Selten, dass man eine Bar am helllichten Tage von innen sieht. Entweder hat man die Grenzen der Sperrstunde bis aufs Letzte ausgereizt oder etwas am Vorabend verloren und hofft es nun tagsüber und weniger illuminiert wiederzufinden. Oder man arbeitet dort, wie Dominik Oswald an diesem Nachmittag. In der Hammond Bar in der Taborstraße, am unteren Spitz des Augartens im zweiten Bezirk in Wien, zupft er hinter der Theke einzelne verwelkte Blätter von der Minze. Die Sonne wirft ein ungewohntes Licht in den abends sonst harmonisch gedimmten Raum. Picobello zusammengeräumt ist es, kein Glas ist verrutscht. Es ist die Bar, in der Oswald, der beste Barkeeper Österreichs, sein Können zeigt.

Fixfertige Drinks erobern den Getränkemarkt. Gin Tonic in Dosen oder Cosmopolitan in der Flasche übernehmen für einen die Mixerei zu Hause
Foto: Katharina Gossow

Das Freudestrahlen in seinen einladenden Augen verblasst, als ich die gekühlten Dosen Whiskey Cola und Malibu aus der Tasche hole. Dann übermannt Oswald doch die Neugier. Er greift zu den Fläschchen und Dosen, in denen die Ready-to-drink-Cocktails abgefüllt sind. Seit den Corona-Lockdowns sind Fertigmischungen am Getränkemarkt als Ersatz für den Barbesuch immer prominenter geworden. Dieser Boom ist seither nicht abgeflaut, große Firmen lancieren regelmäßig neue Mischkulanzen mit schwankender Qualität. Der Mix-Profi wird die abgefüllten Drinks wie Mojito und Cosmopolitan auf ihren Geschmack und ihre Trinkbarkeit testen. Von Diskonter-Ware bis zu exklusiven Signature-Drinks aus heimischen Bars ist alles dabei.

Espresso Martini, Cosmopolitan, Mojito: Viele Cocktails braucht man gar nicht mehr selbst zu mixen.
Foto: Katharina Gossow

Oswald lässt mich herrichten, eine Rauchpause braucht er dann bitte vorher doch noch. Der 29-jährige Wiener begann seine Restaurantfachmann-Lehre im Sofitel, mixte danach in der Blauen Bar im Hotel Sacher, seit sieben Jahren kreiert er Drinks in der Hammond Bar. Im Juni dieses Jahres gewann Oswald die World Class Bartender Competition und wurde zum besten Barkeeper des Landes gekürt. Mitte September muss er in Sydney Talent und Kreativität beweisen, es geht darum, wer weltweit die besten Drinks mixt. Fertige, abgepackte Cocktails zu testen scheint dabei eine ganz neue Herausforderung für ihn zu sein.

Jugenderinnerungen

Zuerst probieren wir die Drinks in ihrem puren und fixfertigen Zustand – gekühlt oder mit Eis aufgemixt. Danach werden die verbesserungswürdigen Drinks vom Profi gepimpt. "Eines kann ich jetzt schon sagen, austrinken werde ich nicht", sagt Oswald mit der Dose Malibu Pineapple in der Hand. "Zuerst riechen, dann einen ersten Schluck nehmen, so gewöhnt sich der Mund an den Alkohol, und beim zweiten Schluck schmeckt man schon viel mehr", erklärt der Barkeeper das Tasting.

Mit ein paar Zutaten könne man ein fertiges Getränk aufpeppen, zeigt sich Top-Barkeeper Dominik Oswald optimistisch. Da hat er nicht mit Cola-Whiskey aus der Dose gerechnet
Foto: Katharina Gossow

Künstlich nach Kokosnuss riecht es. "Und künstlich nach Ananas", fügt Oswald verschmitzt hinzu. Konzentriert schnuppert er an dem hohen Glas mit trüb-gelber Flüssigkeit. Eine penetrante Süße dominiert den Geruch.

Überraschend sprudelig und überraschend okay im Geschmack ist der Malibu-Mix. "Die Erwartungen waren niedrig, aber es ist trinkbar." Mit ein paar Zutaten könne man das Getränk aufpeppen, zeigt sich Oswald optimistisch. Erinnerungen an lange Nächte bei Maturabällen werden wach.

Ein weiteres Trendgetränk: Espresso Martini, ein Cocktail aus Wodka, Espresso und Kaffeelikör.
Foto: Katharina Gossow

Passend zu fatalen Jugenderinnerungen öffnet der Barkeeper eine Dose Jim-Beam-Whiskey mit Cola. Oswald ist Whiskey-Fan, "aber mit Cola in der Dose ist mir das noch nicht untergekommen". Natürlich habe Oswald nicht immer nur hochwertigen Alkohol getrunken, er hatte eine Phase mit Malibu Cola oder Malibu mit Milch.

