Die Differenz zwischen den Einkommen von Männern und Frauen ist in Österreich in ländlichen Gebieten größer, die Kinderbetreuung oft weniger mit Vollzeitjobs vereinbar, und der Zugang zu Gewaltschutz wie etwa Frauenhäusern ist auch schwieriger. Und Frauen reagieren darauf: Studien zeigen, dass eher Frauen strukturschwache Gebiete verlassen. Janine Heinz arbeitet für das Sora-Institut und hat sich im Rahmen einer Studie im Auftrag des Städtebunds die Lebensbedingungen von Frauen auf dem Land angesehen. Sie hat dabei auch auf weniger bekannte Bereiche fokussiert, die für Gleichstellung wichtig sind – etwa den öffentlichen Verkehr.
STANDARD: Eine Studie, an der Sie maßgeblich mitgearbeitet haben, zeigt geringere Chancen für Gleichberechtigung auf dem Land. Warum ist das so?
Heinz: Mir fällt es schwer zu sagen: Am Land ist es schlimmer. Manchmal habe ich den Eindruck, in Österreich wird Gleichstellung und wo sie gelingt als schicksalhaft beschrieben. Ganz nach dem Motto: "Na ja, am Land ist das eben so." Dabei sehen wir im Gleichstellungsindex, dass es auch ländliche Gemeinden gibt, in denen die Bedingungen für Gleichstellung gut erfüllt sind. Doch letztlich bringen Zahlen Klarheit, und die zeigen tatsächlich: Je mehr Einwohner:innen in einer Gemeinde leben, desto besser steht es auch um die Gleichstellung. Aber es gibt in ländlichen Gemeinden durchaus viele Schrauben, an denen man drehen kann – auch wenn viel von Finanzierungsfragen abhängig ist oder auch von der Anbindung an öffentlichen Verkehr. Hier muss man auch die Bundespolitik in die Pflicht nehmen.
STANDARD: Auffällig schlecht im Vergleich zu Wien ist die Kinderbetreuung in anderen Bundesländern.
Heinz: In Wien sind 91 Prozent der Kindergärten und 97 Prozent der Krabbelgruppen mit einer Vollzeittätigkeit vereinbar, im ländlichen Raum liegt der Anteil bei 13 Prozent bei den Kindergärten und 17 Prozent bei den Kinderkrippen. Das heißt: Am Land ist die Kinderbetreuung oft nicht mit einer Vollzeitbeschäftigung vereinbar. Die 15a-Vereinbarung regelt die Finanzierung der Einrichtungen zwischen Bund und Ländern, allerdings handelt es sich nur um eine Anschubfinanzierung, mit der der Bund Gelder an die Gemeinden ausschüttet. Aber die langfristige Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen ist nicht gesichert. Es geht also letztlich um politisches Handeln.
STANDARD: Wenn es um Kinderbetreuung geht, heißt es auf dem Land oft: Es gibt keinen Bedarf für längere Öffnungszeiten. Stimmt das?
Heinz: Es heißt tatsächlich oft, "wir hätten ja länger offen gelassen, aber es wurde nicht genutzt". Allerdings sind die Beobachtungsphasen oft zu kurz – man kann den Bedarf nicht schon nach einem Jahr beurteilen. Ein Problem ist auch die Messbarkeit, denn wir wissen gar nicht, wie viele Frauen bereits aus Gemeinden weggegangen sind, weil sie langfristig zu wenige Chancen gesehen haben. Und wir wissen auch nicht, wie viele Frauen deshalb gar nicht erst in eine Gemeinde ziehen, weil es dort kein Betreuungsangebot für Kinder gibt. Wir sehen jedenfalls in den Daten, dass in ländlichen Gemeinden junge Frauen stärker dort abwandern, wo die Kindergärten seltener mit einer Vollzeittätigkeit vereinbar sind und wo die Differenz zwischen männlicher und weiblicher Teilzeitquote hoch ist.
STANDARD: Die Entscheidungsträger:innen sind insbesondere in ländlichen Gebieten noch immer vorwiegend männlich. Gibt es deswegen keine Priorität für die Verbesserung einer Infrastruktur, die vorwiegend Frauen hilft?
