Hillary Clinton steckt unter einer Decke mit Kinderschändern, und der Papst empfiehlt, Donald Trump zu wählen. Mit Fake-News-Geschichten wie diesen verdienten sich 2016 im US-Wahlkampf Schüler und Studentinnen von Veles eine goldene Nase – und beeinflussten das Rennen um das US-Präsidentenamt. Millionenfach geklickt, spülten solche Falschmeldungen dank Werbung tausende Euro in die Kassen der Schreiberinnen und Schreiber. Donald Trump gewann die Wahl, und Veles war das Epizentrum von Lügen und Desinformation. Eine kleine Stadt mit großer Wirkung, zwischen Faszination und Verachtung.

Was Veles von gezielter Propaganda und Manipulation, wie sie etwa von russischen Trollfabriken ausgeht, unterscheidet, ist, dass es nicht um Ideologie, sondern um Geld ging. "Diesen Leuten war es egal, wer Präsident wird, die wollten nur etwas verdienen", sagt Jonas Bendiksen. Der norwegische Fotograf war so fasziniert von den mazedonischen Fake-News-Schleudern, dass er selbst Fälschungen produzierte. Und damit beim World Press Photo Award reüssierte.

Teure Kleidung für Gratis-Avatare

Bendiksen war zweimal in Veles, um leere Zimmer, Gebäude oder Landschaften zu fotografieren. Alle abgebildeten Personen in seinen Fotos sind Avatare, computergenerierte 3D-Modelle, denen er mithilfe einer simplen Gratissoftware Leben einhauchte. Auch die Avatare selbst waren gratis, erklärt Bendiksen im Gespräch mit dem STANDARD, nur für die Kleidung, die Frisuren oder die Gadgets musste er blechen. Und zwar nicht wenig: "Ich bin nicht dafür bekannt, viel Geld für Kleidung auszugeben, aber die digitale Garderobe war sehr teuer", sagt er und lacht: "So viel habe ich noch nie für Kleidung bezahlt."

Fotograf Jonas Bendiksen zeigt die Gefahr der Desinformation.
Foto: Arnfinn Johnsen

Fotos und Text gefälscht

Sechs Monate nach Veröffentlichung der Fotoserie in The Book of Veles enthüllte Bendiksen, dass seine Bilder Fälschungen sind. So wie der begleitende Text. Er fütterte das Programm GPT-2, ein System zur Texterstellung, mit Informationen über die Fälscher von Veles – und fertig war der Text. Die Stadt Veles eignete sich auch deswegen so gut für sein Projekt, weil sie Namens geberin für Das Buch von Veles ist. Ein angeblich antiker Text über die Geschichte der Slawen und deren religiöse Moralvorstellungen, der eine Fälschung sein soll. Bendiksen verwob diese Geschichte in seinem Buch mit den Fotos sowie mit dem Gott Veles, einem der Hauptgötter in der slawischen Mythologie.

"The Book of Veles" von Jonas Bendiksen.
Foto: Jonas Bendiksen

Ursprünglich wollte Bendiksen nicht so lange warten, die Fälschungen als solche zu benennen, aber weder seine Kolleginnen und Kollegen bei der Fotoagentur Magnum noch eine Jury beim renommierten französischen Festival für Fotojournalismus Visa pour l’Image erkannte den Betrug. Obwohl es im Buch reihenweise Hinweise darauf gegeben habe und die Fotos bei genauer Betrachtung klar als Montage zu erkennen seien, wundert sich Bendiksen. Um aus der Nummer rauszukommen, kaufte er sich ein Fake-News-Profil, das als Chloe Miskin auftrat. Mit ihr infiltrierte er Fotografengruppen auf Facebook und Twitter und wies auf die Fälschungen hin.

Tarnen und Täuschen

Mit seinem Projekt wollte Bendiksen nicht das Publikum hinters Licht führen, sondern auf die Gefahren der Bildmanipulation und Desinformation hinweisen. Die Technologien zum Fälschen seien mittlerweile so gut, dass es eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung sei, Wahrheit von Manipulation zu unterscheiden. Tarnen und Täuschen sei nichts Neues, sagt Bendiksen. "Die Leute schreiben Lügen, seit sie schreiben können." Nur: Die auf künstlicher Intelligenz basierenden System ermöglichen es, die Produktion von Falschinformationen so weit zu automatisieren, dass es eine wahre Flut davon gibt. Ein Knopfdruck genügt. "Wir müssen so viel Energie, Ressourcen und Geld aufwenden, um das zu entlarven." Wenn die Leute nicht mehr wüssten, was sie glauben sollten, würden sie "passiv und desinteressiert". Eine Gefahr für die Demokratie.

Desinformationszeitalter

Für sein Projekt wurde Bendiksen beim World Press Photo Award als bester europäischer Beitrag in der Kategorie Open Format ausgezeichnet. Und das von einer Jury, deren Credo es ist, gegen Bildmanipulationen aufzutreten. Bendiksen habe auf intelligente Weise gezeigt, was es bedeutet, in einem Zeitalter der Desinformation zu leben, lautet die Begründung. Seine Fotos und jene seiner prämierten Kolleginnen und Kollegen sind seit Freitag in der Wiener Galerie Westlicht in der Ausstellung World Press Photo zu sehen. Bendiksen selbst kommt am 23. September nach Wien, um in der Galerie Westlicht über Fake News und Fotojournalismus zu sprechen. (Oliver Mark, 10.9.2022)

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Hinweis

Ausstellung "World Press Photo 22" von 9. September bis 23. Oktober im WestLicht, Westbahnstraße 40, 1070 Wien; täglich 11-19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr; Katalog zur Ausstellung erhältlich um 29 Euro.

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Foto: Jonas Bendiksen
Foto: Jonas Bendiksen
Foto: Jonas Bendiksen
Foto: Jonas Bendiksen
Foto: Jonas Bendiksen
Foto: Jonas Bendiksen
Foto: Jonas Bendiksen