Nicholas Latifi hat die Hoffnung nicht aufgegeben.

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Vom Wetter hängt es nicht ab. Latifi fährt im Williams immer hinterher.

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Böse Zungen behaupteten zuletzt: An Konstanz fehlt es Nicholas Latifi nicht. Immerhin schloss der Kanadier die vergangenen drei Grands Prix jeweils auf Rang 18 ab. Nüchtern betrachtet: Der Williams-Pilot ist vor dem 16. Saisonrennen in Monza am Sonntag (15 Uhr, live ORF 1) der letzte verbliebene Stammfahrer in der Formel 1, der heuer noch nicht gepunktet hat. 15 Mal probiert, 15 Mal ist überhaupt nix passiert. "Wenn alle 20 Autos ins Ziel kommen, ist meines nicht in der Lage, aus eigener Kraft zu punkten", sagte Latifi dem STANDARD zuletzt vorm Rennen in Spa. Man müsse auf einen glücklichen Rennverlauf hoffen, einen strategischen Genieblitz oder gravierende Fehler anderer Teams.

Ja, der FW44, so der Name des heurigen Williams-Boliden, wird nicht in die britische Motorsportgeschichte eingehen. Er hat zu wenig Grip, Probleme in Kurven und eine schlechte Balance, schlichtweg viel Luft nach oben – apropos: Windanfällig ist er auch noch. Hoch gewinnen wird Williams die Konstrukteursweltmeisterschaft nicht mehr. Latifi sagt, es mache wenig Unterschied, ob man um den 19. oder 20. WM-Platz fahre.

Das teaminterne Duell ist da schon aufschlussreicher: Denn Alexander Albon quetscht deutlich mehr aus dem Fahrzeug heraus, etwa Rang zehn in Spa und damit einen WM-Punkt. Insgesamt hält der Thailänder bei vier und liegt auch im Qualifying (13:2) klar voran. In Zandvoort nahm er seinem Rivalen zuletzt glatte 1,65 Sekunden in einer Runde ab. Alles Gründe, warum Latifis dritte Saison in der Königsklasse seine letzte sein könnte. Sein Vertrag läuft mit Jahresende aus, Albons wurde vor einem Monat langfristig verlängert. Ablösegerüchte kursieren wöchentlich im Fahrerlager. "Druck ist part of the game", sagt Latifi. "Ich kann mich nur auf mich selbst fokussieren."

Die Familie

Der Fokus auf den Rennsport legte er erst relativ spät. "Ich komme aus keiner Rennsportfamilie", sagt er. Mit zwölf Jahren stieg er erstmals ins Gokart. Das machte Spaß und wurde zum Hobby. Ein Rennstreckenbetreiber in Toronto entdeckte schließlich das Talent und machte ihm eine professionelle Karriere schmackhaft. "Ich habe Wettkämpfe schon immer geliebt", sagt Latifi. "Sogar in Videospielen." Mit 17 zog er nach England, seine Familie blieb in Kanada. Über die Formel 2, die er 2019 als Vize-Champion abschloss, arbeitete er sich schließlich in die Königsklasse. Sein Vater Michael, Eigentümer des Nahrungsmittelkonzerns Sofina, bescherte dem finanziell angeschlagenen Williams-Team eine üppige Mitgift.

"Die Rennerfahrung aus jungen Jahren fehlt mir natürlich", sieht Latifi einen Nachteil. Man lerne als Kind viel schneller, sagt er. "Das kann man nicht im Rennsimulator aufholen." Zum Vergleich: Weltmeister Max Verstappen debütierte als Vierjähriger im Gokart. Aber das könne er nicht mehr ändern, sagt Latifi. Und mittlerweile sind andere Faktoren entscheidender. "Du musst Vertrauen in dich selbst und ins Auto haben", sagt der 27-Jährige. "Du möchtest das Gefühl haben, dass du das Auto fährst und nicht das Auto dich."

Nachdem Latifi letzte Saison einen Aufwärtstrend zeigte, droht heuer wie in seiner Debütsaison 2020 eine Nullnummer. Die Top Ten jedes Rennens heimsen abstufend Punkte und die meiste TV-Zeit ein. "Es gibt Tage, da fährt man eben nur um Platz 16. Das ist nicht negativ, sondern realistisch", sagt der Kanadier. An der Motivation ändere dies aber nichts. Man fahre ja fürs ganze Team, für die Hospitality, die Presse- und die Marketingabteilung.

Im vergangenen Dezember stand Latifi ausnahmsweise im Mittelpunkt des F1-Trosses. Sein Crash in Abu Dhabi löste die legendäre und umstrittene Safety-Car-Phase aus, die Verstappen ermöglichen sollte, Lewis Hamilton im letzten Moment den WM-Titel zu entreißen. Latifi erhielt daraufhin Morddrohungen. "Was mich schockierte, war der extreme Ton des Hasses", sagte er damals. Es sei aber richtig, "diese Art von Verhalten anzuprangern und nicht zu schweigen". Was nach dem Unfall passierte, das dramatische WM-Finale, lag nicht mehr in seiner Hand.

Herauskitzeln

Ob er seine F1-Zukunft noch in der eigenen Hand hat? "Nicholas muss sein Potenzial zeigen", sagte Williams-Teamchef Jost Capito zuletzt. Höchstens sieben Rennen hat der Pilot dafür noch. Sein Paydriver-Status dürfte ihm wohl nicht mehr allzu stark helfen, nachdem die US-Investmentfirma Dorilton Capital das Traditionsteam übernommen und Geldsorgen gelindert hat.

Latifi betrachtet die Sache mangels Alternativen nüchtern: "Ich muss einfach die besten Resultate herauskitzeln." (Andreas Gstaltmeyr, 10.9.2022)