Feierstimmung bei den Sozialdemokraten. Sie stellen die stimmenstärkste Partei.

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Die Wahlparty der Schwedendemokraten.

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Premierministerin Magdalena Andersson (links) mit Parteijugendchefin Lisa Nabo am Sonntagabend in der Parteizentrale der Sozialdemokraten.

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Auch die Grünen sind in Feierlaune: Es gelang ihnen laut SVT-Umfrage, ihren Stimmenanteil um 1,4 Prozentpunkte auf 5,8 Prozent zu steigern.

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Glückliche Liberale. Sie kamen den Exit Polls zufolge auf 4,7 Prozent, ein Verlust von 1.1 Prozentpunkten, aber über der Vierprozenthürde.

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Stockholm – Der Wahlkrimi um das äußerst knappe Rennen zwischen dem Mitte-links-Bündnis und dem konservativen Lager in Schweden wird am Montag noch kein Ende finden. Ein vorläufiges Ergebnis werde es frühestens am Mittwoch geben, wenn Stimmen aus dem Ausland sowie verspätete vorzeitig abgegebene Stimmen ausgezählt worden seien, teilte die schwedische Wahlbehörde der Nachrichtenagentur TT mit.

Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und ihr konservativer Herausforderer Ulf Kristersson gaben sich bei Ansprachen vor Parteianhängern um ein Uhr Früh entsprechend zurückhaltend. Kristersson sprach etwa davon, dass er "vereinen und nicht teilen wolle".

Um sieben Uhr Früh waren rund 95 Prozent der Stimmen ausgezählt.

Linker Vorsprung gekippt

Anderssons Sozialdemokraten waren da mit rund 30,5 Prozent der Stimmen zwar erneut auf dem besten Weg, die mit Abstand stärkste Kraft zu werden. Insgesamt lag jedoch der konservativ-rechte Parteienblock ihres Herausforderers Kristersson knapp vor Anderssons linksgerichtetem Lager. Der Abstand zwischen den Blöcken betrug gerade einmal 0,9 Prozentpunkte. Erste Prognosen hatten am Sonntagabend noch das Lager der Regierungschefin in Führung gesehen. Danach war die Mehrheit zugunsten des konservativen Lagers gekippt. Montagfrüh lagen gerade einmal 47.000 Stimmen zwischen den beiden Lagern.

Das Kopf-an-Kopf-Rennen war so knapp, dass sich viele Spitzenpolitiker am Abend zunächst mit Aussagen bedeckt hielten. Nur ein Wort fiel auf den Wahlpartys immer wieder: "Spannend!". Die schwedischen Medien sprachen von einem "valrysare" – einem Wahl-Thriller.

175 Mandate erforderlich

Die acht Parlamentsparteien teilen sich in Schweden derzeit in zwei Vierergruppen auf – einen linksgerichteten und einen konservativen Block. Anderssons Lager verfügte vor der Wahl über die minimale Mehrheit von 175 der 349 Parlamentssitze, Kristerssons Block über 174. Am späten Sonntagabend sah die Lage beim schwedischen Rundfunksender SVT genau andersherum aus: Dort lag Kristerssons Lager gegen 23.15 Uhr bei 175 Mandaten und Anderssons bei 174.

Mit Blick auf die einzelnen Parteien ist das Ergebnis dagegen recht klar: Anderssons Sozialdemokraten bleiben in Schweden stärkste Kraft. Erstmals zweitstärkste Kraft werden demnach die Schwedendemokraten, Kristerssons Moderate folgten auf Rang drei.

Drei Szenarien

Der Präsident des Reichstags, Andreas Norlén, nannte im schwedischen Fernsehen SVT Montagfrüh drei mögliche Szenarien für die kommenden Wochen. Entweder die Premierministerin trete noch vor der Bildung des neuen Parlaments zurück, dann wird die Regierungsbildung sofort beginnen.

Oder Andersson bleibt noch im Amt und wartet auf die verpflichtende Premierministerinnen-Abstimmung kurz nach der Neubildung des Reichstags. Das dritte Szenario ist nur möglich, wenn es zu dieser Wahl kommt – dann kann Andersson natürlich bestätigt werden und im Amt bleiben oder verlieren, und es kommt erst dann zur Regierungsbildungsphase.

Anspruch der Schwedendemokraten

Unabhängig vom Wahlausgang dürfte Schweden wie schon nach der Parlamentswahl vor vier Jahren eine langwierige Regierungsbildung bevorstehen. Der konservativ-rechte Block setzt eigentlich auf Kristersson – der Vorsitzende der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, könnte angesichts des starken Abschneidens seiner Partei jedoch ebenfalls Ansprüche anmelden. Am Wahlabend betonte der Parteichef die Ambition, Teil der neuen Regierung zu werden. Die einwanderungsfeindliche Partei könnte damit zum ersten Mal direkten Einfluss auf die Politik nehmen.

Die aus der Neonazi-Bewegung Ende der 80er-Jahre hervorgegangene Partei um Åkesson war 2010 mit 5,7 Prozent der Stimmen erstmals in den schwedischen Reichstag eingezogen, 2018 erreichten sie bereits 17,5 Prozent.

Andersson lehnt Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten ab

Im Wahlkampf hatten die Parteien darum gekämpft, wer am härtesten gegen die Bandenkriminalität vorgeht, nachdem ein stetiger Anstieg an Schießereien die Wähler verunsichert hatte. Weitere Themen waren die steigende Inflation und die Energiekrise nach der russischen Invasion in der Ukraine.

Der Aufstieg der nationalistischen Schwedendemokraten in den vergangenen zehn Jahren fällt mit einer deutlichen Zunahme der Einwandererzahl zusammen. Schweden mit seinen zehn Millionen Einwohnern nahm in diesem Zeitraum fast eine halbe Million Asylwerber auf. Die klare Ablehnung von Zuwanderung und gleichzeitige Verteidigung des schwedischen Wohlfahrtsstaats machten die Schwedendemokraten bei Wählern aus unteren Einkommensschichten und Pensionisten beliebt.

Die bisherige Ministerpräsidentin Andersson sagte bei ihrer Stimmabgabe, der Wahlausgang werde "sehr, sehr knapp". Die 55-Jährige hatte vor einer Regierung gewarnt, "die völlig von den Schwedendemokraten abhängig ist". Das wäre "ein anderes Schweden, das wir für vier Jahre haben würden".

Nato-Beitritt und EU-Präsidentschaft

Die wirtschaftlichen Turbulenzen, explodierende Energiepreise, der infolge des Ukraine-Krieges erstmals angestrebte Nato-Beitritt sowie die EU-Ratspräsidentschaft 2023 stellen die künftige Regierung vor große Herausforderungen.

Der schwedische Reichstag in Stockholm hat 349 Sitze. Für eine Mehrheit sind somit 175 Mandate notwendig. Um genau diese äußerst knappe Zahl zu erreichen, sind Andersson und ihre rein sozialdemokratische Minderheitsregierung bisher auf die Unterstützung der liberalen Zentrumspartei, der Linken und der Grünen angewiesen gewesen. Der konservativ-rechte Block, der vom Moderaten-Chef Kristersson angeführt wird, verfügte bisher über die restlichen 174 Sitze.

Andersson, deren Partei in Schweden traditionell die stärkste Kraft ist, wurde erst im November 2021 als Nachfolgerin ihres Parteikollegen Stefan Löfven und als erste Frau überhaupt zur Ministerpräsidentin von Schweden gewählt. Unter ihr hat das Land Mitte Mai im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Antrag auf eine Nato-Mitgliedschaft gestellt. (red, APA, 12.9.2022)