Was die Ermittler aus ihrem Haus wollen, liefert das Kanzleramt des anderen nicht: Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Kanzler Karl Nehammer (ÖVP)

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Am Mittwoch fand ein relativ außergewöhnliches Treffen statt. Am Tisch saß Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur und damit Anwalt der Republik, gemeinsam mit Bernd Brünner, dem Generalsekretär im Bundeskanzleramt – und ihnen gegenüber ein Vertreter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, kurz: der WKStA. Peschorn und Brünner wollten verhandeln, der Oberstaatsanwalt offenbar nicht. Es geht um Daten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kanzleramts, die von den Ermittlern sichergestellt werden sollen. Doch das Kanzleramt will der Anordnung der WKStA nicht im geforderten Ausmaß nachkommen. Es ist der nächste Akt einer hochpolitischen Causa – der sogenannten Inseratenaffäre, die einst Sebastian Kurz zu Fall gebracht hat. Der STANDARD hat die wichtigsten Fragen und Antworten dazu zusammengefasst.

Frage: Worum geht es im aktuellen Konflikt in aller Kürze?

Antwort: Am 16. August bekam das Kanzleramt eine sogenannte Anordnung zur Sicherstellung übermittelt. Absender: die WKStA. In dieser Anordnung fordern die Korruptionsermittler das Kanzleramt auf, eine große Anzahl unterschiedlicher Gegenstände und Daten herauszugeben. Das Kanzleramt weigert sich aber, der Anordnung Folge zu leisten. Das erste Gespräch zwischen WKStA und Kanzleramt blieb offenbar ergebnislos, daraufhin machte das Kanzleramt die Angelegenheit im Rahmen eines Gesprächs mit Journalistinnen und Journalisten publik.

Frage: Welche Daten will die WKStA vom Kanzleramt konkret haben?

Antwort: Die Ermittler wollen "E-Mail-Postfächer, eOffice-Dokumente (…) und Laufwerke" aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kanzleramt, die im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig oder im Kanzlerkabinett für diese Themen zuständig waren – und zwar von Dezember 2017 bis Oktober 2021.

Frage: Warum brauchen die Ermittler diese Informationen überhaupt?

Antwort: In der Causa Umfragen geht es um "Studien" der Meinungsforscherin Sabine Beinschab, die mutmaßlich rechtswidrig vom Finanzministerium bezahlt wurden und parteipolitischen Zwecken der ÖVP gedient haben sollen. Beinschab hat gestanden und wurde zur Kronzeugin; die anderen Beschuldigten bestreiten die Vorhalte, und es gilt die Unschuldsvermutung. Unter diesen Beschuldigten befinden sich neben Altkanzler Sebastian Kurz beispielsweise auch dessen früherer Medienberater Gerald Fleischmann und der Pressesprecher Johannes Frischmann, die im Kanzleramt tätig waren. Deren Geräte wurden zwar sichergestellt, doch soll es zu Löschungen gekommen sein. Nun wollen die Korruptionsermittler E-Mails mit Bezug zum Thema Umfragen über die Postfächer der früheren Kollegen der Beschuldigten finden.

Frage: Aber ging es in der Inseratenaffäre nicht vorrangig um das Finanzministerium?

Antwort: Die Inseratenaffäre nahm ihren Ausgang im Finanzressort. Der dortige Generalsekretär Thomas Schmid soll den Deal mit Beinschab über Ex-Ministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin (ÖVP) eingefädelt haben. Frischmann wechselte dann im Sommer 2017 ins Team von Sebastian Kurz und zog mit ihm ins Kanzleramt ein. Er soll bis zuletzt mit Beinschab in Kontakt gestanden sein. Die WKStA zieht als Beleg dafür eine Beinschab-Studie zum russischen Impfstoff Sputnik heran, die von der Meinungsforscherin durchgeführt wurde. Wenig später verhandelte Kurz über eine Sputnik-Lieferung, mit der Beinschab-Studie wurde medial dafür Stimmung gemacht.

Frage: Wie argumentiert das Kanzleramt, dass es die Daten vorerst nicht herausgeben möchte?

Antwort: Die Sicht des Kanzleramts lautet sinngemäß, dass die Anordnung zur Sicherstellung der Daten nicht ausreichend "determiniert" ist. Eine Zwangsmaßnahme wie eine solche Sicherstellung setze voraus, dass dadurch etwas Bestimmtes gefunden werden soll. Im vorliegenden Fall seien jedoch weder konkrete Personen noch genau bestimmte Gegenstände beschrieben, wird argumentiert. Und durch diese unzureichende Klarheit sei für das Kanzleramt klar: So ist diese Maßnahme nicht gerechtfertigt. Aktuell sehe man "keine Grundlage, rechtskonform zu handeln", wie es heißt. Man sieht sich als dem Justizministerium, in dessen Weisungsbereich die WKStA handelt, gleichrangiges Organ und daher als nicht vergleichbar mit Unternehmen oder Privatpersonen, bei denen sichergestellt wird. Außerdem befürchtet das Kanzleramt Schadensansprüche durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn deren private Daten weitergegeben werden.

Frage: Warum sollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kanzleramts private Daten über ihre beruflichen Accounts geteilt haben?

Antwort: Es ist rechtlich zulässig, dass Beamtinnen und Beamte ihr Handy oder ihren Mailaccount in einem gewissen Ausmaß auch für private Kommunikation und andere Angelegenheiten nutzen. Darüber hinaus wird beteuert, dass Mitarbeiter etwa auch Vorgesetzte per Mail über eine Erkrankung informieren. Auch solche sensiblen Daten würden nun der WKStA zufallen, wird argumentiert. Dass private Daten Unbeteiligter in den Händen von Ermittlern landen, ist aber nicht ungewöhnlich. Hier gibt es jedoch Sorge, dass die Nachrichten im U-Ausschuss landen.

Frage: Wie könnte die Causa denn jetzt weitergehen?

Antwort: Kanzleramt und WKStA befinden sich in einer ungewöhnlichen Situation, die in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen ist. Grundsätzlich ist einer Sicherstellungsanordnung Folge zu leisten, sonst drohen Zwangsgewalt und Beugestrafe. Diese Eskalation wünscht sich vermutlich niemand. Womöglich gibt sich die WKStA vorerst mit einer eingeschränkten Datenlieferung zufrieden. Im Kanzleramt fürchten manche schon jetzt eine neuerliche Hausdurchsuchung.

Frage: Gab es so einen ähnlichen Fall nicht schon einmal?

Antwort: Rund um den Ibiza-U-Ausschuss weigerte sich das Finanzministerium, E-Mail-Postfächern und Laufwerke an das Parlament zu übermitteln – obwohl der Verfassungsgerichtshof (VfGH) dem U-Ausschuss recht gegeben hatte. Auch hier sollte Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur, verhandeln – und zwar mit dem U-Ausschuss. Zu einer Einigung kam es damals nicht, der Verfassungsgerichtshof ließ das Urteil über Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen exekutieren. Nun ist die Situation aber etwas anders gelagert, wenngleich auch die WKStA das Recht hat, Sicherstellungen durchzuführen. Beschweren kann man sich darüber erst im Nachhinein, dann entscheidet ein Gericht über die Rechtmäßigkeit. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 8.9.2022)