Heinz: So eindeutig können wir das nicht bestätigen, im Umkehrschluss würde das ja bedeuten: Wo eine Frau Bürgermeisterin ist, steht es auch automatisch besser um die Gleichstellung. Wir konnten feststellen, dass ein hoher Frauenanteil im Gemeinderat Korrelationen mit vielen anderen Bereichen der Gleichstellung aufweist, zum Beispiel: Je höher die Qualität der Kinderbetreuung für unter Dreijährige, desto höher ist der Frauenanteil im Gemeinderat. Ob die Qualität der Kinderbetreuung einer Gemeinde höher ist, weil mehr Frauen in der Gemeindepolitik vertreten sind, oder ob mehr Frauen sich politisch engagieren können, weil die Kinderbetreuung im Ort besser ausgebaut ist, kann diese Analyse nicht beantworten. Man müsste radikal umdenken und alles, was auf Gemeindeebene passiert, auch unter dem Gender-Aspekt betrachten. Und man müsste sich ansehen, von welchen politischen Maßnahmen auf Gemeindeebene Frauen profitieren. Gender-Budgeting ist wichtig, auch infrastrukturelle Aspekte müssen aus der Geschlechterperspektive betrachtet werden.
STANDARD: Was bedeutet es für eine Gegend, wenn die Frauen abwandern?
Heinz: Das hat vielfältige Konsequenzen. Es entsteht eine Art Abwärtsspirale, wenn Frauen abwandern. Es fehlen nicht nur sie, sondern sie kommen auch nicht wieder zurück, um in ihrer alten Gemeinde eine Familie zu gründen. Es fehlen dann in den Gemeinden auch die Partner und die Kinder. Die Abwärtsspirale betrifft auch das soziale Miteinander. Diverse Zusammenkünfte oder Feste finden weniger statt, denn noch immer organisieren viel eher Frauen eine gemeinsame Freizeit. Und eine Abwanderung von Frauen wirkt sich sowohl kurzfristig als auch langfristig auf die finanzielle Situation der Gemeinden aus. Weniger Einwohner:innen bedeuten meistens auch weniger Einnahmen für die Gemeinde. Wenn man einmal dieses Plateau erreicht hat, wo Frauen abgewandert sind, dann sind sie weg, und es braucht ungleich viel Aufwand, damit sie wieder zurückkommen.
STANDARD: Welche Angebote bräuchte es?
Heinz: Ein grundlegender Aspekt ist die Kinderbetreuung. Bei der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen braucht es noch einiges an Aufwand. Auch bei den Kindergärten sind österreichweit nur vier von zehn mit einer Vollzeitbeschäftigung kompatibel. Zu viele Kinderbetreuungseinrichtungen haben zum Beispiel kein Mittagessen, ober sie sperren früher zu. Es ist zentral, auf Basics für Gleichstellung wie Kinderbetreuung und Gewaltschutz zu schauen.
STANDARD: Welche Maßnahmen hat man noch zu wenig auf dem Radar?
Heinz: Mobilität zum Beispiel. Frauen sind stärker auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, und sie haben generell ein anderes Mobilitätsverhalten, was auch viel mit ihren geringeren finanziellen Mitteln zu tun hat. Sie greifen stärker auf einen Mix aus verschiedenen Möglichkeiten zurück, etwa auf eine Mischung aus Fahrradfahren, Zu-Fuß-Gehen und öffentliche Verkehrsmittel. Wenn es etwa nur ein Auto im Haushalt gibt, dann nutzt das wahrscheinlicher der Mann. Die Qualität der öffentlichen Verkehrsmittel, also etwa wie oft Busse fahren, in Kombination mit Gehdistanzen zu den Haltestellen – all das ist auch sehr unterschiedlich je nach Bundesland. Letztlich geht es um eine Kombination aus mehreren Faktoren: Mobilität, gut ausgebaute Kinderbetreuung, eine Annäherung der männlichen und weiblichen Teilzeitquoten und mehr Frauen in politischen Ämtern im Gemeinderat sowie mehr junge Frauen in der Gemeinde. Wir müssen hier viel stärker ganzheitlich denken.
STANDARD: Inwiefern verhindern traditionelle Rollenvorstellungen Veränderung auf dem Land, die dort womöglich doch noch stärker ausgeprägt sind?
Heinz: Konkret erhoben haben wir das nicht, aber die kollektive Vorstellung davon, wie eine Frau zu sein hat, spielt natürlich mit hinein. Die Politik müsste hier eine deutliche Vorbildfunktion einnehmen und es als selbstverständlich erklären, dass wir etwa mehr Kinderbetreuung brauchen. Es gibt Forschung zu dem Thema, die zeigt, dass traditionelle Vorstellungen im persönlichen Umgang noch kein Problem sind, aber sehr wohl, wenn sie sich in den Strukturen verfestigen. Zum Beispiel in der Gemeindepolitik, wo Sitzungen oft nur am Abend stattfinden und teilweise ewig dauern. Sehr viel läuft in der Gemeindepolitik über einen informellen Austausch – und entsteht meist erst spätabends. Das erschwert Frauen den Zugang. (Beate Hausbichler, 8.9.2022)