The Wandering Village, ein Werk des schweizerischen Stray Fawn Studio, ist alles andere als ein gewöhnliches Aufbauspiel. Das Indie-Game punktet im Test des STANDARD durch ein kreatives Setting mit entsprechend ausgefallenen Gameplay-Elementen, putziger Grafik und einem Soundtrack, der sich nicht hinter den Kompositionen sündhaft teurer Blockbustertitel verstecken muss.

Worum geht es bei "The Wandering Village"?

Nach einer Naturkatastrophe suchen die Menschen neue Möglichkeiten des Überlebens, und wir führen einen Stamm an, der ein ungewöhnliches neues Zuhause gefunden hat – nämlich auf dem Rücken eines Fantasiewesens, welches sich "Onbu" nennt.

Das Onbu hat einen eigenen Willen und bewegt sich gemächlich durch die postapokalyptische Welt – daher das Wort "Wandering" im Titel –, schläft zwischendurch und isst hier und da etwas. Währenddessen sehen wir zu, dass wir auf seinem Rücken ein neues Dorf aufbauen und so lange wie möglich überleben, während wir gleichzeitig versuchen, ein gutes Verhältnis zu unserem Wirt zu halten. Das tun wir nicht nur aus Nächstenliebe, sondern auch aus Eigeninteresse – aber mehr dazu später.

Grafik und Sound wie in einem Anime

Während vergangener Gaming-Events hatte The Wandering Village stets für Aufsehen gesorgt. Und das lag nicht nur am ausgefallenen Setting, sondern auch an der Grafik, derer sich das kleine Indie-Team bedient. Denn diese bemüht sich gar nicht erst um Fotorealismus, sondern orientiert sich viel mehr an den Animefilmen des legendären Studio Ghibli ("Mein Nachbar Totoro", "Prinzessin Mononoke"), wie auch im nachfolgenden Trailer unschwer zu erkennen ist.

Stray Fawn Studio

Was ebenfalls gleich ins Ohr springt, sobald man das Spiel startet: Der Soundtrack. Dieser orientiert sich mit seinen Panflöten und Andeutungen mongolischen Obertongesangs klar an der New-Age-Szene, fügt sich so aber auch schön in das Gesamtbild ein. Klar, nach ein paar Stunden Spielzeit nervt das ein wenig – aber mal ehrlich: Wer als RTS-Liebhaber noch keine Albträume vom Age of Empires 2-Soundtrack hatte, der werfe doch bitte den ersten Stein.

Die restlichen Sounds des Spiels fügen sich eher unauffällig in das Gesamtbild ein, Sprachausgabe gibt es keine.

Das übliche Gameplay...

In vielen Punkten hat The Wandering Village ein Gameplay, das sich an jenem anderer Aufbauspiele orientiert. So muss etwa dafür gesorgt werden, dass die Dorfbewohner glücklich sind, wofür diese erstens Nahrungsmittel und zweitens ein Dach über dem Kopf benötigen. Dafür bauen wir Zelte und Hütte und sorgen für Essen, indem wir Beerenpflücker und Bauern anstellen, deren Güter anschließend verarbeitet werden können.

In meinem Dorf ist immer etwas los.
Foto: Screenshot

Dabei muss natürlich immer auf die Ressourcen geachtet werden. Für jede Aufgabe werden Arbeiter benötigt, die wiederum Unterkunft und Verpflegung benötigen. die Errichtung von Häusern erfordert Holz und Stein, welche wiederum abgebaut und später auch verfeinert werden, um neue Gebäudetypen errichten zu können. Und dann müssen die Güter auch transportiert werden, weshalb man bei der Platzierung der Gebäude auf dem eingeschränkten Platz des Monster-Rückens entsprechende Wegzeiten einplanen sollte. Auch das Terrain ist entscheidend: Wer Pilze anbauen möchte, der braucht einen anderen Untergrund als ein Rübenbauer.

Schließlich gibt es dann noch die Forschungseinrichtungen, die – einmal errichtet und mit Personal ausgestattet – stets neue Gebäudetypen und Feldfrüchte erforschen, welche die Bauern anbauen können. Die neuen Gebäude wiederum schalten neue Spielelemente frei.

