"Alle Maßnahmen, die wir als Universitäten ergreifen können, sogar wenn wir strukturelle Schäden in Kauf nehmen, werden nicht ausreichen", warnt die Präsidentin der Universitätenkonferenz Sabine Seidler im Gastkommentar.

Auch Forschung und Lehre geraten durch die Teuerung unter Druck. An den Universitäten wie der TU Wien werden derzeit Sparpotenziale analysiert.
Foto: Heribert Corn/https://www.corn.at

Es ist endlich an der Zeit, optimistisch in ein neues Studienjahr zu blicken, nicht mehr über Maskenpflicht und Mindestabstände, über 2G oder 3G zu sprechen, sondern über das, worum es an den Universitäten eigentlich geht: junge Menschen mit Kompetenzen auszustatten, die sie befähigen, den kritischen Veränderungen all unserer Lebensbereiche kreativ und lösungsorientiert zu begegnen; Forschung zu betreiben, die jene Erkenntnisse liefert, die entscheidend dafür sind, wie wir in den nächsten Jahrzehnten leben werden.

Neue Lehre, neues Lernen

Lehren und Lernen haben sich während der Corona-Zeit verändert, und dies wird den Studierenden in diesem Studienjahr zugutekommen. Massenvorlesungen in überfüllten Hörsälen werden nicht mehr das Bild sein, das Erstsemestrige prägt, wenn sie an die Universität kommen. Neue Lehrkonzepte ermöglichen es, Teile der Wissensvermittlung in den digitalen Raum zu verlagern und diese mit intensiver persönlicher Kommunikation zu verbinden. Dafür entwickeln wir neue Raumkonzepte und Präsenzformate, das Anwesendsein am Campus, das Miteinanderarbeiten haben eine andere Qualität bekommen, die wir neu zu schätzen gelernt haben.

Im kommenden Studienjahr werden sich Universitäten auch mehr denn je als Motoren einer nachhaltigen Entwicklung beweisen. Nicht nur in der Forschung, sondern auch in der praktischen Umsetzung: Nachhaltige Mobilität und ein CO2-neutraler Campus sind Ziele, an denen gemeinsam intensiv gearbeitet wird.

Gravierende Mehrkosten

Und doch ist heuer wenig Platz für Optimismus: Die Kostenexplosion bei Energie, Mieten und Personal reißt ein riesiges Loch in das Budget der Universitäten, und es fehlt Geld für den Universitätsbetrieb in einer noch nie dagewesenen Dimension. Für die drei Jahre der aktuellen Leistungsvereinbarungsperiode 2022 bis 2024 fehlen mehr als 500 Millionen Euro. Hier geht es nicht um Einsparungen oder eine Investitionsbremse, sondern es geht ums Ganze: Ohne einen finanziellen Ausgleich dieser Mehrkosten sind drastische Einschränkungen – von einem Aufnahmestopp beim Personal bis hin zu einem massiven Rückbau in zentralen Leistungsbereichen – unumgänglich.

Zurzeit analysieren wir in unseren Häusern alle Sparpotenziale, doch es zeichnet sich deutlich ab, dass alle Maßnahmen, die wir als Universitäten ergreifen können, sogar wenn wir strukturelle Schäden in Kauf nehmen, nicht ausreichen werden, die entstandene Budgetlücke zu füllen. Um das in einer Zahl am Beispiel der TU Wien zusammenzufassen: Mit Maßnahmen wie der Reduktion der Raumtemperaturen, partiellen oder vollständigen Gebäudesperren in vorlesungsfreien Zeiten und am Wochenende können maximal 20 Prozent des Fehlbetrags kompensiert werden. Ergänzen wir diese durch Personalmaßnahmen (Aufnahmestopp, Rückbau), erreichen wir etwas mehr als 50 Prozent, wobei wir die gesamte Leistungsvereinbarungsperiode 2022 bis 2024 betrachten.

Drohende Rückwärtsspirale

Was bedeutet das für eine Universität? Forschung und Lehre sind abhängig von hochqualifizierten, international gefragten Fachkräften, die wir nicht einfach nach Hause schicken können, von Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforschern, deren Verlust nicht aufgeholt werden kann, vom Betrieb von Infrastrukturen und Geräten, die sich nicht ohne weiteres abschalten lassen, ohne an ihnen Schäden zu verursachen. Sparen an den Universitäten heißt, eine Rückwärtsspirale in Gang zu setzen, hochqualifizierte Arbeitsplätze und Forschungspartner zu verlieren.

Die Exzellenzinitiative wäre damit ebenso Geschichte wie die ehrgeizigen Vorhaben von Quantum Austria mit zusätzlich 20 Millionen Euro Investitionen in den Bereich High-Performance-Computing oder der aktuelle Call des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Anschubfinanzierung für die Anschaffung digitaler Infrastrukturen in Höhe von 40 Millionen Euro. Denn was nützen neue Geräte, wenn wir keine Wissenschafterinnen und Wissenschafter mehr haben oder einstellen können, die diese bedienen, oder wenn wir die Energiekosten für deren Betrieb nicht aufbringen können.

"Die aktuellen Krisensituationen erfordern Lösungen, die radikale Innovationen brauchen."

Es liegt auf der Hand, dass damit die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs extrem geschwächt wird. Universitäten würden nicht nur massiv an Bedeutung als Arbeitgeberinnen für Wissenschafterinnen und Wissenschafter und damit an Reputation und europäischem Wert verlieren, sondern könnten ihre Aufgabe als Bildungsstätten ebenso wenig erfüllen wie jene als Forschungspartner und Innovatorinnen.

Und was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Die aktuellen Krisensituationen erfordern Lösungen, die radikale Innovationen brauchen. Woher wird künftig unsere Energie kommen, wie werden wir uns ernähren, wie fortbewegen, ohne unseren Planeten zu zerstören? Die Antworten auf diese drängenden Fragen kommen von den Universitäten. Bei der Frage, ob die Universitäten den Mehrbedarf finanziert bekommen, geht es also in der Tat nicht um einen Budgetposten des Finanzministers, es geht ums Ganze.

Im aktuellen Vertrauensindex der Institutionen von APA/OGM sind die Universitäten auf den vierten Rang vorgerückt. Ein bemerkenswerter Vertrauensbeweis der österreichischen Bevölkerung für den Wert der Universitäten. Dieser Einsicht sollte auch die Politik folgen. (Sabine Seidler, 9.9.2022)