Die Pferde für die Kaiserin und ihre Begleiter warten an den korinthischen Säulenattrappen. Middleton sieht zu, wie Elisabeth ihren geschnürten Stiefel in die verschränkten Hände ihres Stallmeisters setzt und sich in den Damensattel heben lässt. Sie reitet einen herrlichen Fuchs. Mit einer geschmeidigen Bewegung wickelt sie ihre Beine um die Sattelhörner, zupft zwei Schlaufen um die Füße und zieht ihren Rock glatt. Etwas Blut tropft von der Hand des Stallmeisters, wo sie ihn mit ihrem winzigen Sporn geritzt hat. Middleton wendet sich ab.

Die deutsche Sisi-Expertin Duve hat selbst ein Pferd aus Irland.
Foto: Kerstin Ahrlichs

Seine Stute steht noch in den Stallungen. Er muss sich den Weg durch die Pferde und die inzwischen vollzählig erschienenen Jagdteilnehmer bahnen. Unter ihnen erkennt er Lord Otho Fitzgerald und grüßt. Fitzgerald tippt mit angewidertem Gesicht an seine Zylinderkrempe. Seine Augen sind wie Dolche. Er ist nicht gut auf ihn zu sprechen. Im letzten Jahr hat er einen Ball ausgerichtet und den Fehler gemacht, Middleton dazu einzuladen, was der ihm mit einem seiner widerwärtigen und alle Grenzen überschreitenden Scherze vergolten hat. Man muss dazu wissen, dass Otho Fitzgerald enorm stolz auf seine Mitgliedschaft im exklusivsten aller Segel-Clubs, dem Königlichen Jachtgeschwader, ist. Anlässlich des Balls hatte er die Flagge des Königlichen Jachtgeschwaders auf dem Turm von Oakley Court, seinem kürzlich erworbenen Anwesen, gehisst. Im Laufe des Abends schlich sich Middleton zusammen mit dem Ehrengast – es handelte sich um den französischen Kronprinzen und beide waren viehisch betrunken – auf den zinnenbewehrten Turm, holte das erhabene Emblem ein und hisste an seiner Stelle ein Badehandtuch. Am nächsten Morgen hatten dann alle diesen abscheulichen Fetzen im Wind flattern sehen, und bis zum Abend hatte ganz London davon erfahren. (...)

Middleton ahnt, was in Fitzgeralds Kopf vorgeht. Es wimmelt hier von Gentlemanreitern, die ihm sein Können und sein Glück nicht gönnen und ihn nur zu gern weit abgeschlagen am Ende des Feldes sehen wollen. Jetzt haben sie Oberwasser, denn es ist nicht zu erwarten, dass die schöne Kaiserin bei einer solchen Jagd auf Anhieb mithalten kann – wie sehr Spencer auch von ihren Fähigkeiten geschwärmt hat. Nicht bei dem Tempo, das Middleton vorzulegen pflegt. (...) Einige dieser Hindernisse lassen sich einfach nicht überspringen. Nicht, wenn man nicht Middleton heißt – und manchmal selbst dann nicht.

Ihr Sitz ist vollkommen

Ein Bursche bringt ihm sein Pferd. Middleton schwingt sich in den Sattel und trabt dorthin, wo er Ihre Majestät vermutet. Die Hunde treffen ein. Alle Reiter machen für die heranzottelnde Meute Platz, große gefleckte Tiere, die von Goodall, dem Huntsman, mit kurzen Rufen dirigiert werden – "Rose, warte!" "Trooper, nicht trödeln!" –, sodass die beiden Whippers nahezu tatenlos hinterdreinreiten können. Goodall und die Whippers tragen als Jagdbedienstete keine Zylinder, sondern einfache schwarze Samtkappen – genau wie Spencer. Der Lord hat ihnen die allerbesten Pferde zugeteilt, wahre Cracks, die auch für Rennen gemeldet werden. Diese Pferde springen ohne zu zögern über einen vier Meter breiten und furchterregend tiefen Graben, setzen spielend über höchste Hecken oder brechen notfalls hindurch. Der Beste von ihnen ist "Bay Colonel", den Goodall reitet. Nicht einmal der große Braune, den Spencer für sich selber ausgesucht hat, ist besser. Schließlich dürfen er und die Gäste es sich jedes Mal aussuchen, ob sie ein Hindernis nehmen oder lieber darum herumreiten, während die Meutenführer so gut wie alles springen müssen, um die Verbindung zu den Hunden nicht zu verlieren.

