Die ÖVP gebe "ihre Werte auf", erklärte Sachslehner anlässlich ihres Rücktritts. Wie isoliert ist sie mit dieser Position?

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Die ÖVP hält sich dieser Tage an Ludwig Wittgenstein. Tractatus logico-philosophicus heißt sein zentrales Werk, worin zu lesen ist: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Grund für die neue Verschlossenheit ist der jüngste Richtungsstreit in der ÖVP. Und der Anlass dafür ist wiederum Laura Sachslehner.

Nach nicht einmal einem Dreivierteljahr als ÖVP-Generalsekretärin legte Sachslehner am vergangenen Samstag – nach einer von ihr angezettelten Diskussion über die Streichung des Klimabonus für Asylwerber, einem unverhohlenen Infragestellen der Koalition mit den Grünen und wohl auf Drängen der eigenen Parteispitze – ihre Funktion nieder. Den heiklen Abgang würzte Sachslehner noch mit der Aussage, dass die ÖVP "ihre Werte aufgebe".

Diskussionsfreude in der Partei

Während man in der Landespartei in Wien, wo Sachslehner weiterhin Gemeinderätin bleiben wird, mitunter Respekt für sie und ihre Positionen kundtat, war sonst am Wochenende kaum jemand bereit, den Clinch zu kommentieren. Sowohl Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer als auch Klubobmann August Wöginger blieben auf Tauchstation.

Parteichef Nehammer soll seiner Ex-Generalsekretärin die Rute ins Fenster gestellt haben. Nach ihrem Rücktritt blieb er auf Tauchstation.
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Im wahlwerbenden Tirol, wo der umstrittene Klimabonus für Asylwerber vonseiten der ÖVP erstmals thematisiert wurde, erklärte man am Sonntag auf STANDARD-Anfrage nur knapp: "Wir können über alle Themen reden, nur nicht über den Rücktritt von Frau Sachslehner."

Zumindest in Oberösterreich positioniert man sich offen hinter dem Kanzler. Es drohe keine Abspaltung in der Partei, stellt Landesgeschäftsführer Florian Hiegelsberger klar. "Karl Nehammer wurde gerade erst im Frühjahr mit 100 Prozent eindrucksvoll zum Parteiobmann gewählt. Eine Partei, die nicht mehr diskutiert, wäre eine tote Partei." Und auch beim Klimabonus für Asylwerber bleibt man in Oberösterreich auf Linie: "Diese Frage wurde auf Bundesebene bereits gemeinsam festgelegt."

Fehlender Erfolg lässt Konflikte aufbrechen

Für den Politologen Peter Filzmaier kommt die Kursdebatte nicht überraschend: "Es ist etwas, was in Erfolgszeiten überdeckt wird – aber der Grundkonflikt zwischen einer bürgerlich-liberalen bis gemäßigten Haltung etwa bei Themen wie Zuwanderung sowie Asyl und einer rechtskonservativen Überzeugung begleitet die ÖVP zeit ihres Lebens."

Diese Konfliktlinie habe man immer nur durch "das einende Element Erfolg" befrieden können. In dem Moment, wo dieser Erfolg nicht mehr vorhanden sei, breche so ein Konflikt sofort wieder auf, sagt der Experte. "Etwa, wenn wie aktuell Umfragewerte nicht passen oder ein Absturz bei einer Landtagswahl droht."

Den Grund für das schlechte Abschneiden dürfte eine nicht unbedeutende ÖVP-Fraktion in Sebastian Kurz’ Abgang sehen. In deren Denke steht die Partei so schlecht da, weil Kurz fehlt – und nicht, weil er so viel Schaden angerichtet hat. Für dieses Lager gilt Kurz immer noch als Sehnsuchtsfigur, Sachslehner war eine seiner letzten Verbündeten.

Filzmaier glaubt jedoch nicht, dass Sachslehner mit ihren Positionen innerparteilich eine breite Mehrheit hinter sich hat. Das Problem sei vor allem die Tatsache, dass der Richtungsstreit auf öffentlicher Bühne ausgetragen wurde. Filzmaier: "Da ist es egal, wer die Mehrheit hat, der Schaden ist angerichtet."

Sitzungsverlängerung

Hektische Versuche, diesen noch irgendwie zu dezimieren, gab es am Wochenende seitens der Wiener ÖVP. Landesparteichef Karl Mahrer stellte sich per Aussendung demonstrativ hinter Nehammer. Ein Facebook-Posting von Klubchef Markus Wölbitsch, in dem er Sachslehner Rosen streute und der Parteispitze ausrichtete, sich wieder auf "Mitte-rechts-Politik" zu besinnen, wurde vom Netz genommen. Landesgeschäftsführer Markus Keschmann verhängte zusätzlich in einem Rundschreiben einen Maulkorb.

Markus Wölbitsch zollte Sachslehner in einem Posting Respekt – löschte es später aber wieder.
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Eine für Montag anberaumte Sitzung des Landesparteivorstands ist keine Krisensitzung im engeren Sinn, sie war bereits vor Sachslehners Rücktritt anberaumt, um Schwerpunkte für den Herbst zu besprechen. "Die könnte jetzt etwas länger werden", sagt ein Türkiser zum STANDARD.

Neben den Anzeichen, wonach die Wiener ÖVP eher zum Team Sachslehner tendieren könnte, werden hinter vorgehaltener Hand nun auch kritische Stimmen laut. Sachslehners Abgang sei ihr letzter "Selbstprofilierungsversuch" gewesen, ist aus Funktionärskreisen zu hören. Lediglich eine kleine Gruppe, die auf dem absteigenden Ast sei – gemeint sind die Kurz- und Blümel-Fans – gebe ihr recht, nicht aber die Mehrheit.

Türkis-grüner Deal aus Sommer 2021

Ausgehandelt wurde der Klimabonus – auch für Asylwerber – übrigens bereits im Sommer 2021. Das kolportierte Tauschgeschäft: Auf Drängen der Grünen sollte niemand davon ausgeschlossen werden, auf Zutun der ÖVP sprang mehr für ländliche Gebiete heraus.

Abgesehen davon hätte die Regierung mit dem Ausschluss von Asylwerbern wohl auch einen Konflikt mit EU- und Verfassungsrecht provoziert. Was Sachslehner wohl verdrängt hat: Verhandelt hat den Deal mit den Grünen niemand Geringerer als Kurz. (Stefanie Rachbauer, Markus Rohrhofer, Fabian Schmid, 11.9.2022)