Der österreichische Virologe Florian Krammer betont die Wirksamkeit vor Ansteckung bei den an Omikron angepassten Impfstoffen.

Foto: Sebastian Krammer

Das Nationale Impfgremium (NIG) hat diese Woche den vierten Stich für alle ab zwölf empfohlen und dabei darauf hingewiesen, dass man nicht auf das angepasste Vakzin warten müsse. Das hat für viel Unklarheit bei Impfwilligen gesorgt. Und selbst Fachleute sind sich nicht einig, ob es nicht womöglich sinnvoll ist, auf den angepassten Omikron-Impfstoff zu warten. Der österreichische Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York sagte jetzt, dass er "persönlich darauf warten würde".

Tatsächlich muss man auch nicht mehr lange warten. Bisher sind zwei bivalente Impfstoffe zugelassen, einer von Biontech/Pfizer und einer von Moderna. Bivalent bedeutet, dass der Impfstoff zur Hälfte das ursprüngliche Vakzin enthält, zur Hälfte ein an die Omikron-BA.1-Variante angepasstes. Dieses wird Ende dieser Woche geliefert und soll ab Ende nächster Woche in den Impfzentren zur Verfügung stehen, wie DER STANDARD berichtete.

Für Krammer macht es "wenig Sinn, sich jetzt den alten Impfstoff zu holen, wenn vielleicht in zwei Wochen der neue da ist". Der sollte auch in ausreichender Menge vorhanden sein. Laut Ministerium werden rund 750.000 Dosen von Biontech/Pfizer geliefert und rund 290.000 von Moderna. Das Vakzin ist ausschließlich für den Booster, also den vierten Stich zugelassen.

Zu spät bei steigenden Fallzahlen

Diese Information sei wichtig, sagt Krammer, denn die aktuell in Österreich sinkenden Fallzahlen könnten im Verlauf des Herbstes wieder ansteigen. Die momentane Situation wäre somit eine gute, um durch den Booster künftige Wellen abzumildern, auch weil gerade das empfohlene Zeitfenster nach der dritten Impfung bei einigen jetzt ausläuft. Viele Menschen seien aber verunsichert, wie es im Impfschema weitergehen soll und welches Vakzin sie nehmen sollen und können. Das Problem sei, dass die Nachfrage vermutlich erst wieder steigen wird, wenn die Fallzahlen hoch sind: "Das ist halt dann fast zu spät."

Dass die neuen Vakzine auf die Omikron-Untervariante BA.1 und nicht an das aktuell vor allem kursierende BA.5 angepasst sind, mache natürlich einen Unterschied, was die Schutzwirkung betrifft. Dennoch ist sich Krammer sicher: "Es wäre besser, wenn man diesen Impfstoff bekommt als nochmals den alten Impfstoff." Weil sorge sich jemand um seinen Schutz und greife nun zum herkömmlichen Vakzin, müsse er dementsprechend lange warten, bis eine erneute Impfung mit dem angepassten Vakzin Sinn macht.

Wer sich jetzt schon mit dem alten Impfstoff die vierte Impfung holt, steigert laut umfassenden Studien zwar den Schutz vor symptomatischer Infektion für ein paar Wochen, dieser sinke aber auch schnell wieder ab. Der Schutz vor schwerer Infektion sei aber ohnehin gegeben. Krammer erklärt: "Was jetzt wichtig wäre, ist lange anhaltender Schutz vor symptomatischen Infektionen mit Omikron und seinen kursierenden Untervarianten. Da wirkt der angepasste Impfstoff vermutlich besser."

Übergang zu nichtpandemischer Zeit

Untersuchungen aus Portugal würden auch zeigen, dass Durchbruchsinfektionen mit BA.1 oder BA.2 "in etwa einen 75-prozentigen Schutz vor BA.5 bringen", erklärte Krammer. Auch wenn im Sommer eine BA.5-Infektion durchgemacht wurde, sei der Schutz für einige Monate vermutlich recht hoch: "Das heißt aber nicht, dass es nicht bei einzelnen Personen zu Reinfektionen kommt." Die optimale Strategie im Umgang mit der Impfung sei mittlerweile zu einer komplexen Sache geworden, in die die eigene Infektions- und Impf-Historie stark einfließt.

Die Empfehlung des NIG, das vorgesehene Impfschema auch bei Personen anzuwenden, die bereits eine oder mehrere Infektionen mit Sars-CoV-2 durchgemacht haben, teilt Krammer nicht: "Ich würde jede Durchbruchsinfektion als Booster zählen." Nicht vergessen dürfe man hier allerdings, dass jede Infektion ein gewisses Risiko – auch auf Long Covid – in sich berge.

In vielen Ländern waren die jüngsten BA.4- und BA.5-Wellen geprägt von vielen Fällen und Spitalseinweisungen, aber relativ wenigen Covid-19-Toten. "Das weist schon darauf hin, dass hier eine große Grundimmunität besteht und die Leute einen relativ guten Schutz bekommen. Wir stehen schon am Übergang zu einer nichtpandemischen Zeit in gewisser Weise. Die Frage ist, wo sich das jetzt einpendelt und wie schwer die Wellen im Winter sein werden", sagt Krammer.

Derzeit keine Gefahr von neuen Varianten

Nicht vergessen sollte man, dass ein größeres Comeback der Influenza zuletzt ausgeblieben ist. Das könnte diese Saison anders sein, Australien etwa hatte in seiner Wintersaison eine relativ schwere Grippesaison mit der H3-Variante. Das könnte das Gesundheitssystem auf der Nordhalbkugel im Winter und Frühling durchaus belasten.

Die Corona-Impfung vereinfachen und auch effizienter machen sollen nasal verabreichte Vakzine. Die ersten sind bereits in Asien zugelassen, und auch ein Team um den ebenfalls an der Icahn School of Medicine tätigen österreichischen Forscher Peter Palese entwickelt und testet derzeit einen derartigen Impfstoff. Krammer betont: "Wir treiben das weiter voran, und ich denke, das macht auch Sinn", denn gerade Nasal-Impfstoffe verheißen einen guten Infektionsschutz in den oberen Atemwegen. Dass die nun in China oder Indien neu zugelassenen Vakzine auch in Europa auf den Markt gelangen, glaubt Krammer aber nicht.

Wie es in Bezug auf neue Varianten weitergehen könnte, sei naturgemäß offen. Unter den aktuellen Omikron-Subtypen dominiert nach wie vor BA.5, man müsse allerdings ein Auge auf BA.2.75 haben. Aktuell gibt es diese Subvariante auch in Österreich, aber es sind nur vereinzelte Fälle, die sich nicht relevant ausbreiten. Die bisherige Pandemie habe aber gezeigt, dass immer wieder neue Varianten "plötzlich auftauchen können, die dann das Infektionsgeschehen übernehmen". (APA/jaa, 08.09.2022)