Hannes Ratzberger streckt die geballte Faust in die Höhe, dann umarmt er seine Kuh mit dem Namen Balerina. Und dann umarmt Ratzberger noch einen anderen Jungbauern. Es ist die pure Freude. Gerade hat Josef Zieglgänsberger, der aus Bayern angereiste Preisrichter, die Balerina zur zweitschönsten Kuh ihrer Altersklasse gekürt. Während Ratzberger jubelt, ruft der Preisrichter ekstatisch ins Mikrofon: "Die Begründung ist das gnadenlose Euter, das Baucheuter, die Voreuteraufhängung – ein Phänomen!"

Es braucht viel Kraft, die oft 700 Kilo schweren Kühe zu bändigen.
Foto: Reiner Riedler

Dass seine Kuh nur den zweiten Platz gemacht hat, ist Ratzberger, dem Jungbauern aus Niederösterreich, in dem Moment egal, er feiert ihn wie einen Sieg. Sein halbes Leben schon hilft der 25-Jährige als Vorführer bei Kuhschauen wie dieser mit. Auch an diesem Sonntag in Freistadt wird er vier Kühe in den Ring führen. "Das ist schon ziemlich anstrengend", erzählt Ratzberger in einer Pause, in der rechten Hand den Halfter der Kuh Balerina, in der linken eine Flasche Freistädter Märzen. "Da braucht man halt ein paar Vitamine", sagt er und blickt grinsend auf sein Bier.

Die Voigasplattler aus Pichl bei Wels wärmen sich für ihre Showeinlage auf.
Foto: Reiner Riedler

Die Bundesfleckviehschau in Freistadt im Mühlviertel ist ein Schaulaufen der fittesten und schönsten Kühe Österreichs. "Wir küren hier die Schönsten unter den Besten", wird dem staunenden Gast von einem Rinderzüchter erklärt. Ein Schönheitswettbewerb unter echten Hochleistungskühen also. Wegen der Pandemie war das Spektakel zweimal verschoben worden, am ersten Septemberwochenende fand es nun statt. Vor der Rinderhalle am Rand von Freistadt ist ein Zelt aufgestellt worden, mit Tribünen und einem Schauring, durch den die Kühe geführt werden. Das Zelt taufte man "Raiffeisen-Tierarena". Die Halle selbst heißt "Rinderkompetenzzentrum", der Name verrät schon, dass es bei diesem Schönheitswettbewerb nicht nur um Äußerlichkeiten geht, sondern um Zuchterfolge. Im Ausstellungskatalog findet man 125 Schaukühe.

Rinderkompetenzzentrum

Hierzulande leben rund 1,87 Millionen Rinder, davon eine halbe Million Milchkühe. Österreich ist eine Fleckviehnation. Drei von vier Rindern sind Fleckvieh, eine Rasse zur Doppelnutzung, für Milch und Fleisch. Eine heimische Fleckviehkuh gibt im Leben rund 32.000 Liter Milch, 10.000 Liter mehr als vor 20 Jahren. Doch wie alle derzeit in dieser Welt stehen auch die Milchbauern unter Druck. Bei einem Fleckvieh-Weltkongress, zu dem sich Bauern und Wissenschafter kürzlich im Parkhotel Schönbrunn in Wien trafen, wurde nicht nur über Euter und Hufe gesprochen, sondern auch über den Klimawandel, die Bauernproteste in Holland oder vegane Konkurrenzprodukte.

Das Setting für die wiederkäuenden Models.
Foto: Reiner Riedler

Am Sonntag in Freistadt sind die Themen volkstümlicher. Zur Eröffnung der Schau um neun Uhr früh wird nicht mit Folklore gespart. Acht Landwirte marschieren mit je einer Kuh und der Fahne ihres Bundeslandes ein, allen Fahnen außer jene von Wien. Eine katholische Pfarrseelsorgerin segnet dann die Tiere für ihr doch recht kurzes Leben. "Herrschen meint in der Bibel nichts anderes als eine hohe Verantwortung gegenüber den Tieren und Menschen", erklärt sie, warum die Segnung eines Nutztieres für sie kein Widerspruch ist. Dann spielt die Stadtkapelle Freistadt die Bundeshymne, und schon geht der Wettbewerb los, Huf um Huf, Kuh um Kuh.