Der Barkeeper schwenkt leicht das Glas, nimmt einen ersten, einen zweiten Schluck. "Es schmeckt nicht nach Cola, es hat absolut keine Perlage mehr." Zudem ist das Dosen-Mixgetränk extrem wässrig. "Ich verstehe den Sinn nicht, warum man Whiskey Cola in eine Dose abfüllen und zu horrenden Preisen verkaufen muss, wenn ich im Supermarkt Cola und Whiskey einzeln kaufen kann", hinterfragt Oswald. 2,19 Euro kostet der Drink im Handel. "Frechheit!", nuschelt der Barkeeper ins Glas.

Boom

Fertige Cocktails haben besonders während der ersten Lockdowns am Getränkemarkt einen Zuwachs erfahren. Bis 2025 erwarten Analysten, dass Ready-to-drink-Produkte acht Prozent des weltweiten Alkoholmarktes einnehmen werden. Große Player wie Coca-Cola springen auf den Trend auf, eine Kooperation mit Whiskey-Hersteller Jack Daniel’s wird noch heuer lanciert. Neben Klassikern wie Rum oder Whiskey mit Cola schaffen es auch speziellere Kreationen wie Piña colada oder Moscow Mule ins Supermarktregal.

Neben Klassikern wie Rum oder Whiskey mit Cola schaffen es auch speziellere Kreationen wie Piña colada oder Moscow Mule ins Supermarktregal.
Foto: Katharina Gossow

Oswald schenkt den Mojito-Likör von Hofer in Highball-Gläser. Servierempfehlung gibt es auf der Flasche keine, dafür eine schöne Sonnenuntergangsgrafik. Spannend sei für den Barkeeper, dass das Getränk stark nach Minze riecht, obwohl gar keine drin ist. Beim ersten Schluck reckt es Oswald: "Wos is des?", entfährt es ihm auf Wienerisch. Pur ist der Mojito nur als Shot auf einer Feier zum 18. Geburtstag trinkbar, meint er, ansonsten fehlen Soda, Säure und richtige Minze.

Ähnlich schwierig: Der Gin Tonic von Malfy. Die erste Kostprobe schmeckt für mich wie abgestandenes Sprite. "Das Bittere des Tonic schmecke ich raus, eine leichte Gin-Note ist da. Aber ich hab’ nichts Sprudeliges", bessert mich der Profi aus. Mit Alkohol sei es schwierig, die Perlage zu erhalten, meint Oswald. 3,49 Euro kostet der fertige G&T in schöner Flasche.

Corona-Ideen

Von Speakeasy und der Bar Tür 7 stammt der fertige Cosmopolitan. "Die wissen eigentlich, was sie machen", sagt Oswald freudig, endlich guten Alkohol in Händen zu halten. Doch: "Es riecht ein wenig medizinisch." Der Cocktail-Profi schmatzt bei der ersten Kostprobe etwas zu lang. Zu sehr dominiert die künstliche Fruchtnote, die überhaupt nicht an Cranberry erinnert. "Die Frische fehlt, und sehr alkoholisch schmeckt’s", zieht Oswald sein Fazit. Eine "gute Basis", meint der Profi, aber ob das Preis-Leistungs-Verhältnis bei 17 Euro für eine Halbliterflasche stimmt, hinterfragt er.

Um fertige Drinks zu verbessern, braucht es für den Profi oftmals nicht viel: Zitrone oder Limette bei sauren Drinks bringen Frische und Lebendigkeit hinein. Das hilft auch, um zu penetrante Süße auszubalancieren. Oswald empfiehlt weiters, mit Kräutern wie Basilikum, Rosmarin und Minze zu experimentieren. Besonders in einen Mojito gehören laut dem Barkeeper mindestens 15 bis 20 Blätter frische Minze hinein.
Foto: Katharina Gossow

Mit gleich 14,50 Euro für 100 Milliliter schlägt der Negroni der Wiener Josef-Bar zu Buche. Bereits seit 2017 bieten die Barchefs die fertigen Cocktails an, während der ersten Lockdowns habe man dann den Versand auf ganz Österreich ausgeweitet. Ähnlich macht es auch die Plattform Drinks at Home, die seit Corona Signature-Drinks österreichischer Barkeeper mit blumigen Namen wie Tahona Gimlet und La Gurk’aracha als Fertigmischung vertreibt. Mit Eiswürfel und Orangenschale garniert sei der Bottled Negroni laut dem Experten Oswald "auf jeden Fall sehr gut", verbessern würde er nichts daran. Im Hype um den Negroni sieht der Profi eine logische Weiterentwicklung des Gin-Tonic-Trends: "Die Leute schätzen das Bittere und die Süße."

