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Eine Woche vor dem Staatsakt für die verstorbene Queen Elizabeth II haben der neue König Charles III und seine Familie am Montag die subtile Modernisierung der Monarchie vorangetrieben. Wie schon in London gab der 73-Jährige einer Reihe von Schaulustigen vor dem Königspalast von Edinburgh die Hand. Später folgten sämtliche vier Kinder dem Sarg der Toten auf seiner Prozession durch die schottische Hauptstadt, wo Tausende von Trauernden die Royal Mile säumten. Nach dem geplanten Gedenkgottesdienst in der St. Giles-Kathedrale am Abend haben die Bürger noch bis zum späten Dienstagnachmittag die Gelegenheit, am Katafalk der toten Königin vorbeizupilgern; am Dienstag wird der Leichnam nach London überführt.

Dass die Monarchin am Donnerstag auf ihrer Sommerresidenz Schloss Balmoral in Schottland verstorben war, gab der ohnehin an vorsichtigen Reformen interessierten Königsfamilie die Gelegenheit, die schottische Komponente der britischen Monarchie zu betonen. England und Schottland werden seit 1603 in Personalunion regiert, 1707 stimmten beide Parlamente der Vereinigung zu Großbritannien zu; eifersüchtig wachen die Schotten seither über die damals ausgehandelten Garantien ihrer kulturellen Autonomie, zumal im Zeitalter immer stärker werdender Unabhängigkeitsbestrebungen.

Erstmals auch Schottland Schauplatz

Die öffentliche Prozession der Kinder, der Gedenkgottesdienst, die Gelegenheit zur persönlichen Verabschiedung von der Königin – all dies sei "beispiellos", erläuterte der schottische Historiker David Torrance auf Twitter. All diese Elemente öffentlicher Trauer waren bisher London und Windsor vorbehalten, wo Elizabeth II am kommenden Montag ihre letzte Ruhe findet.

Unter den Befürwortern der Unabhängigkeit Schottlands findet sich eine kleine Gruppe von Republikanern, die dem neuen König lieber heute als morgen den Laufpass erteilen möchten. Hingegen hat die Nationalistenpartei SNP von Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon ausdrücklich die Fortführung der Monarchie vorgesehen für den Fall, dass das ersehnte Ziel in Erfüllung geht. Am Rande der öffentlichen Proklamation des neuen Königs nahm die Edinburgher Polizei am Sonntag eine junge Frau fest, deren handgemaltes Schild die Abschaffung der Monarchie forderte. Nach Feststellung der Personalien leitete die Behörde ein Strafverfahren wegen "Störung des öffentlichen Friedens" ein.

Der royale Tag hatte in London mit einer Feierstunde im Parlament begonnen. Dazu versammelten sich die Mitglieder von Ober- und Unterhaus in der Westminster Hall, dem ältesten Teil des Parlamentspalastes. Die ersten Worte sprach auch hier ein Schotte, nämlich der Lord Speaker John McFall. Der 77-Jährige erinnerte an die "dauerhafte und beruhigende" Präsenz der Queen, vor deren Sterblichkeit die Nation die Augen verschlossen habe. Nun gelte die Loyalität des Oberhauses dem König.

Ein königliches Lächeln erntete der Unterhaus-Speaker Lindsay Hoyle für seine hübsche Bemerkung, das Parlament habe 1988 an gleicher Stelle mit der Queen der sogenannten Glorious Revolution von 1688 gedacht, welche die konstitutionelle Monarchie auf der Insel begründete. Das sei doch wohl "sehr britisch, gemeinsam mit der Monarchin einer Revolution zu gedenken". Dass die beiden "demütigen Erklärungen" live im Fernsehen gezeigt wurden, gehörte ebenfalls zu den seit Freitag erkennbaren Schritten, bestehende Traditionen zu pflegen, aber auch fürs 21. Jahrhundert weiterzuentwickeln.

"Ein Muster aller Könige"

Wie schon in seiner TV-Ansprache am Freitag verlieh der König im Parlament erneut seiner Liebe zu William Shakespeare (1564–1616) Ausdruck, indem er ein Zitat des Nationaldichters in die kurze Rede einbaute. "Ein Muster aller Könige" – was Shakespeare in "König Heinrich VIII" dem Erzbischof Cranmer als Prophezeiung für Königin Elizabeth I in den Mund legt, sei seine Mutter tatsächlich gewesen, sagte Charles. Er fühle "das Gewicht der Geschichte" und wolle dem Vorbild von Elizabeth II nacheifern, "mit Gottes Hilfe und Ihren Ratschlägen".

In London gab sich Prinz Harry in einer Würdigung der Verstorbenen sicher, die geliebte Granny sei nun "in Frieden mit Grandpa vereint". Unterdessen hat Charles seinem skandalumwitterten Bruder die Höchststrafe aufgebrummt: Prinz Andrew muss sich fortan um die bekanntermaßen verwöhnten Corgis seiner toten Mutter kümmern. An die weiterhin zu Zehntausenden zum Buckingham-Palast strömenden Briten wandte sich die zuständige Behörde Royal Parks mit der eindringlichen Bitte, auf das Mitbringen von Paddington Bears und den dazugehörenden Marmelade-Broten zu verzichten. Die Trauernden wollten damit wohl an den Sketch erinnern, mit dem Elizabeth II im Juni zu den Platinjubiläumsfeiern beigetragen hatte. (Sebastian Borger aus London, 12.9.2022)