon", sagt er. Den ersten Bericht zum Budget 2023 habe der Stiftungsrat bereits im März erhalten, den zweiten im Juni, den nächsten gebe es nun kommende Woche.

Der Sprecher des bürgerlichen Freundeskreises, der die Bestellung der aktuellen ORF-Geschäftsführung 2021 maßgeblich bestimmte: "Ich hätte mehr Sorgenfalten auf der Stirn, wenn der ORF eine andere Geschäftsführung hätte. Mit diesem Team sind wir bestmöglich aufgestellt." (fid, 8.9.2022)