Normalen Bürgern und Konsumenten ist es am Ende wohl egal, wie die politisch Verantwortlichen die stark gestiegenen Preise für Strom und Gas runterdrücken. Sie treibt die Sorge um, Energierechnungen nicht stemmen zu können, wenn erst der Winter kommt, mit ihm Kälte und Dunkelheit; wenn also der Verbrauch von Wärme und Strom stark ansteigt, während Gaslieferungen nach Europa noch knapper werden, sollte Russland seine Lieferungen komplett einstellen.

EU-Energiekommissarin Kadri Simson, der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck, Griechenlands Energieminister Konstantinos Skrekas: Immerhin war man sich am Freitag in Brüssel einig, dass Übergewinne abgeschöpft werden sollen.
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Das hat der russische Präsident Wladimir Putin bereits angedroht. Dann könnten die Preise noch mehr in die Höhe schnellen, was auch für Industrie und Gewerbebetriebe, die viel Gas und Strom brauchen, ein Megaproblem darstellte. Die Debatte dazu läuft seit Wochen intensiv quer durch alle EU-Staaten.

Die Antwort auf diese Fragen ist aus Konsumentensicht einfach, verständlicherweise: Der Staat muss eben rasch auf den Energiemärkten intervenieren, sollte moderate Preise garantieren, am besten gleich festlegen.

Komplexe Energiemärkte

Das hört sich gut an, ist aber wegen der Komplexität, wegen der Struktur der europäischen Energiemärkte und der nationalen Besonderheiten, eine schwer zu lösende Aufgabe. Bei einem Sondertreffen der 27 Energieminister am Freitag in Brüssel konnte man diese Schwierigkeit erstmals konkret in der Praxis ablesen. Wochenlang hatten Experten der EU-Kommission mit Vertretern der Regierungen und Fachleuten der Energiebranche ein Bündel möglicher Maßnahmen zusammengetragen. Ein Plan von Präsidentin Ursula von der Leyen will drei grundsätzliche Wege aufzeigen, um die negativen Folgen der Energiekrise zu lindern. Erstens: Energie sparen. Zweitens: Obergrenzen bei Preisen für Strom und Gas. Drittens: soziale Abfederung stark Betroffener.

Sparmaßnahmen in den Staaten sollten dazu führen, dass der Verbrauch von Energie EU-weit um zehn Prozent pro Monat gesenkt wird, gemessen am Verbrauch der letzten fünf Jahre. Das würde Druck bei der Versorgung mit Brennstoff nehmen, vor allem beim Gas. Bei diesem Punkt waren sich die Energieminister rasch einig. Die Rechtsgrundlagen wurden bereits im Juli geschaffen. Da sollte es politisch kein Problem geben, auch weil das Nichtverbrauchen von Energie nichts kostet. Bürger und Industrie müssen es nur tun.

Die EU kann Empfehlungen abgeben, etwa dass die Industrie dort, wo es geht, die Produktion in die Nachtstunden verlegt, wenn insgesamt weniger Strom verbraucht wird. Das würde die Stromspitzen abflachen, wenn Strom am teuersten ist, weil er mit zugeschalteten Gaskraftwerken produziert wird.

Ganz anders und kontrovers lief die Debatte der Minister in der Frage, ob und wie man bei den Gaspreisen im Großhandel eine Obergrenze einführen könnte. Von der Leyen will das generell, mindestens aber einen Preisdeckel beim Handel mit Erdgas aus Russland. Gelänge es, den Gaspreis zu deckeln, könnte damit auch der Strompreis gedrückt werden. Denn da sich die Strompreise gemäß der "Merit-Order", wie das Preisfindungssystem an den Börsen genannt wird, orientieren, schlagen hohe Gaspreise direkt auf Strom durch.

Westliche EU-Staaten, die wenig vom russischen Gas abhängen, aber auch die Balten waren dafür, das sofort aufzugreifen. Die EU bezieht insgesamt nur noch neun Prozent ihres Gases aus Russland. Aber die Osteuropäer, Ungarn, die Slowakei und auch Österreich waren neben anderen strikt gegen diesen Vorschlag. Sie hängen nach wie vor sehr stark am russischen Gas, auch wenn einzelne den Bezug seit Jahresanfang reduziert haben. Klimaministerin Leonore Gewessler sagte in Brüssel, nur noch 50 statt vorher 80 Prozent des Gases kämen aus Russland. Zu viel.

Gasabhängigkeit lähmt Staaten

Niemand will das Risiko eingehen, dass Limits beim Gaspreis sofort dazu führen, dass der Kreml aus dem Gasgeschäft aussteigt. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck, der die "Entkoppelung" von Gas und Strom eigentlich befürwortet, sprach sich daher für eine Verschiebung dieses Plans aus, weil es keine Mehrheit gebe, solange einzelne Staaten gravierende Nachteile hätten. Noch.

Die Staaten müssen also bis auf weiteres auf nationaler Ebene handeln. Aber: Allein die Ankündigung von Absichten und EU-Maßnahmen erzielten gemeinsam mit schlechteren Konjunkturaussichten aber Wirkung: Die Gaspreise fielen Freitag auf den Märkten.

Sinken damit auch bald die Strompreise? Das ist noch ungewiss. Die EU-Energieminister waren prinzipiell aber einig, dass Übergewinne jener Stromproduzenten, die mit Sonne, Wind und Wasser besonders billig produzieren, abgeschöpft werden sollen. Die Kommission wird nun einen konkret ausformulierten Gesetzesvorschlag ausarbeiten. Er wird vorsehen, dass die abgeschöpften Gewinne aus Stromgeschäften von den Staaten für soziale Maßnahmen verwendet werden können. Das freut die nationalen Finanzminister, die bereits "Hilfspakete" schnürten.

Schutzschirme für Versorger

Wahrscheinlich ist auch, dass auf EU-Ebene ein Rettungsmechanismus kommen wird, der Energieunternehmen unter die Arme greift, wenn sie bei Börsengeschäften Liquiditätsprobleme bekommen. Solche "Schutzschirme" waren nach der Finanzkrise 2008 auch im Bankenbereich geschaffen worden. Vor zwei Wochen hatte der Fall der Wien Energie für Aufregung über die Landesgrenzen hinaus gesorgt. Das Unternehmen war wegen einer erforderlichen Garantieleistung in der Höhe von 1,7 Milliarden Euro für ein Futuregeschäft mit Strom kurzfristig an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten. Erst Milliardenkredite von Stadt Wien und Bund sicherten den Konzern ab. Solche Sicherheiten durch Hinterlegen einer Ausfallsumme sind bei Stromgeschäften üblich. Sie garantieren im Fall, wenn ein Stromverkäufer nicht liefern kann, dass der Käufer entschädigt wird und sich kurzfristig zum aktuellen Marktpreis mit Strom eindecken kann.

Wie der Schutzschirm für Liquiditätshilfen auf EU-Ebene konkret aussehen könnte, muss im Zuge einer langfristigen Reform des Merit-Order-Prinzips, nach dem die Strompreise EU-weit im Großhandel ermittelt werden, erarbeitet werden. EZB-Chefin Christine Lagarde hat am Freitag erklärt, dass die Regierungen den Versorgern durch fiskalische Maßnahmen unter die Arme greifen sollten, nicht aber die Zentralbank. So wie das in Schweden und Finnland angedacht ist. Die EZB fühlt sich nur für die Liquidität von Banken zuständig.(Thomas Mayer, 9.9.2022)