Bärtierchen sind außergewöhnliche Lebewesen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht so spektakulär daherkommen: Kaum größer als ein Sandkorn, kriechen oder schwimmen die walzenförmigen Winzlinge mithilfe ihrer acht Stummelbeinchen durch praktisch alle Biotope der Erde. Auch ihr Speiseplan ist äußerst variantenreich. Während sich einige Arten ausschließlich vegetarisch von Pflanzenzellen ernähren, gehen andere auf die Jagd nach Fadenwürmern oder Rädertierchen, die sie mit einer Art Rüssel anstechen und aussaugen.

Was Bärtierchen, auch bekannt als Tardigraden, so einzigartig macht, ist ihre schiere Unzerstörbarkeit, die sie der Kryptobiose verdanken, einem todesähnlichen Zustand, in dem sie selbst die extremsten Umweltbedingungen unbeschadet überdauern können. So zeigten Experimente, dass diese gleichsam unkaputtbaren Superhelden der Tierwelt sogar mehr aushalten können, als irgendeine Umgebung auf der Erde zu bieten hat. Bärtierchen verkraften beispielsweise den sechsfachen Druck, der am tiefsten Punkt der Erde im 11.000 Meter tiefen Marianengraben herrscht.

Bärtierchen werden selbst mit den widrigsten Umweltbedingungen fertig. Wie sie das schaffen, ist nur zum Teil geklärt.
Foto: APA/AFP/NATURE / Tanaka S. / Sagara H. / Kunieda.

Überleben im Weltraum

Selbst den lebensfeindlichsten Bedingungen, die man sich vorstellen kann, ist das Bärtierchen gewachsen: 2007 wurden Tausende von ihnen in den Orbit geschossen und der tödlichen Strahlung im Vakuum des Weltraums ausgesetzt. Nicht nur, dass die meisten unversehrt zurückgekehrt sind, viele Weibchen unter ihnen legten Eier, aus denen gesunde Nachkommen schlüpften.

Wie es den Bärtierchen gelingt, diese extremsten Bedingungen in ihren Resistenzstadien zu überleben, ist nach wie vor nicht völlig geklärt – weshalb es einige Wissenschafter für möglich halten, dass diese Wesen sogar außerirdischen Ursprungs sein könnten. Ihr Argument: Eine Lebensform, die selbst die harte Strahlung des Alls und Temperaturen von –270 Grad Celsius schadlos übersteht, muss diese Fähigkeit evolutionär erworben haben, also unter Bedingungen, die nur im All zu finden sind.

Dauerhaft ohne Wasser

Andere Forschende halten das freilich für Unsinn und suchen stattdessen im Genom und in den Proteinen der Bärtierchen nach anderen Gründen für ihre Unzerstörbarkeit. Einem wichtigen Faktor ist nun ein Team um Takekazu Kunieda von der japanischen Universität Tokio auf die Spur gekommen: Die Gruppe entdeckte den Grund dafür, warum es Bärtierchen gelingt, trotz völliger Austrocknung weiterzuleben.

Obwohl Wasser als essenzielles Molekül zur Aufrechterhaltung von Stoffwechselvorgängen und zellulärer Integrität als unverzichtbar gilt, tolerieren Bärtierchen eine vollständige Dehydration. In einer trockenen Umgebung verlieren die kleinen wirbellosen Tiere allmählich praktisch ihre gesamte Körperflüssigkeit. In diesem als Anhydrobiose bekannten Zustand ziehen sich ihre Leiber zu einer geschrumpften runden Form zusammen, in der sie auch andere Widrigkeiten für lange Zeit problemlos überstehen können. Verbessern sich die Bedingungen wieder, erwachen die Bärtierchen innerhalb weniger Minuten nach der Rehydrierung zu neuem Leben.

Video: Das extreme Leben der Bärtierchen.
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Gegen den zellulären Kollaps

"Obwohl Wasser für alles Leben, das wir kennen, unerlässlich ist, können einige Bärtierchen potenziell jahrzehntelang ohne Wasser auskommen", sagte Takekazu Kunieda vom Department of Biological Sciences der Uni Tokio. Wie sein Team nun im Fachjournal "PloS Biology" berichtet, liegt der Trick der Bärtierchen darin, wie ihre Zellen mit diesem Stress während des Dehydrierungsprozesses umzugehen. Offenbar verhindert ein bestimmtes Protein, dass die Körperzellen völlig kollabieren.

"Nachdem wir verschiedene Arten untersuchten, stellten wir im Zytoplasma große Mengen an hitzelöslichen CAHS-Proteine (cytoplasmic-abundant heat soluble) fest, die es in dieser Form nur bei Bärtierchen gibt", meinte Kunieda. Diese Proteine würden die Zellen der Tardigraden vor den Folgen der Austrocknung schützen.

Wie sich zeigte, bilden die CAHS-Proteine während der Dehydrierung gelartige Filamente, die sich untereinander vernetzen und so die Form der Zellen aufrechterhalten können, wenn diese ihr Wasser verlieren. Das Besondere daran: Der Prozess ist reversibel, das heißt, wenn die Bärtierchenzellen rehydriert werden, ziehen sich die Filamente in einem Tempo zurück, das die Zellen nicht übermäßig belastet. Der Effekt zeigte sich bei diesen Proteinen auch außerhalb der Bärtierchenzellen.

Mikroskopische Aufnahmen zeigen, dass CAHS-Proteine in den Bärtierchenzellen während der Austrocknung ein Netzwerk bilden, das die Integrität der Zellen auch ohne Wasser gewährleistet.
Fotos: A Tanaka/T Kunieda

Schwierige Analysen

Die Analyse dieser Proteine erwies sich allerdings als Herausforderung. "Um die Proteine sichtbar zu machen, mussten wir sie einfärben, um sie unter unseren Mikroskopen sichtbar zu machen", erklärte Akihiro Tanaka, Co-Autor der Studie. "Das typische Färbeverfahren erfordert in der Regel jedoch Lösungen, die Wasser enthalten, was freilich bei Experimente, für die die Wasserkonzentration ein wichtiger Faktor ist, ein Problem darstellt. Also griffen wir zu einer Lösung auf Methanolbasis."

Als Nächstes will sich das Team nun den mehr als 300 andere Arten von Proteinen zuwenden, die ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Unzerstörbarkeit der Bärtierchen spielen. "Alles an den Bärtierchen ist faszinierend", sagte Kunieda. "Die extreme Vielfalt an Umgebungen, in denen die verschiedenen Arten überleben können, erlaubt uns, nie zuvor beobachtete Mechanismen und Strukturen zu erforschen. Für uns Biologen ist dieses Feld eine wahre Goldgrube." (tberg, 12.9.2022)