Middleton sieht die Kaiserin auf sich zureiten. Ihr Sitz ist vollkommen, ihre Handhaltung perfekt. Ihre Taille ist nicht von dieser Welt. So verschnürt eine Jagd zu reiten, erfordert eine übermenschliche Selbstbeherrschung. Er zieht seinen Zylinder. Die Kaiserin pariert ihr Pferd neben ihm. "Captain Middleton, darf ich Sie um etwas bitten?"

"Was immer Eure Majestät wünschen."

Die Kaiserin legt ihre Hand, in der sie auch die Peitsche hält, auf den Mähnenkamm seines Pferdes. "Versprechen Sie mir, so wie immer zu reiten! Versprechen Sie mir, mich nicht zu schonen!"

"Das hatte ich gar nicht vor, Eure Majestät."

Er setzt seinen Zylinder wieder auf und befestigt das Band daran mit einer Nadel unter seinem Rockkragen.

Fürchtet Elisabeth sich denn überhaupt nicht? Nicht im Geringsten. Mit ihrer Furchtlosigkeit beim Reiten hat sie schon als Kind alle beeindruckt, sogar ihren Vater, Herzog Max, der an seiner Familie ansonsten wenig Interesse zeigte. Seinetwegen ist sie noch draufgängerischer geritten als ihre Brüder und Schwestern, ist schneller galoppiert und höher gesprungen und zögerte nicht, zögerte nie, ihrem Vater über ein Hindernis nachzusetzen – auch wenn sie nicht wusste, was sich dahinter befand.

"Ach Sisi, du bist ganz wie ich", sagte er einmal, "wenn wir keine Herzöge wären, wären wir Zirkusreiter geworden."

Das änderte allerdings nichts daran, dass sie ihren Vater kaum sah. Herzog Max war ständig auf Reisen. Reisen mit schönen Damen. Oder er führte sein Junggesellenleben auf Schloss Unterwittelsbach, das er genau zu diesem Zweck für sich erworben hatte und zu dem Frau und Kinder keinen Zutritt hatten. Nach Possenhofen kam er praktisch nie, und zu Hause im Münchener Palais war er allenfalls im Winter und auch das höchst selten. (...)

Ein ganzes Jahr hat Elisabeth damit verbracht, sich auf die englischen Parforcejagden vorzubereiten. Und dieser kleine Captain Middleton fühlt sich belästigt, weil er an ihrer Seite reiten muss! Nach der Jagd soll er darum betteln, sie wieder pilotieren zu dürfen!

Es wird gerempelt

Lord Spencer hält eine kurze Ansprache, heißt alle willkommen, dann schlängeln sich die Hunde und die Pferde mit ihren Reitern im Schritt durch die Zuschauer und an den Kutschen vorbei. Der Lord hat die Kaiserin und Middleton an seine Seite geholt. Dicht hinter ihnen folgen die Kavaliere aus der Heimat, mit denen die Königin von Neapel reitet. Die Königin ist eine Kopie ihrer kaiserlichen Schwester. Sie trägt nicht nur das gleiche blaue Reitkleid mit Zobelbesatz, sie reitet auch ebenfalls einen Fuchs. Auch Marie von Neapel ist groß und schlank und hat die gleichen wunderbaren Haare. Die Augen der Königin sind sogar noch schöner als die ihrer Schwester, weil sie so überaus melancholisch blicken. Aber ihre Nase ist spitz, und um den Mund gibt es einen bitteren Zug – mit der majestätischen Anmut der Kaiserin kann sie nicht mithalten. Trotzdem: eine sehr schöne Frau. Sie plaudert mit Rudolf Liechtenstein, der sich über die Aufmerksamkeit freut. Prinz von und zu Liechtenstein ist ein entschlossener, sehr stattlicher Mann, der schon einige Falten in den Augenwinkeln hat. Böswillige Tratschen in Wien wollen Anzeichen für eine Liebschaft zwischen dem schönen Rudi und der Kaiserin ausgemacht haben.

Neckisch schlägt die Königin von Neapel mit ihren losen Handschuhen auf Liechtensteins Unterarm und beschwört abwechselnd ihn und Obersthofmarschall Graf Larisch von Moennich, der auf ihrer anderen Seite reitet, einen angemessenen Jagdrock in Pink für den blau uniformierten Baron Orczy aufzutreiben. "Nicht dass die Hunde am Ende noch ihn jagen", sagt sie, was aber niemand versteht, weil auch die Königin von Neapel mit geschlossenem Mund nuschelt.

Man reitet zu einem ausgedehnten Gehölz. Hier haben sich bereits Hunderte Zuschauer eingefunden, die sich in respektvoller Entfernung auf den kleinen Hügeln rundum verteilt haben. Zu Beginn sieht es nicht so aus, als ob es eine erfolgreiche Jagd wird. Die Hunde flitzen durch die Büsche von einer Seite zur anderen, ständig die Fährten wechselnd, ohne sich auf eine Witterung zu einigen, während die Reiter in Gruppen am Rand des Dickichts entlangstreifen. So geht es eine halbe Stunde, die Hunde lassen im Eifer bereits nach.

