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Wien – Die neue ORF-Führung ist seit gut einem Jahr bestellt und bald ein Dreivierteljahr im Amt, nun verlangt ORF-Stiftungsrat Heinz Lederer im Gespräch mit dem STANDARD "Taten" von Roland Weißmann und seinem Team: "Analysen haben wir jetzt genug gesehen, wie viele Untersuchungen wollen wir noch machen?"

Das aktuelle Management sei alles andere als neu im ORF, betont der Stiftungsrat. Er erinnert daran, dass General Weißmann als stellvertretender Finanzdirektor, Chefproducer des Fernsehens und Geschäftsführer von ORF On an Schlüsselstellen im Unternehmen gearbeitet hat – wie auch die übrige Geschäftsführung.

An drei Punkten vermisst Lederer akut Maßnahmen – bei der GIS, beim Radio und beim TV-Programm, insbesondere ORF 1.

Handlungsbedarf bei der GIS

Handlungsbedarf sieht der von der SPÖ entsandte ORF-Stiftungsrat bei der Gebührentochter GIS: "Wenn das Gebührenmanagement nicht funktioniert, muss der ORF sich dort was überlegen – und handeln". Die GIS habe 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um die gewichtigste Finanzierungsquelle des ORF – rund 664 Millionen Euro aus Programmentgelten – sicherzustellen.

Wegen hoher Abmeldungszahlen fehlen dem ORF derzeit trotz ebenfalls hoher Neuanmeldungen wie berichtet mehr als 20.000 GIS-Haushalte. Die GIS schaffe die geplanten Einnahmen aus Programmentgelten nur, weil die Gebührenerhöhung um acht Prozent einen Monat früher als geplant mit Februar 2022 wirksam wurde, schließt Lederer.

"Morgengaben" der vorigen Geschäftsführung

Die Gebührenerhöhung um acht Prozent wurde noch vom vorigen ORF-General Alexander Wrabetz beantragt. Die neue Geschäftsführung sei also mit einer "angenehmen Ausgangsposition" und einer Reihe von "Morgengaben" gestartet, betont Lederer. Er erinnert neben der beschlossenen und früher wirksamen GIS-Erhöhung etwa an ein bereits beschlossenes Sparpaket über 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein positives Ergebnis 2021 von 20 Millionen Euro.

Besorgt äußert sich Lederer auch über Ö3, dessen Marktanteil hinter jenen der Privatsender zurückgefallen ist, und über FM4: "Wie viele Untersuchungen – darunter eine große Positionierungsanalyse aller ORF-Sender – wollen wir noch machen, wo sind die Taten und die Umsetzung?", fragt der Stiftungsrat und Kommunikationsberater. Das Radio, seit Jahresbeginn geleitet von Direktorin Ingrid Thurnher, ist ein Schwerpunktthema im Programmausschuss des Stiftungsrats kommende Woche.

Ähnliches gelte für ORF 1, sagt Lederer – wo er "nichts erkenne, was den Abwärtstrend stoppen kann". Lederer hat 2021 für das aktuelle Direktorenteam gestimmt, er betont, er glaube an den Veränderungswillen von Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz. Sie verwies zuletzt im STANDARD-Interview auf hohe Marktanteile im Hauptabend für ORF 1. Programmneuerungen kündigt der ORF zur Programmpräsentation am 22. September an, eine Reportagereihe namens "Brennpunkt" startet kommenden Mittwoch in ORF 1.

Acht Millionen 2022, 30 Millionen für 2023 fehlen noch

Thema im Stiftungsrat kommende Woche ist die wirtschaftliche Lage des ORF in diesen Krisenzeiten. Für ein ausgeglichenes Ergebnis 2022 fehlen noch rund acht Millionen Euro, im Budget 2023 noch rund 30 Millionen – Sparmaßnahmen über 15 Millionen sollen schon identifiziert sein, mehr dazu hier.

Thomas Zach, Sprecher der ÖVP-nahen Stiftungsräte, sprach im STANDARD von den "größten Herausforderungen seit der Weltwirtschaftskrise 2008/9" für die aktuelle Geschäftsführung, aber auch von "Versäumnissen" der Vorgänger – darauf dürfte Lederer antworten mit Verweisen auf "Morgengaben".

Haushaltsabgabe mit sozialer Abfederung

"Sehr, sehr schwierig" wird die wirtschaftliche Lage für den ORF, sagt ORF-Stiftungsrätin Sigrid Pilz, von den Grünen ins oberste ORF-Organ entsandt. Sie erwartet und erkennt, dass "innerhalb des Unternehmens geschaut wird, an welchen Rädern man drehen, wo man sparen kann und etwa Doppelgleisigkeiten beseitigen kann".

Nachsatz mit Blick auf das Direktionsbüro beim Berliner RBB, wo gerade die Intendantin wegen des Verdachts von Vorteilsnahme gehen musste: "Eichenparkett gibt es bei uns ohnehin nicht."

Angesichts von Energiekosten – die mit rund 25 Millionen Euro einen Großteil der Mehrkosten ausmachen – und Teuerung sei das Schließen der Lücke für den ORF aber "schwer zu bewältigen". Es sei "Aufgabe der Politik sicherzustellen, dass das nicht unlösbar wird". ORF-General Weißmann hat gerade bekräftigt, dass der ORF 2022 und 2023 ein ausgeglichenes Ergebnis schaffen werde.

Wie sollte die Politik die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als "niederschwelligen, leistbaren Zugang zu Meinungsvielfalt, qualitätsvollem Diskurs, Bildung und kritischem Journalismus" (Pilz) sicherstellen?

Der Verfassungsgerichtshof habe mit seinem Erkenntnis, wonach GIS-freies Streaming verfassungswidrig sei, "den Elfmeter aufgelegt". Die Politik müsse diesen nun verwerten. Pilz plädiert – mit den Grünen – für eine Haushaltsabgabe für den ORF. Mit Befreiungen für sozial Schwache sei das die präferierte und gerechte Lösung, sagt sie.

2010 hat die damalige Bundesregierung von SPÖ und ÖVP dem ORF befristet GIS-Befreiungen abgegolten – zweimal 50 und zweimal 30 Millionen Euro über vier Jahre, gebunden an massive (Personal-)Sparprogramme.

Pilz fände eine neuerliche Refundierung diskussionswürdig: "Wenn das den ORF vor einer existenziellen Krise in den nächsten Jahren bewahren hilft – warum sollten Befreiungen nicht refundiert werden?" Der ORF verweist an der Stelle gern auf die Abgeltung von Telekom-Gebührenbefreiungen durch die Republik für sozial Schwache.

"Kleiner und günstiger"

Niki Haas, Medienanwalt und von der FPÖ in den Stiftungsrat entsandt, geht in eine andere Richtung: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird sich – wie in anderen Ländern – auf den Kernauftrag zu beschränken haben, um kleiner und günstiger zu werden." Damit würde der ORF "wieder breitere Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten".

Das sei in erster Linie eine Frage der Gesetzgebung, sagt Haas. Er hat sich im Juli im STANDARD-Interview für eine Budgetfinanzierung des ORF statt der GIS ausgesprochen.

Im Stiftungsrat kommende Woche will Haas Sparpotenziale ansprechen, erklärt er auf STANDARD-Anfrage. Als Beispiele nennt er den Fuhrpark des ORF – fast zwei Dutzend Dienstwagen für Führungskräfte soll es im Konzern geben – und Tochtergesellschaften. (fid, 9.9.2022)