Burgtheaterdirektor Martin Kusej (li) und Auto Daniel Kehlmann auf der Probebühne des Burgtheaters.

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Als der Berliner Schauspieler Daniel Brühl im vergangenen Jahr seinen ersten Spielfilm vorstellte, war das Erstaunen groß. Nebenan erzählt die Geschichte zweier Berliner Nachbarn, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In einer Eckkneipe treffen sie aufeinander und geben sich für 90 spannungsgeladene Minuten die Kante. Brühl spielt sich selbst und zerlegt wie nebenbei sein eigenes Strahlemann-Image, neben ihm brilliert Peter Kurth. Jetzt kommt Brühls Debüt ans Theater. Autor Daniel Kehlmann hat aus seinem eigenen Drehbuch ein Theaterstück gemacht, inszeniert wird die Uraufführung von Burgtheaterdirektor Martin Kušej (Premiere am 15. Oktober). Die Videoversion dieses StandART-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Herr Kehlmann, Sie haben die Uraufführung von Nebenan nicht wie in der Vergangenheit der Josefstadt anvertraut, sondern dem Burgtheater. Wird die Burg Ihre neue Wiener Theaterheimstatt?

Kehlmann: Daniel Brühl und ich haben die Uraufführung gemeinsam dem Burgtheater gegeben, weil das Burgtheater es machen wollte. Ich glaube grundsätzlich nicht an diese seltsame Haremsrhetorik, dass ein Theater soundsoviele eigene Autoren hat, die dann aber anderswo nichts aufführen dürfen. Und ich weiß, dass auch Herbert Föttinger es nicht so sieht. Man arbeitet mit Menschen zusammen, mit denen man das gerne tut.

STANDARD: Mittlerweile werden viele österreichische Ur- und Erstaufführungen an der Josefstadt gezeigt. Dabei hat das Burgtheater diesbezüglich eine lange Tradition. Wird diese Rolle wieder stärker forciert, Herr Kušej?

Kušej: Auf jeden Fall. An unserem Haus werden viele lebende Autorinnen und Autoren gezeigt, gleichzeitig haben wir auch eine eigene Schiene etabliert, um vergessene österreichische Autorinnen des 20. Jahrhunderts wiederzuentdecken. Aber keine Frage: Das Burgtheater ist das erste Theater, das österreichische Dramatik spielt.

STANDARD: Nebenan funktioniert wie ein Kammerspiel. Als Sie das Drehbuch geschrieben haben, Herr Kehlmann, war Ihnen da sofort klar: Das ist ein Theaterstoff?

Kehlmann: Weil ich das Theater liebe, sind viele Sachen, die ich schreibe, vom Theater beeinflusst. Mein Roman Ich und Kaminski ist teilweise ein in einem Roman verstecktes Theaterstück. Der Roman F spielt anfänglich auf einer Bühne. Bei Nebenan spielte auch Daniel Brühls Wunsch hinein, dass der Stoff überschaubar bleiben sollte. Ich habe nie daran gedacht, dass daraus einmal ein Theaterstück wird. Es war aber durchaus das Stückhafte, das Dramatische, das mich an dem Stoff gereizt hat.

STANDARD: Nebenan ist ein genuin Berliner Film, es geht um Ost-West-Konflikte, Gentrifizierung. Funktioniert das überhaupt in Wien?

Kehlmann: Die Geschichte muss in Berlin spielen, wir haben überlegt, ob man sie nach Wien verlegen könnte, aber es geht einfach nicht, und es wäre auch unnötig. Denn was ist das Problem daran? Man kann ja auch in Wien sitzen und Tolstoi lesen, und man würde sich nicht darüber beklagen, dass das Buch nicht in Wien spielt.

STANDARD: Daniel Brühl spielt im Film sich selbst bzw. ein schlechtes Klischee von sich als Schauspieler. Am Burgtheater spielt Florian Teichtmeister diesen schnöseligen Yuppie. Damit fällt die wunderbare Selbstpersiflage weg. Schade, oder?

Kušej: So ist es nicht. Daniel heißt in unserer Aufführung Florian und ist ein Wiener Schauspieler, ein Serienstar, genauso wie Teichtmeister. Also auch diesbezüglich passt das alles sehr gut zusammen. Er hat in Berlin eine Wohnung bezogen.

STANDARD: Sie kommen aus einer Film- und Theaterfamilie, Herr Kehlmann. Macht Ihnen der böse Blick auf das Schauspielgewerbe Freude?

Kehlmann: Ich habe überhaupt keine Aggressionen gegen Schauspieler, nur Sympathie und Bewunderung. Es war vielmehr eine Grundidee von Daniel Brühl, sich selbst nicht zu schonen. Dieser künstlerische Mut hat mich sehr beeindruckt. Während des Drehbuchschreibens kam Daniel mit immer neuen Ideen, um seinen Charakter noch peinlicher, eitler, ekelhafter zu machen. Hut ab!

Kušej: Man darf ja nicht vergessen, dass das Ganze auch boshaft sarkastisch gezeichnet ist. Am Burgtheater habe ich mit sehr vielen Schauspielerinnen und Schauspieler zu tun, von denen ich solche Eigenschaften nicht kenne. Dass man sich selbst auch mal kritisch sieht oder man sich über sich selbst lustig macht, ist doch wunderbar. Das Schöne am Film oder dem Stück ist: Obwohl dieser Schauspieler ein Kotzbrocken ist, finden wir ihn irgendwann sympathisch, weil er von einem anderen Kotzbrocken, der auf seine Art ebenso sympathisch ist, auseinandergenommen und zerstört wird. Sympathie und Antipathie durchdringen sich. Ich habe eine geradezu sentimentale Liebe zu den beiden "Losern" in diesem Lokal. Für mich sind das zwei Menschen, die kein Glück haben, die aber davon träumen, dass sie Glück haben werden.

STANDARD: Die Vorlage von Nebenan ist ein Film. Dramatisierungen von Romanen oder Filmen prägen schon lange die Spielpläne. Viele Zuschauer mokieren sich darüber.

Kehlmann: Allgemein teile ich die Kritik, und das sage ich als jemand, dessen Romane sehr oft dramatisiert werden. Es gibt viele wunderbare Stücke, die man nicht zu sehen bekommt, stattdessen sieht man Romandramatisierungen. In unserem Fall liegt die Sache aber anders: Ich habe selbst das Stück zu meinem Drehbuch geschrieben, in diesem Fall handelt es sich wirklich um ein eigenständiges Theaterstück.

Kušej: Auch ich sehe das kritisch. Als Burgtheaterdirektor lasse ich mich von dem einen oder anderen Projekt überzeugen. Aber ich bin davon überzeugt, dass man nicht jeden Romanstoff dramatisieren kann. Mit Filmen habe ich meist noch größere Probleme: Das passt meistens einfach nicht. Ich vertraue auf Theaterstücke, es gibt auch einen Kanon, den man immer wieder entdecken und befragen kann. Mich irritieren all diese Projekte auf unseren Theatern. Aber mich irritiert sowieso einiges an unserer derzeitigen Theaterlandschaft. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, 12.9.2022)