Die Türkei und Griechenland streiten unter anderem um die Dodekanes Inseln.

Foto: ARIS MESSINIS / AFP

Am Samstagnachmittag ist es in der Ägäis unweit von Lesbos zu einem Zwischenfall gekommen, der das angespannte Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland weiter strapazieren wird. Ein türkisches Schiff namens Anatolian, das unter der Flagge der Komoren fuhr, wurde von der griechischen Küstenwache beschossen.

Nach der griechischen Version befand sich das Schiff in griechischen Hoheitsgewässern bei Lesbos und hätte auf Anfragen nicht reagiert. Die Küstenwache hätte daraufhin einige Warnschüsse abgegeben worauf das Schiff in türkische Hoheitsgewässer gefahren sei.

Nach türkischen Angaben befand sich das Schiff in internationalen Gewässern elf Meilen südlich der türkischen Insel Bozcaada. Die griechische Küstenwache hätte das Schiff beschossen und sei erst abgedreht, als die türkische Küstenwache herbeieilte und das Schiff in sichere Gewässer eskortierte.

Keine Verletzten

Tatsächlich werden in sozialen Medien in der Türkei mehrere von Besatzungsmitgliedern des Schiffes aufgenommene Videos gezeigt, auf denen zusehen ist, wie die griechische Küstenwache nahe an das Schiff heranfährt. Dann sind Schüsse zu hören und man sieht ein Fenster auf der Brücke, das von einer Kugel durchschlagen wurde. Personen wurden nicht verletzt. Die Besatzung besteht aus Seeleuten aus Somalia, Ägypten, Aserbaidschan und der Türkei.

Die Türkei hat von Griechenland eine Erklärung gefordert, die griechische Botschaft in Ankara reagierte auf Anfragen nicht. Die Anatolian ist ein uraltes, völlig heruntergekommenes Schiff, das von Somalia kommend durch die Dardanellen und den Bosporus in Schwarze Meer fahren sollte, um dort in einer Werft wieder aufgepäppelt zu werden. Von seinem heruntergekommenen Äußeren her, kann es von der griechischen Küstenwache für eines der Schrott-Schiffe gehalten worden sein, mit denen manchmal illegal Flüchtlinge transportiert werden, allerdings war es nicht in Richtung Griechenland oder Italien unterwegs, sondern eindeutig in Richtung türkischer Küste und den Dardanellen.

Türkische Jets im Visier

Griechenland ist in den vergangenen Monaten immer wieder nachgewiesen worden, dass sie Flüchtlinge durchillegale Push-Backs zurückdrängen und dabei durchaus den Tod von Geflüchteten in Kauf nehmen. Zur Verteidigung behauptet die griechische Regierung, die türkische Gendarmerie und Polizei würden Flüchtlinge gewaltsam über die griechische Grenze drängen.

Dazu kommt, dass Griechenland und die Türkei seit Monaten einander die Verletzung ihrer Hoheitsgewässer oder ihres Luftraumes vorwerfen. Zuletzt waren türkische Jets während eines von der Nato erbetenen Fluges über offenem Meer westlich von Rhodos von einem griechischen Raketenabwehrsystem erfasst worden, dass auf Kreta stationiert ist. Das gilt international als kriegerischer Akt. Die türkische Regierung hatte diesen Vorfall bei der Nato gemeldet und sich massiv beschwert.

Dodekanes Inseln

Der Streit hatte sich zuletzt am Status der Dodekanes-Inseln vor der türkischen Küste entzündet. Diese Inseln gehörten, als sie 1912 von Italien besetzt wurden, zum Osmanischen Reich. Als die Inseln nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 von Italien an Griechenland abgegeben wurden, wurde vertraglich vereinbart, dass sie demilitarisiert sein müssen.

Die Türkei beklagt seit längerem, dass Griechenland den Vertrag verletzt und immer mehr Militär auf die Inseln verlegt. Athen behauptet, man tue dies, weil die Türkei die Inseln vom Festland aus durch Landungsboote bedrohe. In diesem Zusammenhang hatte die türkische Regierung zunächst behauptet, Griechenland stelle seinen Besitz der Inseln durch die Vertragsverletzung selbst infrage und später sogar mit einem Militäreinsatz gedroht.

In einer Rede hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan gesagt, die Griechen sollten sich in Acht nehmen, sonst "wären wir eines Nachts plötzlich da". Nach dem letzten Zwischenfall am Samstag droht nun eine weitere Eskalation. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 11.9.2022)