Ruhepause für die Schönheiten.
Foto: Reiner Riedler

Preisrichter Zieglgänsberger bekommt pro Runde meist sechs Kühe zu sehen. Junge Bauern und Bäuerinnen, ganz in Weiß gekleidet, bringen sie herein. Eine Kuhschau darf man sich nicht so leichtfüßig wie eine Hundemesse vorstellen, immer wieder spielt eine Kuh kurz verrückt und kann vom Vorführer nur mit Mühe gebändigt werden. Auch kann es vorkommen, dass die schönste Kuh sich im Schauring entleert. Meistens sind Helfer mit Kübeln rechtzeitig zur Stelle, aber nicht immer. Der Boden besteht aus Sägespänen mit grüner Lebensmittelfarbe, er erinnert an eine Alm und ist doch leicht zu reinigen.

Zieglgänsberger füllt seine Rolle als Preisrichter mit Schmäh und Pathos aus. Bei der steirischen Kuh Kamile, Mutter von vier Kälbern, gerät er ins Schwärmen: "Die stolziert mit einer Ausstrahlung, mit einer Würde, die ist einfach eine Erscheinung."

Die Kuhstylisten

Freitag, zwei Tage vor der Rinderschau. Magdalena Moser schert das Euter einer Jungkuh, in dicken Büscheln fällt das Fell zu Boden. Moser trägt wie ihr Freund Gerhard Stadler eine Latzhose. Die beiden sind sogenannte Kuhfitter, sie stylen Rinder. Mit Rasierschaum und Schermaschinen bringen sie Kuh und Euter in Form. "Der Euterboden soll flach in den Bauch verlaufen, durchs Scheren kann man diesen sanften Übergang betonen", erzählt Moser. Die 25-Jährige ist nebenberuflich Landwirtin und hat Agrarwissenschaften studiert.

Vor einer Schau wird nicht nur das Euter, sondern die ganze Kuh rasiert. "Es gibt auch Schwanztoupets für den Schweif, aber das macht die Kuh auch nicht besser", sagt Moser. Ihr Freund meint: "Die Kuh soll Kuh bleiben, wir wollen aus der Kuh kein Pferd machen." Am Ende sprüht Moser mit einem Zerstäuber noch Babyöl aufs Euter.

Vorbereitungen für die Begutachtung.
Foto: Reiner Riedler

Am Tag des Wettkampfs wird dieses Ritual mit Öl und Spray wiederholt, damit die Euter im Schauring schön glänzen. Das Euter soll stark sichtbare Adern haben, die Klauen sollen gepflegt sein, das Fell geschmeidig. Jeder der 125 Kuhschwänze ist am Sonntag, wenn nicht toupiert, so doch gebürstet. Um Tricks und Tierleid zu verhindern, gibt es ein Reglement. Die Schaukühe müssen maximal 15 Stunden vor ihrem Auftritt gemolken werden, damit die Euter nicht ungesund prall werden. Prüfer notieren die Melkzeiten und kontrollieren, ob alle vier Euterviertel abgemolken worden sind.

Ein Euter mit markanten Adern gilt als Ideal.
Foto: Reiner Riedler

Das "vorübergehende Versiegeln der Zitzen" ist erlaubt, aber nur mit elastischem Kollodium – um einen ungewollten Milchfluss während der Schau zu verhindern. Das mache der Kuh nichts, versichert ein Landwirt.

Die wohlgeformten Wiederkäuer werden in drei Kategorien ausgezeichnet: Jungkühe (mit einem Kalb), Kühe mit zwei bis vier Kälbern, Kühe mit mindestens fünf Kälbern. Ältere Kühe sind schwerer und haben größere Euter. Am Ende des Sonntags gibt es drei Bundeschampions. Aber auch ein Sieg in der Gruppenphase ist schon viel wert, wie man am Jubel mancher Besitzer merkt.

Vieles erinnert an ein Sportturnier: die Hymnen, die Fahnen, der Ehrgeiz der Betreuerteams. Der Wettbewerb wird auch per Livestream übertragen. Drei Kommentatoren begleiten das Geschehen, einer davon heißt Rupert Viehhauser, es gibt diese Zufälle. Was die Milchbauern auch mit Spitzensportlern gemeinsam haben: Sie fühlen sich in manchen Medienberichten unfair dargestellt. "Ihr schreibt ja nur über Landwirtschaft, wenn’s um Tiertransporte oder Klimawandel geht", so der Tenor.

