Lärmschutzwände aus Schilf, Lehm und Holz sollen nachhaltiger als jene aus Beton sein – und auch einen kleinen Beitrag gegen das Artensterben darstellen.

Foto: Reeduce

Wer auf der Autobahn fährt, richtet seinen Blick für gewöhnlich auf die Straße. Was kaum jemand bemerkt, sind die vielen Lärmschutzwände, die auf Straßen kilometerweise verbaut sind. So ging es auch Birgit van Duyvenbode. "Aber wenn man sich einmal mit ihnen beschäftigt, sieht man sie plötzlich überall", sagt die Gründerin des Start-ups Reeduce, das die unscheinbaren Zweckbauwerke ökologischer machen will.

Mit Lärmschutzwänden beschäftigte sich ursprünglich ihr Vater, ein Sägewerkbesitzer aus Oberösterreich. 2008 installierte er im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts auf einer Pilotstrecke entlang der A22 Schallschutzwände aus thermisch behandeltem Holz, das ohne Holzschutzmittel oder andere umweltschädliche Materialien auskommt. Lehm und Schilf dienen als zusätzliche Schalldämmung.

Lange Weg von Idee bis Umsetzung

Bis sie die Idee ihres Vaters weiterverfolgen würde, sollte es für Birgit van Duyvenbode allerdings noch dauern – denn sie bekam von dem Pilotprojekt nichts mit. Während an dem rund ein Kilometer langen Autobahnstück bei Langenzersdorf Tag für Tag Autos vorbeirauschten, studierte die Oberösterreicherin an der Wiener Wirtschaftsuniversität Internationale Betriebswirtschaft und kam im Auslandssemester in Indonesien verstärkt mit Umweltthemen in Kontakt. Zurück in Wien, setzte sie noch einen Master in Umwelttechnologie, Internationalen Beziehungen sowie eine Ausbildung an der Diplomatischen Akademie drauf.

Erst 2020, als van Duyvenbode als Beraterin für Energieunternehmen arbeitete, erzählte ihr ein Experte zufällig von den immer noch gut erhaltenen Lärmschutzwänden – und sie erfuhr, dass diese das Unternehmen ihrer Familie aufgestellt hatte. Daraufhin fing van Duyvenbode an zu recherchieren: Nicht nur an Autobahnen, sondern auch entlang von Bahnstrecken, Parkplätzen oder im Privaten als Gartenzaun werden die schallfangenden Wände installiert. Allein die in Österreich jährlich aufgestellten Lärmfänger würden eine Fläche in der Größenordnung von 50 Fußballfeldern bedecken. Bei dieser Zahl hat es bei van Duyvenbode klick gemacht. Seitdem entwickelt sie die ökologische Lärmschutzwand unter dem Label Reeduce weiter, auch um aktuelle Normen zu erfüllen.

Birgit van Duyvenbode gründete das Start-up Reeduce.
Foto: Reeduce

Kein Sondermüll

Sämtliche Rohstoffe für die Wände kommen aus Österreich, beteuert van Duyvenbode. Das Schilf werde etwa am Neusiedler See geerntet. Geschnitten werden muss es sowieso – denn in zu viel Altschilf können keine Vögel brüten.

Konventionelle Lärmschutzwände hingegen bestehen in der Regel aus behandeltem Holz, Mineralwolle, Aluminium oder auch mit Hackschnitzel versetztem Beton, der sich besonders schwer recyceln lässt. "Das ist danach Sondermüll", sagt die Unternehmerin. Zudem verursacht die Herstellung einer Tonne Zement rund 500-600 Kilogramm CO2*, auch wenn dieser im Laufe seiner Lebenszeit einen Teil des Kohlenstoffs wieder aufnimmt.