... und die Besonderheiten

Und genau bei diesen neuen Spielelementen wird es interessant, ermöglichen sie doch unter anderem eine Interaktion mit dem Onbu und mit der Welt, die er durchstreift. Hierzu ist es möglich, per Mausrad oder Icons zwischen drei Ansichten zu wechseln: Das Dorf, das Onbu und die Welt, durch welche unser Gastgeber spaziert.

Die Ereignisse im Dorf wurden bereits beschrieben – die anderen beiden Ansichten sind etwas ungewöhnlicher. So können wir in der Onbu-Ansicht etwa sehen, wie unser Onbu geht, schläft oder frisst. Und, Achtung: Manchmal schüttelt sich das Onbu auch, wodurch Gebäude in unserem Dorf einstürzen und anschließend wieder aufgebaut werden müssen.

Wir können dem Onbu Befehle erteilen – aber nur, wenn es uns vertraut.
Foto: Screenshot

Haben wir die entsprechenden Gebäude erforscht, so können wir auch mit dem Onbu interagieren. Mit einem Hornbläser können wir dem Onbu etwa Anweisungen geben, wie es sich bewegen soll – allerdings nur, wenn wir ein gutes Verhältnis zu ihm haben, denn das Monstrum hat einen eigenen Willen.

Hierzu ist es nötig, das Onbu bei Bedarf mit einem Onbu-Doktor medizinisch zu versorgen, es zu streicheln oder mit Futter zu versorgen: Dazu werden die zuvor erwähnten Pilze angebaut, zu Futter verarbeitet und dem Monster schließlich mit einem Katapult ins Maul geschossen. Am anderen Ende des Onbu-Vedauungstrakts kann wiederum ein Mistsammler installiert werden, welcher den Dung des Wesens zwecks Verarbeitung zu Dünger und Biogas auffängt.

Auf der Weltkarte sehen wir, in welche Katastrophe das Onbu demnächst hinein spaziert.
Foto: Screenshot

In der Weltansicht wiederum sehen wir eine Landkarte der Umgebung, durch die sich das Onbu bewegt. Verstehen wir uns mit dem Onbu gut genug, so können wir ihm an Weggabelungen eine Richtung vorgeben, in die es sich bewegt. Je nach eingeschlagenem Weg werden nämlich entsprechende Ereignisse getriggered: Wandert das Onbu durch einen Schneesturm, so hat das Auswirkungen auf unsere Ernte. Geht es durch eine Giftwolke, so müssen wir vergiftete Pflanzen in unserem Dorf fällen. Diese Naturereignisse sind der eigentliche Antagonist im Spiel – irgendwie auch eine interessante Abwechslung dazu, ständig auf irgendwas schießen zu müssen.

Schließlich ist es noch – wenn das entsprechende Gebäude erforscht wurde – möglich, Kundschafter an Orte auf der Karte zu schicken, so dass diese neue Ressourcen finden oder andere heimatlose Menschen ins Dorf aufnehmen.

Fazit: Wunderschön verträumt – aber nicht von Dauer

Ich hatte mich in The Wandering Village von Anfang an verliebt. Das liegt erstens an der Grafik, die wohl bei jedem Ghibli-Fan das Herz höher schlagen lässt, zweitens natürlich am Gameplay: Das außergewöhnliche Setting schafft auch neue Möglichkeiten in der Spielgestaltung, und so heben sich die Schweizer angenehm von der breiten Mainstream-Masse ab.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie viele Stunden The Wandering Village seine Käuferinnen und Käufer wirklich zu unterhalten vermag. Denn recht bald sind alle Technologien und Gebäudetypen erforscht, man hat verschiedene Szenarien und Herausforderungen durchlaufen – und dann fehlt es ein wenig an neuen Aufgaben, wie es eben Multiplayer-Titel wie Age of Empires 4 in Form von abendelangen Schlachten mit Freunden bieten können.

Wer sich aber ohnehin nicht ewig binden und lieber kurz in eine verträumte Welt schnuppern möchte, der macht mit diesem Spiel nichts falsch. The Wanderling Village erscheint am 14. September für PC. (Stefan Mey, 10.9.2022)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Ein Key für das Spiel wurde dem STANDARD zu Testzwecken von Stray Fawn Studio zur Verfügung gestellt.