Wilder Geist hoch zu Ross: Sisi (vorn im Bild) auf der Fuchsjagd. Die österreichische Kaiserin ist als widersprüchliche Figur bei Kulturschaffenden hoch im Kurs.
Foto: IMAGO/piemags

Immer mehr Reiter gesellen sich zu Spencer, Middleton und der Kaiserin, vorgeblich um den Lord nach seiner Einschätzung der Lage zu befragen oder vorzuschlagen, in ein anderes Covert zu wechseln. Aber dann starren sie die ganze Zeit bloß die Kaiserin an. Ein Vertreter der regionalen Presse mit flacher Mütze und braunem Freizeitanzug hat sich nur wenige Meter vor Elisabeth aufgebaut und notiert eifrig in ein kleines Buch. Elisabeth wird immer bleicher. Sie nimmt den Fächer, der stets in ihrem Sattel steckt, und hält ihn sich vor das Gesicht, als wollte sie die Sonne abwehren.

Captain Middleton wendet sein Pferd, vergewissert sich, dass die Kaiserin es ihm nachmacht, und galoppiert mit ihr auf die talabwärts gelegene Seite. Hier brechen die Füchse zwar nur selten aus, aber dafür gibt es kaum andere Reiter. Fast im selben Moment, in dem er mit der Kaiserin dort anlangt, bellt ein Hund hysterisch auf, und ein Fuchs rennt aus dem Gehölz. Das typische middletonsche Glück. Sofort spritzt die ganze aufheulende Meute aus den Büschen. Middleton und die Kaiserin sind mittendrin. Hinter ihnen bricht die Hölle los. Alles will zu den Hunden aufschließen und galoppiert aus verschiedenen Richtungen kommend durcheinander. Die vielen Pferde sind sich gegenseitig im Weg. Es wird gerempelt, geflucht, am Zügel gerissen, und gleichzeitig werden die Sporen in die Pferde gebohrt. Nasse Erdklumpen fliegen durch die Luft. Innerhalb weniger Sekunden ist das noble Gemälde zerstört, sind die hellen Hosen schlammbespritzt, die glänzenden Pferde voller Morast, die Jagdröcke gefleckt wie bei den Marienkäfern.

Das Beste ist die Angst

Währenddessen haben die Hunde über einige Gräben gesetzt und erreichen den ersten Oxer. Elisabeth beißt die leicht verfärbten Schneidezähne in die Unterlippe. Auf der Wiener Rennbahn hat sie das weite Springen aus schnellem Galopp geübt. Mr. Allen, ihr englischer Reitlehrer, hat behauptet, die Hindernisse dort würden den Natursprüngen in England ähneln. Aber so eine Hecke hat es in der Freudenau nicht gegeben, und dann steht auch noch dieser Zaun davor. Hat sie jetzt endlich Angst? Und wie! Die Angst ist das Beste an einer Jagd.

Middleton hat versprochen, die Kaiserin nicht zu schonen, und er schont sie nicht. Ohne das Tempo zurückzunehmen, sucht er eine geeignete Stelle und überwindet Zaun und Hecke glatt. Er sieht sich um, ob sie das Hindernis heil übersteht. Das tut sie. Ihr Gesicht strahlt vor wilder Freude. Sie drängt wieder an seine Seite. Von den nachfolgenden Pferden brechen einige vor dem Zaun seitlich aus, zwei stürzen hinter der Hecke. Das dichte Feld beginnt sich in die Länge zu ziehen. Middleton und die Kaiserin rasen über grünes Weideland. Immer geradeaus. Unter ihnen verwischt das Gras in der Geschwindigkeit. Zäune und Hecken tauchen auf und sind im selben Moment schon wieder vorbei. Weiter vorn rennen die gefleckten Hunde über eine kahle Wiese. Es gibt keine Straßen, die das Gelände zerteilen, keine Äcker, deren tiefe Erde die Pferde ermüden würde. Als die Industrialisierung zum Zusammenbruch der Landwirtschaft führte, ist hier mehr als die Hälfte des Bodens, auf dem einst Getreide stand, in Weideland umgewandelt worden und der Lohn der Landarbeiter auf drei Schilling gesunken. Ideale Bedingungen. Jetzt gibt es nur noch federnden Grasboden, die Pferde, den Fuchs, die kläffende Meute und die schönsten Hecken und Gräben.

