Witasek vor seiner Visitenkarte, dem Eingang der VS Schöpfwerk. Die Schulglocke höre er nicht mehr, erzählt der 53-Jährige.

Foto: Christian Fischer

Im Erdgeschoß der Ganztagsvolksschule Am Schöpfwerk, nach dem Eingang nur wenige Schritte nach links, zieht eine unscheinbare gräuliche Türe die Blicke der Kinder auf sich. Neben dem Türstock hängt ein Postkasten an der Wand, darüber ein Foto von einem Mann.Auch wenn dieser auf dem Bild noch so herzlich lächelt: Über die Schwelle dürfen die neugierigen Schülerinnen und Schüler nicht. Denn hier endet der öffentliche Bereich des Gebäudes – und eine private Besonderheit beginnt: die Wohnung des hiesigen Schulwarts.

Dieser heißt Michael Witasek, trägt Blaumann, Schlapfen und Ohrring und lebt seit acht Jahren in der Schule am Rande einer großen Gemeindebauanlage in Wien-Meidling. Er und seine Kolleginnen und Kollegen in der Hauptstadt sowie in Niederösterreich und im Burgenland haben die erste Schulwoche bereits hinter sich – für jene im Westen geht es am Montag los.

Bis zur Schwelle und nicht weiter: Mit selbst gestalteten Schildern neben der Türe teilt Witasek mit, ob er gerade im Haus ist oder unterwegs.
Foto: Christian Fischer

Wie der Start gewesen sei? "Purer Stress", sagt Witasek. Hier brauche ein Kind einen größeren Tisch, da einen kleineren Sessel. Dazu kämen viele Anlieferungen, etwa von Schulbüchern. "14 Tage braucht es schon, bis das Werkl wieder rennt."

Wer klopfet an?

Ruhig habe er es aber auch in den neun Ferienwochen davor nicht gehabt, erzählt der 53-Jährige. "Da ist am meisten zu tun." Der Grund: Wenn die Schulkinder außer Haus sind, ist die einzige Gelegenheit, das Gebäude komplett durchzuputzen. Dann wäscht Witasek Wände, reinigt Möbel, zieht Böden ab und versiegelt sie frisch. Entspannung sei da kaum möglich.

Das ist ein Problem, dem Witasek aufgrund seines besonderen Wohnorts ohnehin ständig ausgesetzt ist. Die permanente Entgrenzung von Arbeit und Freizeit kennt er nicht erst seit Corona. Wer wie er am Dienstort lebe, der sei "mit der Hacken verheiratet", sagt er. Ein Ausdruck davon: "Selbst wenn ich in Krankenstand bin oder Urlaub habe, pumpern s’ an meine Tür."

Hinter diese lässt Witasek nicht nur keine Schülerinnen und Schüler, sondern auch keine Presse. Lieber erzählt er, was sich dahinter verbirgt: 75 Quadratmeter, drei Zimmer, Küche, Bad – auf dem Stand einer Wiener Gemeindewohnung. Ihm wird dafür lediglich eine Steuer vom Lohn abgezogen, den Strom muss er selbst zahlen. Abgesehen von der Küche habe er nicht viel in die Wohnung hineingesteckt, sagt Witasek. "Wenn ich in Pension gehe, muss ich sie ja zurückgeben."

Historisches Relikt

Die Arbeit ist nicht die einzige Liebe seines Lebens: Eine Frau hat der Wiener auch – und zwar eine, die "bei dem Ganzen mitspielt". Mit ihr und seinem 13-jährigen Sohn teilt er die Wohnung, seine erwachsene Tochter ist bereits ausgezogen. Andere in der Kollegenschaft hatten weniger Glück: Er kenne viele "Wohnhafte" (so werden Leute wie Witasek branchenintern genannt), die mittlerweile geschieden seien.

Vom Fenster seiner Wohnung hat Witasek alles im Blick .
Foto: Christian Fischer

410 Schulwarte und 140 Schulwartinnen betreuen aktuell die Pflichtschulen in Wien, weitere 94 die mittleren und höheren Schulen. Rund ein Viertel der Kräfte in Pflichtschulen lebt in einer Dienstwohnung, in mittleren und höheren Schulen ist es etwa ein Drittel.

Laut der für Pflichtschulen zuständigen Magistratsabteilung 56 geht dies auf historische, praktische Erfordernisse zurück. Einst brauchte es ständig Personal vor Ort, um Heizkessel am Laufen zu halten und Schnee zu schaufeln. Und bei Notfällen war immer sofort jemand da.

Technik und Klima haben sich zwar gewandelt – so einige Dienstwohnungen blieben dennoch. Ihre Bewohnerinnen haben in der Regel spezielle Verträge, die lange Arbeitsphasen ermöglichen. "Um 6.45 Uhr muss ich die Schule aufsperren. Vorher schaue ich, dass der Eingang und die Stiegen in Ordnung sind", sagt Witasek. Immerhin sei dieser Bereich seine Visitenkarte. Wie ein "Zampano" stelle er sich dort aber nicht hin. "Das wäre heute nicht mehr zeitgemäß."

Anschließend putzt Witasek den Turnsaal, der in der Regel am Vorabend von einem Verein genutzt wurde. Darauf folgen weitere Reinigungsarbeiten und Organisatorisches. Zwischendurch geht Witasek "zwicken": So nennt er das Aufklauben von Papierln im Freien. Um 18 Uhr sperrt er die Schule zu – dann ist meist Zeit fürs Abendessen mit der Familie. Den letzten Kontrollgang macht er um 21 Uhr, wenn auch die Sportvereine weg sind.

In der goldenen Mitte

"Am Abend gemütlich beim Heurigen sitzen kann man da nicht", sagt Witasek. Das solle aber keine Beschwerde sein: "Ich liebe meine Arbeit." Bei Neuanstellungen ist ein derartiger Einsatz jedenfalls nicht mehr möglich. Das soll laut MA 56 die Work-Life-Balance verbessern. Witasek ist also Vertreter einer aussterbenden Art.

Müsste er seinen Job benoten, würde er die "goldene Mitte" wählen, wie er sagt. Denn zu den Nachteilen kämen auch Vorteile – etwa, dass der Arbeitsweg wegfällt. Und das private Kickerl im Turnsaal? Das nicht, beteuert er. "Die Schule selber darf und werde ich nicht nutzen."

Wenn ihm das Schulleben doch einmal zu viel wird, dann verzieht er sich übrigens in sein Reihenhaus in Niederösterreich. Wo er – fernab von neugierigen Blicken – tatsächlich richtig abschalten kann. (Stefanie Rachbauer, 12.9.2022)