Die Energieminister und Ministerinnen hielten bei ihren Beratungen in Brüssel auch eine Schweigeminute im Gedenken an Queen Elizabeth II. ab.

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Wien – Bei einem Krisentreffen haben sich die für Energie zuständigen EU-Minister für drastische Notfallmaßnahmen gegen die gestiegenen Strompreise ausgesprochen, darunter die Abschöpfung von "Zufallsgewinnen" der Erzeuger. Viele Details blieben nach den Beratungen von Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und ihren Kollegen am Freitag in Brüssel offen. Nun soll die EU-Kommission bis Mitte des Monats einen konkreten Gesetzesvorschlag vorlegen.

EU-Kommissarin: "Beispiellose Maßnahmen für eine beispiellose Situation"

"Ich bin sehr froh, dass sich die Minister darauf geeinigt haben, dass wir eine dringende und robuste EU-Lösung brauchen", sagte der tschechische Industrieminister Jozef Sikela, der das Treffen leitete. Energiekommissarin Kadri Simson kündigte an: "Wir werden nächste Woche beispiellose Maßnahmen für eine beispiellose Situation vorschlagen." Die EU-Länder beauftragen die Behörde unter anderem damit, die Möglichkeiten zur Abschöpfung von sogenannten Zufallsgewinnen auszuloten und und gegebenenfalls den Gaspreis zu deckeln.

Einig waren sich die Minister darin, dass die Maßnahmen befristet sein und Verbraucher entlastet werden sollten, wie aus einer Zusammenfassung des tschechischen Ratsvorsitzes hervorgeht. Zudem sollten die Grundlagen des Energiemarktes erhalten bleiben. Wie genau dies erreicht werden soll, ist offen – zumal nicht alle Unstimmigkeiten ausgeräumt wurden.

Übermäßige Gewinne verteilen

Helfen soll nach Ansicht der EU-Staaten unter anderem, übermäßige Gewinne der Stromproduzenten an Verbraucher zu verteilen und die Haushalte so zu entlasten. Da der Gaspreis vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark gestiegen ist, ist auch Strom teurer geworden. Das liegt daran, dass der Strompreis durch das teuerste Kraftwerk bestimmt wird, das zur Produktion eingeschaltet wird – derzeit sind das Gaskraftwerke.

Andere Energieproduzenten, die billiger Strom erzeugen – etwa aus Wind, Sonne oder Atomkraft – machen derzeit große Gewinne, weil sie ihren Strom auch zu dem höheren Preis verkaufen können. Ab einem gewissen Preis sollen diese Erlöse eingesammelt und zur Entlastung von Verbrauchern und Firmen genutzt werden. Auch eine Solidaritätsabgabe für andere Unternehmen, die mit fossiler Energie Geschäfte machen, wurde im Grundsatz unterstützt.

Gewessler: "Sinnvolles Projekt"

Gewessler hatte im Vorfeld dieses Treffens dies als "sinnvolles Projekt" bezeichnet. Zahlen oder Schätzungen, wie viel so eine Abschöpfung Österreich finanziell bringen würde, gebe es noch keine. Hier "kommt es auf konkrete Vorschläge" der EU-Kommission an, betonte sie nach der Sitzung.

Auch Deutschland hatte sich für so eine Maßnahme zur Abschöpfung von "Zufallsgewinnen" starkgemacht, aber auch andere Staaten wie Irland hatten den Vorschlag unterstützt. Der litauische Ressortchef Dainius Kreivys sagte dagegen, das sei für ihn eine "rote Linie". Unklar war, ob ein solcher Schritt für alle Länder verpflichtend wäre und wie hoch die Erlösgrenze für Stromproduzenten wäre.

Gewessler und Brunner gegen Preisdeckel für russisches Gas

Die Minister sprachen sich auch für weitere Notfall-Interventionen aus, inklusive Preisdeckel für Gas. Wie er aussehen könnte, blieb offen. Ein Gaspreisdeckel sei von der Perspektive des Marktes am schwierigsten umzusetzen, sagte Sikela. Er bat um mehr Zeit, damit die Staaten und die Kommission genau untersuchen könnten, wo der Preisdeckel greifen würde – etwa am europäischen Großhandel oder bei russischen Importen.

