In den nächsten Tagen werden dem 73-Jährigen noch einige herausfordernde Situationen bevorstehen. Am Freitag zeigte er sich für seine neuen Aufgaben bereit.

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Wie viel ist geschrieben worden, wie viele Augenbrauen schossen in die Höhe beim Gedanken, dass dem strengen Reglement der Erbmonarchie zufolge irgendwann deren ältester Sohn der scheinbar immerwährenden Queen nachfolgen würde. Als larmoyanter, eitler, verwöhnter Mann ist Prinz Charles, der am längsten amtierende Thronfolger in der britischen Geschichte, über die Jahrzehnte beschrieben worden, und gewiss gab es immer wieder berechtigten Anlass für Zweifel. Nicht zuletzt gab es zuverlässige Anzeichen dafür, dass diese zwischenzeitlich von Elizabeth II selbst geteilt wurden.

Am Freitag, dem Tag nach der Todesnachricht aus Balmoral, präsentiert sich den Briten und der Welt zunächst ein trauernder Sohn. Mag ein 73-Jähriger auch rechnen müssen mit dem Tod seiner im 97. Lebensjahr stehenden Mutter – der Schmerz über den Verlust wird dadurch nicht geringer. Am Samstag wurde er offiziell zum König ernannt.

Schon früher hat Charles auf das Dilemma hingewiesen, das jeder Thronfolger, jede Thronfolgerin spürt: Erst ein Tod macht den Weg frei für die Aufgabe, auf die man sich ein Leben lang vorbereitet hat. Nie hatte die Königin den 6. Februar im Gedenken an den Beginn ihrer Amtszeit 1952 feiern wollen – es blieb zunächst und vor allem der Todestag ihres geliebten Vaters George VI. Wenn nicht alles täuscht, wird zukünftig der 8. September im Herzen des neuen Königs den gleichen Platz einnehmen.

Welle der Sympathie

Jedenfalls erwidert Charles die Beileidsbezeugungen und den Handkuss einer Londonerin mit den Worten: "Vielen Dank. Ich habe diesen Tag wirklich gefürchtet." Es ist Freitagnachmittag, vor dem Buckingham-Palast haben sich Tausende von Menschen versammelt. Als Charles und Camilla den Rolls-Royce mit der königlichen Standarte verlassen und die Anteilnahme der Wartenden entgegennehmen, brandet dem König eine Sympathiewelle entgegen. "God Save the King", rufen die Menschen immer wieder, als wollten sie alle Zweifel daran ausräumen, dass sich auch der neue König auf die Loyalität seiner Untertanen verlassen kann.

Charles und Camilla verschwinden im Palast, an dessen Fahnenmast die königliche Standarte hochgezogen wird, als Zeichen der Anwesenheit des Monarchen. Wenig später erscheint Premierministerin Liz Truss zu ihrer ersten Audienz beim neuen Staatsoberhaupt – Erinnerung daran, dass die wirtschaftlich schwer gebeutelte Insel binnen wenig mehr als zwei Tagen den Wechsel im höchsten Staats- und im höchsten Regierungsamt verkraften musste.

Erinnerung an Versprechen der Mutter

Am Abend wendet sich der Monarch in einer zuvor aufgezeichneten Fernsehansprache an die Bevölkerung. Es werde die Rede seines Lebens sein, hatten die Medien vorab spekuliert und damit erneut auf die Zweifel angespielt, ob der ältere Herr der gänzlich neuen Aufgabe gewachsen sein werde. Charles konfrontiert solche Gefühle frontal: Natürlich werde sich sein Leben ändern. Er werde nicht länger wie bisher seine Zeit und Energie den Wohltätigkeitsorganisationen widmen können, die ihm am Herzen liegen.

Stattdessen erinnert der Sohn an das rührende, auf tiefempfundener religiöser Überzeugung beruhende Versprechen, das die Mutter 1947, ein Jahr vor Charles‘ Geburt, als Kronprinzessin abgegeben hatte: Sie werde ihr "ganzes Leben, ob es lang währt oder kurz, dem Dienst an Ihnen und an der großen imperialen Familie widmen". Auch er wolle sich "feierlich zu lebenslangem Dienst an anderen verpflichten".

DER STANDARD

Versöhnende Worte

Im schwarzen Anzug am Tisch sitzend, ein Foto der strahlend lächelnden Queen neben sich, erinnert Charles an die lebenslange Arbeit seiner Mutter, an deren Pflichtgefühl und Hingabe an ihre Aufgabe. Für deren Erfüllung habe sie vielem entsagen müssen. Der König bedankt sich bei seiner "Königsgemahlin" (Queen Consort), wie Camilla von nun genannt wird – im royalen Protokoll eine Stufe über der Prinzgemahlin, die sie allenfalls hätte bleiben können, so wie Elizabeths Mann Philip als Prinzgemahl, keineswegs als Königingemahl, durchs Leben ging.

Ausdrücklich bestätigt Charles auch seinen Sohn und Nachfolger William als neuen Prinzen von Wales mit der nunmehr zur Prinzessin ernannten Kate an seiner Seite. Und er versucht eine versöhnende Geste gegenüber seinem jüngeren Sohn: "Ich möchte meine Liebe für Harry und Meghan ausdrücken, wenn sie weiterhin ihr Leben in Übersee aufbauen".

"Darling Mama"

Schließlich lässt der König auch seine eigene tiefe Religiosität aufblitzen. Er wendet sich an seine "Darling Mama" auf deren letzter Reise, bedankt sich und schließt mit dem Beginn der berühmten Komposition von John Tavener "Song for Athene": "Mögen Dich Engelscharen zur Ruhe singen" (May flights of angels sing thee to thy rest) – seinerseits ein Zitat aus Shakespeares "Hamlet".

Die erste Rede von König Charles III hat in den Medien Großbritanniens Lob hervorgerufen. "The Times" kommentierte am Samstag, der neue König habe mit seinen emotionalen Worten seinen Kritikern ganz direkt geantwortet. Die "Daily Mail" sprach von einer "exquisiten und zutiefst persönlichen Hommage" an Elizabeth II. Der "Daily Mirror" würdigte: "Das Versprechen unseres neuen Königs an die Nation: Loyalität, Respekt, Liebe." Die "Financial Times" titelte, der "lebenslange Lehrling" Charles III trete nun ins Rampenlicht.

Dem 73-Jährigen stehen in den nächsten Tagen noch viele delikate Situationen bevor. An diesem Freitag, dem Tag, an dem die Welt auf jedes Wort aus seinem Mund achtete, hat sich Charles III seiner neuen Aufgabe gewachsen gezeigt. (Sebastian Borger, 9.9.2022)