Mit einer überraschenden Offensive haben die ukrainischen Streitkräfte innerhalb von wenigen Tagen ein Gebiet von der Größe Vorarlbergs zurückerobert. Wie dauerhaft dieser zweite große Erfolg nach dem Scheitern der russischen Offensive bei Kiew sein wird, bleibt abzuwarten.

Es ist wohl noch zu früh, um über einen Wendepunkt in diesem Krieg zu sprechen, aber die politischen Folgen der jüngsten Entwicklung sind für den russischen Diktator verheerend. Westliche Militärexperten weisen darauf hin, dass Wladimir Putin ohne die bisher aus Angst vor der Reaktion der Bevölkerung verdrängte generelle Mobilmachung von Wehrpflichtigen keine wesentlichen Erfolge bei seiner "begrenzten militärischen Operation" erringen könne.

Die Hauptschuld für die Krise trägt Wladimir Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine.
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Vor allem werden jene Stimmen in Deutschland und auch in Österreich widerlegt, die die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine aus einer Mischung aus Interesse und Ignoranz verteufeln und den Ukrainern hochmütig empfehlen, den Territorialforderungen Russlands nachzugeben. Putins jüngster Auftritt beim Östlichen Wirtschaftsforum war wieder ein Versuch, die Kontrolle über die Deutung der Folgen seiner Aggression zu gewinnen und den Westen unter dem Druck hoher Energiepreise und der Angst vor dem Winter zum Einlenken zu zwingen. Bei aller Einzelkritik an Hilfspaketen und Regulierungsmaßnahmen der Regierungen darf man nicht vergessen, dass die Hauptschuld für die Krise mit seinem Überfall auf die Ukraine Wladimir Putin trägt. Wir dürfen nicht in die Falle tappen, die der Diktator stellt. Für die Alternativen zur westlichen Politik gilt auch heute noch die Feststellung des großen konservativen britischen Denkers Edmund Burke (1729–1797): "Jede politische Entscheidung ist eine Wahl zwischen dem Unangenehmen und dem Unerträglichen."

Es geht nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die Verteidigung der demokratischen Werteordnung, des wertbasierten westlichen Gesellschaftsmodells, die Absicherung der Prosperität und der offenen liberalen Demokratie. Das Putin-Regime schürt seit Jahren einen Konflikt mit dem Westen. Seine treuesten Büttel waren stets die rechtsextremen Parteien, die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich und Marine Le Pens Nationale Front in Frankreich. Diese Gruppen und die als Störenfried in der EU wirkende ungarische Regierung Viktor Orbáns fordern, alle Sanktionen aufzuheben. Orbáns Bereitschaft, so wie sein Land auch Polen und die baltischen Staaten dem Gutdünken des Diktators in Moskau auszuliefern, wurde von Putin bereits mit Gas belohnt. Zugleich trägt sein prorussischer Kurs zum Zerfall der sogenannten Visegrád-Gruppe (mit Polen, Tschechien und der Slowakei) bei.

Laut einer Studie der Universität Yale haben die Sanktionen die Wirtschaft Russlands hart getroffen. So sei die heimische Autoproduktion beinahe zu einem kompletten Stillstand gekommen. Die westliche Rüstungshilfe und vor allem die jüngsten Erfolge auf dem Schlachtfeld tragen entscheidend dazu bei, die überfallene Ukraine in eine bessere Position für künftige Friedensverhandlungen zu bringen. (Paul Lendvai, 12.9.2022)