Ein Preisdeckel auf den Import von russischem Gas sei "aus derzeitiger Sicht für Österreich nicht machbar", betonte Gewessler. Österreich habe es zwar geschafft, die Abhängigkeit von russischem Gas von 80 auf 50 Prozent zu drücken, "aber wir sind noch nicht dort, wo wir hinmüssen". Zudem sei dies eine sanktions- und keine energiepolitische Frage.

Auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) sprach sich am Rande des heutigen Finanzministertreffens in Prag gegen einen Deckel auf rein russisches Gas aus. "Das würde aus meiner Sicht zu einer Verknappung führen bzw. führen können, wenn Russland entsprechend reagiert", so Brunner am Freitag.

Brunner: Gesamteuropäische Lösung nötig

Sehr wohl vorstellen könne er sich aber einen generellen europaweiten Deckel für alle Gas-Einkäufe, also auch beispielsweise Käufe aus Norwegen. Das müsse aber eine gesamteuropäische Lösung sein. Die heimische Regierung könne zwar die Bevölkerung stützen, ein Eingriff in die Preise müsse aber auf EU-Level passieren. "Die Trennung von Strom und Gas, das ist aus meiner Sicht geboten, da gehen mir die Vorschläge die EU-Kommission noch nicht weit genug", so Brunner.

Länder wie Italien und Belgien wünschen sich einen EU-weiten Gaspreisdeckel, der alle Importe betrifft. Die belgische Ministerin Tinne Van der Straeten sagte, eine Mehrheit der Staaten unterstütze diesen Schritt. EU-Kommissarin Simson hielt dagegen, dies könne die Versorgung gefährden. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, lediglich den Kaufpreis für Gas aus Russland zu deckeln. Dies wiederum lehnt Ungarn strikt ab, da das Land viel Gas aus Russland bezieht.

Offene Fragen beim Stromsparen

Offen ist auch, wie Maßnahmen zum Stromsparen gestaltet werden sollen. Mehrere Länder hatten sich im Gegensatz zu Österreich gegen verbindliche Vorgaben ausgesprochen. Die Maßnahme sei "sinnvoll, wenn man das europaweit macht, wenn wir das verbindlich machen", betonte Gewessler. Die Verbrauchsreduktion finanziell zu unterstützen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Preise sinken, sei ein "smarter Vorschlag".

Wenig Widerstand unter den EU-Staaten gab es dagegen, ein Instrument zu schaffen, um Energieversorgern zu helfen, die wegen der unsicheren Lage auf den Märkten in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Die Details muss nun die EU-Kommission ausarbeiten, ehe sich die EU-Staaten wiederum über die Gesetzesvorschläge beugen. Ein weiteres Ministertreffen könnte dafür noch in diesem Monat abgehalten werden. Gewessler geht davon aus, die Notfallmaßnahmen noch im September zu beschließen. "Wir können Themen des europäischen Strommarkts nicht national in Österreich lösen, da braucht es eine europäische Einigung", so die Ministerin nach dem Treffen.

Rufe nach Markteingriffen aus Österreich

Schon im Vorfeld des heutigen Treffens der EU-Energieminister mehrten sich in Österreich Forderungen, in den Energiemarkt einzugreifen. Entsprechende Rufe kamen aus den Reihen von SPÖ und ÖVP, sowie von Arbeiterkammer (AK) und Wirtschaftskammer (WKÖ). Die FPÖ will ein Ende der Russland-Sanktionen.

"Europa muss handeln, sonst lösen die weiter steigenden Energiepreise einen sozial- und wirtschaftspolitischen Tsunami aus", so SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Es brauche vorübergehend europaweite Höchstpreise für Strom und Gas, die politisch festgelegt werden. Von Energieministerin Leonore Gewesser (Grüne) vermisse er "einen konkreten Plan", wie die Preise sinken können.

Die FPÖ fordert indessen, dass in Anbetracht der steigenden Energiepreise die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufgehoben werden müssen. "Die einzig vernünftige Lösung ist eine Abkehr vom wirkungslosen Sanktionswahn gegen Russland, der die Teuerung immer weiter anheizt und unsere Energieversorgung gefährdet.", sagte FPÖ-Europasprecherin Petra Steger. Wenn Russland nicht mehr liefere, würde ein kalter Winter näher rücken und auch die Industrie "vor massiven Problemen" stehen. (APA, red, 9.9.2022)