Die Bestandteile der Wände von Reeduce sollen nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft komplett verwertbar sein. Holz und Schilf wachsen zudem laufend nach – insgesamt soll die Wand während ihrer Lebensdauer sogar CO2-negativ sein. Der Lehmanteil soll außerdem den Feinstaub aus den Abgasen der Autos aufnehmen können.

Unterschlupf für Insekten

Und dann wäre da noch die Sache mit den Insekten. Bei den Prototypen ist dem Team aufgefallen, dass sich insbesondere im Schilf Insekten wie etwa Wildbienen angesiedelt haben. Das scheinbare Ärgernis machte das junge Unternehmen zum Feature – und entwickelt eine Premium-Version der Lärmschutzwand, bei der die Schilfrohre so angeordnet sind, dass das Bauwerk gleichzeitig als Insektenhotel fungiert. Der Schallschutzwirkung seien die Bewohner jedenfalls nicht abträglich.

Das Schilf am Neusiedler See muss regelmäßig geschnitten werden, um Brutplätze für Vögel zu erhalten. Ein Teil davon könnte künftig in Schallschutzwänden landen.
Foto: Reeduce

Die Doppelnutzung als Insektenhotel sei eigentlich nicht vorgesehen gewesen, erinnert sich van Duyvenbode. "Aber es ist ein netter Nebeneffekt." Auch wenn die Gründerin zugibt, dass es schon ironisch sei, wenn Lärmschutzwände, die derzeit vor allem auf Autobahnen verbaut werden, einen positiven Effekt auf die Biodiversität haben. Aber die sonst so unauffälligen Bauten hätten eben zwei Seiten. "Eine davon ist der Natur zugewandt", sagt die Unternehmerin. Von Insekten wuseln wird es auf den Autobahnen – und auf den Windschutzscheiben – allerdings auch künftig nicht. Dass man Insekten in den Wänden Zuflucht gibt, sei höchstens ein kleiner Beitrag im Kampf gegen das Artensterben.

Bisher nur Prototypen

Zum Preis der ökologischen Lärmschutzwand kann oder will die Gründerin derzeit noch keine genauen Angaben machen. "Aber er wird wettbewerbsfähig sein", sagt van Duyvenbode. Insbesondere wenn man sich den gesamten Lebenszyklus ansieht – etwa die längere Haltbarkeit und die geringeren Kosten für die Entsorgung –, könnte die Reeduce-Wand durchaus mit den konventionellen Produkten mithalten. Um Letztere zu produzieren, braucht die Konkurrenz vor allem Beton und Aluminium – zwei Rohstoffe, bei denen es in den vergangenen Monaten enorme Preissteigerungen gegeben habe. Von den steigenden Preisen profitiert Reeduce zumindest indirekt.

Vergangenen November wurde das Start-up als eines der Top-drei-Projekte der Greenstart-Initiative des staatlichen Klima- und Energiefonds ausgezeichnet – und von diesem mit 30.000 Euro gefördert. Die Finanzspritze investierte das Team in die weitere Entwicklung. Im Mai wurden an der Technischen Universität Graz die ersten akustischen Messungen abgeschlossen, die notwendig sind, um die Normen für Lärmschutzwände in Österreich zu erfüllen.

Grüne Konkurrenz

Ab 2023 sollen die Paneele dann marktreif sein. Dann will das Start-up auch eine GmbH gründen und sich für die ersten öffentlichen Aufträge bewerben – zunächst in Österreich und dann in ganz Europa.

Dort macht sich langsam auch ökologische Konkurrenz breit: Die bayrische Firma Rau hat etwa einen speziellen Erdwall entwickelt, der ebenfalls Schall schluckt und begrünt werden kann.

Andere Unternehmen versuchen Lärmschutzwände zusätzlich mit Photovoltaik zu verbinden, um auf den sonst ungenutzten Flächen am Straßenrand nebenbei auch Energie gewinnen zu können. In Oberösterreich wiederum experimentiert man mit Stroh als ökologischer Schalldämmung. (Philip Pramer, 9.9.2022)