Unter der oberösterreichischen Fahne leben bundesweit die meisten Kühe.
Foto: Reiner Riedler

Lebensleistung 100.000 Liter

Beim Weltkongress in Schönbrunn trifft man auch Österreichs Fleckvieh-Präsidenten Sebastian Auernig, einen Kärntner Landwirt und Schuldirektor. Er betont, dass auf den heimischen Bauernhöfen "die Menschen mit den Tieren leben", in emotionaler Verbindung. Er selbst erinnere sich, als er auf seinem Hof die erste Kuh mit einer Lebensleistung von 100.000 Litern altersbedingt abgeben musste. "Das war die Kuh Lena. Wenn man die zum Schlachter gehen lässt, will man lieber nicht daheim sein, wenn der Lastwagen kommt. Da fließen auch Tränen."

Große Freude über die Auszeichnung.
Foto: Reiner Riedler

Gesetzlich gab es für Milchkühe in Österreich in den vergangenen Jahren ein paar Verbesserungen. Die dauernde Anbindehaltung ist in Ausnahmen noch bis 2030 erlaubt, aber ein Auslaufmodell. Das Enthornen von Kälbern ist nur nach Sedierung durch einen Tierarzt erlaubt. Der Anteil von Biomilch ist bis 2019 auf 18 Prozent gestiegen. Tierschutzorganisationen kritisieren, die Ausnahmen bei der Anbindehaltung seien zu weitmaschig, die Verbesserungen zu klein. Auch Tiertransporte und die gestiegene Milchleistung werden beanstandet. Fleckvieh-Präsident Auernig hält entgegen: "Die Kuh kann nur gut Milch produzieren, wenn sie sich wohlfühlt."

Zur Tierwohlfrage ist für die Bauern die vergleichsweise junge Klimadebatte hinzugekommen – Wiederkäuer stoßen viel Methan aus. Stefan Hörtenhuber vom Institut für Nutztierwissenschaften der Boku Wien bemüht sich um ein differenziertes Bild: "Man sollte die Klimawirksamkeit des Methans neu bewerten. CO2 bleibt sehr lange in der Atmosphäre, während das durchschnittliche Methanmolekül nach zehn bis zwölf Jahren wieder abgebaut ist."

Der negative Effekt des Methans sei "geringer als vielfach angenommen". Züchter tüfteln dennoch bereits an der "methanarmen" Kuh, auch Zusatzstoffe im Futter könnten den Ausstoß reduzieren.

Die schwarzen Schafe

Rund neun Prozent der Menschen in Österreich leben vegetarisch, ein Prozent vegan, hieß es im Jahr 2020 von der Veganen Gesellschaft Österreich. Die meisten essen nach wie vor Fleisch, die allermeisten trinken Milch. Kritische Stimmen richten sich öfter gegen die Landwirtschaft als gegen das Gasthaus mit seinen Grilltellern oder gegen die Bäckerei mit ihren Cremeschnitten. Dabei sind sie alle Bestandteile des Milch- und Fleischmarktes. Kuhfitterin Moser erklärt sich die Heftigkeit vieler Debatten so: "Wir arbeiten mit Lebewesen, das löst Emotionen aus. Wenn in einem Büro ein schwarzes Schaf arbeitet, fällt das nicht so auf, wie wenn es einmal ein schwarzes Schaf unter den Bauern gibt."

Elvira, die schönste Kuh des Landes gehört Karin und Markus Lichtenegger (rechts) aus Kärnten. "Solche Momente hat man nicht oft im Leben", sagt der Landwirt.
Foto: Reiner Riedler

Zu den drei schönsten Kühen der Nation sind am Sonntag übrigens Elvira aus St. Margarethen im Lavanttal, Kamile aus Oberzeiring in der Steiermark und Wanda aus Kremsbrücke in Oberkärnten gewählt worden.

Und dort werden sie noch eine Zeitlang bleiben. Preisrichter Zieglgänsberger weiß in einer Pause zu berichten: "Eine Bundessiegerin wird nicht verkauft, eine Bundessiegerin behält man sich." (Lukas Kapeller, 10.9.2022)