"Zuerst riechen, dann einen ersten Schluck nehmen, so gewöhnt sich der Mund an den Alkohol, und beim zweiten Schluck schmeckt man schon viel mehr", erklärt der Barkeeper das Tasting.
Foto: Katharina Gossow

Zum Schluss wird ein weiteres Trendgetränk eingeschenkt: der Espresso Martini, ein Cocktail aus Wodka, Espresso und Kaffeelikör. Meine Zunge ist mittlerweile etwas schwerer geworden. Ein wenig Koffein schadet da eh nicht. Oswald schüttelt den 15-Euro-Espresso-Martini der Marke Tails mit Eis auf. "Ich bin überrascht, weil er mir doch sehr zusagt", so das erste Fazit des Barkeepers. Der Drink duftet und schmeckt süßlich-vanillig, etwas zu viel für uns. "In unserer Bar schmeckt er mehr nach Kaffee und nicht nach Starbucks." Die Halbliterflasche sei für ihn aber die Überraschung des Tages. Um die Süße zu reduzieren, würde er Absinth in das Glas sprühen, für "Frische und eine feine Anisnote".

Aufwertung

Draußen ist es langsam dämmrig, drinnen dagegen quirlig geworden. Die Bar-Chefin stellt die Barhocker fürs Aufsperren her. Dominik Oswald hat sich hinter die Bar begeben, er will ein paar ausgewählte Fertigcocktails von "Kann-man-trinken" zu "Will-ich-trinken" vollenden. Man erkennt seinen Ehrgeiz, man erkennt meinen leichten Rausch. Oswald selbst trinkt kaum. Wenn er Cocktails mixt, probiert er ein, zwei Tropfen von seinem Handrücken, um den Geschmack zu testen. Er könne seine Arbeit nicht richtig machen, sagt er, wenn er etwas getrunken habe.

Die meisten Bottled Cocktails haben eine Anleitung für den perfekten Genuss zu Hause, und das heißt: mit Eis im Shaker mixen. Das sorgt für eine Vermischung der Aromen und eine Verwässerung starker Spirituosen.
Foto: Katharina Gossow

Beim Cosmopolitan greift Oswald tief in die Mixologie-Trickkiste. Ihm geht’s darum, das dominierende künstliche Cranberry-Aroma wegzubekommen. Je einen Zentiliter Zitronensaft, Orangenlikör und Himbeerschnaps gibt er mit Eis in den Shaker. "Es ist halt dann kein Cosmopolitan mehr", sagt Oswald. Egal, bereits das Grundprodukt schmeckte auch nicht danach. Fruchtiger, frischer hat er ihn gezaubert, aber an einen gut gemixten Klassiker kommt selbst Oswalds Version nicht heran.

Aus der Lade zieht der Barkeeper die zuvor geputzte Minze und schlägt sie auf seinen Handrücken – so entfaltet sich das gesamte Aroma – und drückt sie in ein hohes Glas. Aus dem Mojito-Likör mixt er mit Rum und Limettensaft eigentlich einen neuen Drink: "Zumindest haben wir uns den Zucker erspart", lacht er und macht sich an die Malibu-Mischung. Dazu spritzt er die Kokos-Ananas-Basis mit Ginger-Beer zu einem Mule auf. "Das bringt eine leichte Würzigkeit, Frische mit rein. Ansonsten kann man das Getränk mit Soda oder Tonic toppen für eine bittere Note." Oswald empfiehlt, zusätzlich mit Kräutern wie Minze und Basilikum zu spielen.

Praktische Mischung

Eine Dose Jim Beam Cola steht noch zum Pimpen auf dem Bartresen. Oswald blickt resigniert drauf: "Das kann ich nicht mehr retten. Das Süße vom Cola und das Abgestandene krieg’ ich nicht raus." Der beste Barkeeper Österreichs hat seinen Endgegner gefunden. Er packt seinen Shaker weg, legt die Cocktaillöffel in die Abwasch, die Minze wird verstaut. "Bevor ich um 20 Euro einen Bottled Cocktail kaufe, gehe ich in eine Bar und genieße ihn dort", resümiert Dominik Oswald den Test. Er versteht sehr gut, dass Bars sich vor allem im Lockdown neue Wege erschlossen haben, ihre Drinks an den Mann und an die Frau zu bringen. Auch wenn einige davon gut abgemischt waren, würde er persönlich das Ambiente einer Bar vorziehen.

Auf der einen Seite der Ready-to-drink-Cocktails hat man die billigeren und praktischen Mischkulanzen, die für den Park oder das Schwimmbad ideal sind, von denen man aber nicht mehr erwarten darf, als der Preis und die Verpackungen versprechen. Kein Fusel, aber auch keine Offenbarung. Auf der anderen Seite stehen die Luxuskreationen der Cocktailbars, die als Geschenk ideal sind, aber für einen Drink zu Hause auf der Couch schon fast wieder zu teuer. Immerhin überzeugen sie geschmacklich.

Bevor die ersten Gäste in die Hammond Bar kommen, stopfe ich mir noch ein paar Nüsse in den Mund, in der Hoffnung, dass sie die vielen Kostproben aufsaugen. Dominik Oswald wird noch für die World Competition trainieren, während ich in den lauen Abend torkle. (Rondo, Kevin Recher, 15.9.2022)