Popsängerin Kati Kovács als Eszter in Márta Mészáros’ Erstling "Das Mädchen" (1968)

Foto: Hungarian National Film Archive

Isabelle Huppert und Lili Monori in "Erbinnen" (1980)

Foto: Hungarian National Film Archive

Mit Martin und Márta gibt es zur Saisoneröffnung großes Kino im Österreichischen Filmmuseum zu sehen. Martins Filme sind nicht wegzudenken aus der Filmgeschichte, Márta wird gerade wiederentdeckt. Martins Nachname ist Scorsese, Mártas' Mészáros.

Márta Mészáros wurde 1932 in Ungarn geboren, wuchs aber in Kirgisistan auf. Nachdem ihr Vater den stalinistischen "Säuberungen" zum Opfer gefallen und auch ihre Mutter gestorben war, wurde die Waise von einer sowjetischen Funktionärin adoptiert. Gegen deren Linientreue begehrte sie auf, ebenso wie gegen die Männergesellschaft, in der sie, zurück in Ungarn, trotz Widerständen begann, Filme zu machen.

Die Erste

Ihr erster Langfilm Das Mädchen gilt als der erste Film einer ungarischen Regisseurin – was zwar nicht ganz korrekt ist, aber dennoch ihren Status als "die Erste" gut beschreibt: erster Goldener Bär auf der Berlinale 1974 für das Fabrikarbeiterinnendrama Adoption, erster Großer Preis der Jury in Cannes 1984 für Tagebuch für meine Kinder, den ersten Teil einer autobiografisch inspirierten Trilogie über Ungarns Geschichte zwischen 1947 und dem Volksaufstand 1956.

Auch ihre Heldinnen sind Vorkämpferinnen und damit ganz anders, als es die sozialistische Staatsdoktrin vorgab. Als "illusionslose Pragmatikerinnen, die ihren Nonkonformismus nicht laut herausschreien, sondern durch unangepasstes Tun in Kraft setzen. Ihre Stärke erwächst aus Rückschlägen, ihre Klugheit aus der Alltagserfahrung, ihr Tiefsinn aus der Banalität des Gewöhnlichen", beschreibt die Filmwissenschafterin Lisa Gotto Mészáros’ Frauenfiguren.

Verliebt in Kati

Erzsi ist in Das Mädchen auf der Suche, irrlichternd fast, immer in Gefahr, von den vielen Männern um sich herum abgelenkt zu werden. Aufgewachsen im Waisenhaus, sucht Erzsi nach ihren Eltern. Die Mutter hat einem Treffen zugestimmt, und so fährt die hippe Städterin mit dem Zug aufs Land, wo die Frauen noch Kopftuch tragen und mit 40 steinalt sind. Erzsi ist die Attraktion im Ort, doch ihrer Mutter kommt sie nicht nahe – zu verschieden sind die Frauen, zu begehrlich ist der Blick von deren Mann auf die vermeintliche "Nichte aus der Stadt".

Erzsi wird von Kati Kovács verkörpert, der ungarischen Popsängerin. Alle Jungs waren damals verliebt in Kati. Doch Katis Erzsi ist kein Pop-Püppchen, sondern selbstbestimmt und manchmal sogar etwas grausam. Diese Grausamkeit spielt Kovács auch im Folgefilm Gewitterwolken, worin Mészáros die Klassengesellschaft der vermeintlich klassenlosen Gesellschaft des sozialistischen Ungarn mit modernistischer Grandezza offenlegt. Dort bewacht Kovács’ Figur Kati ihre zukünftige Schwiegermutter Edit, weil es ihr Verlobter so will, bis sie bemerkt, dass sich Edit, grandios gespielt von der stilvollen Mari Törőcsik, längst in einem selbstgebauten Käfig aus Wohlstand und Betäubung befindet.

Historienfilm mit Huppert

Nachdem Mészáros’ Filme im Westen als feministisches Kino gefeiert wurden, kontaktierte Isabelle Huppert die Ungarin mit der Bitte, sie in ihrem nächsten Film neben der von Huppert bewunderten Lili Monori zu besetzten. Das Ergebnis ist Erbinnen (1980), die erste französisch-ungarische Koproduktion der Filmgeschichte. In dem historischen Drama spielt Monori eine reiche Frau, die keine Kinder bekommen kann, Huppert eine junge jüdische Näherin, die ihr in dieser Sache helfen soll. Ein eleganter, ambivalenter Film vor dem Hintergrund des nahenden Holocaust.

Frauen, Freundschaften, Liebschaften und Kinder, die gewollt werden, um dann doch fremd zu bleiben, sind in Mészáros’ Filmen ebenso zentral wie die Auseinandersetzung mit der ungarischen Geschichte. Die Filme der laufenden Werkschau entstanden zwischen 1968 und 1990 zwar unter Zensur, doch an ihnen lässt sich sowohl der kreative Eigensinn der Regisseurin ablesen als auch ihr Interesse für die ästhetischen Trends ihrer Zeit: Neue Welle, Sozialrealismus, Historiendrama. Mészáros kann alles. (Valerie Dirk, 12.9.2022)