(...) Middleton zügelt sein Pferd so grob, dass es das Maul aufreißt und den Kopf hin und her wirft. Die Kaiserin zupft am Zügel, öffnet und schließt ihre Finger, doch der Hals ihres Hunters scheint inzwischen aus Stahl zu bestehen. Nun schenkt er ihr endlich ein Ohr und ist vielleicht sogar bereit, Geschwindigkeit herauszunehmen. Aber das soll er gar nicht mehr. Die Hunde sind rechtzeitig durch das Gatter gekommen. Elisabeth zieht einfach an Middleton vorbei. Sie will schnell sein, uneinholbar, ihren finsteren Gedanken entkommen und den Gaffern, die der Meinung zu sein scheinen, durch die Heirat mit dem österreichischen Kaiser habe sie jedes Recht auf Privatsphäre verwirkt. Wenn sie galoppiert, lodert eine Glut in ihr. Ihr Gehirn arbeitet losgelöst von diesem glutgefüllten Körper, sucht den idealen Absprungpunkt. Sowie das Hindernis überwunden ist, sind Körper und Geist wieder eins und von tiefer Befriedigung erfüllt. Da kommt das Gatter. Middleton hat aufgeholt und springt gemeinsam mit ihr hinüber.

Fünfzehn Minuten lang galoppieren der Captain und die Kaiserin so dahin, nehmen die Hindernisse, wie sie kommen. Der Wind rauscht in ihren Ohren und treibt ihnen Tränen in die Augen. Drei Gatter, die eng hintereinanderstehen und schwer zu taxieren sind. Middleton fliegt hinüber, und die Kaiserin folgt ihm dicht, hält gerade so viel Abstand, dass sie ihn nicht bedrängt. Ihm ist jetzt klar, dass sie eine erstklassige Reiterin ist. Mehr als das. Noch nie ist Middleton einer Frau begegnet, die ihr Pferd so vollkommen beherrscht. Außer ihnen haben nur noch vier Reiter der Meute bis hierhin folgen können. Spencer ist natürlich dabei. Sein roter Bart weht ihm links über die Schulter. Er holt auf und galoppiert an Middletons Seite. Ein tiefer und weiter Graben klafft im Boden.

Jetzt zieht auch Elisabeth vor, und gleichzeitig springen alle drei hinüber. Allerdings hat die Kaiserin die Peitsche einsetzen müssen. Ihr Pferd scheint erschöpft zu sein. Schon kommt der nächste Graben. Wieder saust die Peitsche durch die Luft. Das Pferd der Kaiserin springt trotzdem zu kurz. Mit ungeheurer Wucht schlägt es hinter dem Graben auf und rutscht noch einige Meter weiter. Seine Vorderbeine ziehen Furchen durch die Grasnarbe.

Heben Sie mich in den Sattel

In der nächsten Sekunde ist Middleton neben der Kaiserin und hebt sie aus dem Sattel. Niemand hat gesehen, wie er sein Pferd anhielt. Niemand hat gesehen, wie er aus dem Sattel sprang. Er ist einfach da. Sachte stellt er die Kaiserin vor sich auf den Boden. Ihr Pferd rappelt sich auf. Zitternd und mit weit auseinandergestemmten Beinen bleibt es stehen. Der Sattel ist verrutscht und das obere Horn gebrochen. Der Fächer liegt zerfetzt im Gras. Das Pferd senkt den Kopf. Sein Atem faucht durch die weit aufgerissenen Nüstern.

Karen Duve, "Sisi". € 26,80 / 408 Seiten. Galiani-Verlag, 2022. Buchpräsentation: 29. 9., Buchhandlung Thalia, Mariahilfer Straße, 1070 Wien.

"Bay", schreit Spencer, kreidebleich unter seinem glutroten Bart, und springt ebenfalls vom Pferd. "Bay, ist alles in Ordnung?"

"Ja", ruft Middleton. Dann erst sieht er der Kaiserin ins Gesicht. Sein Arm liegt immer noch um ihre Taille. Winzig ist sie, diese Taille. Elisabeth hat ihren Zylinder verloren, scheint aber nicht verletzt. Sie keucht damenhaft, strahlt vor Begeisterung und denkt nicht daran, ob man ihre Zähne sehen kann.

"Bay? Ist das Ihr Name – Bay?"

Er entfernt seine Hand von ihrer Taille.

"Meine Freunde nennen mich so, Eure Majestät."

"Ich danke Ihnen, Bay."

Mit einer dunklen, sehnsüchtigen Weichheit sieht sie ihn an und legt ihre Hand auf seinen Arm. "Schnell, heben Sie mich in den Sattel! Wir können die Hunde noch einholen." (ALBUM, 10.9.2022)