In den 1980er-Jahren aus der Neonazibewegung hervorgegangen, sind die Schwedendemokraten der große Wahlgewinner. Das feierte Parteichef Jimmie Åkesson mit einem Freudentänzchen.

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Es bleibt spannend nach der schwedischen Reichstagswahl vom Sonntag. Bislang führen das bürgerlich-nationalistische Lager um Ulf Kristersson und seine liberal-konservativen Moderaten hauchdünn vor dem Bündnis unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Erst am Mittwoch ist laut Wahlbehörde das vorläufige Endergebnis zu erwarten. Repräsentiert sind dann neben den letzten Vorabwählern auch die Auslandswähler. Deren traditionell konservative Ausrichtung lässt die Herausforderer auf den Sieg hoffen.

Eines ist freilich schon jetzt klar: Obgleich die Sozialdemokraten das mit Abstand beste Ergebnis eingefahren haben, verzeichnen den größten Triumph die rechten Schwedendemokraten unter Jimmie Åkesson. Nach langjähriger Isolierung erstmals offiziell Teil eines Wahlbündnisses, sind sie zur zweitgrößten Kraft im Parlament aufgestiegen.

Ministerämter gefordert

Zulegen konnten sie vor allem bei Erstwählern und Frauen, wo sie laut der traditionellen großen Wahllokaluntersuchung des schwedischen Fernsehens im Parteienranking auf Platz zwei und drei kletterten. Man sei "zu einem echten Herausforderer geworden", kommentierte Åkesson das Ergebnis. In einer möglichen bürgerlichen Regierung fordert die Partei nun Ministerposten.

Mit dem Ruf nach "harten Bandagen" in Sachen Migration und Kriminalität hatten die Schwedendemokraten die Parteien beider Lager vor sich hergetrieben. Die Migrations- und Integrationspolitik hatte in dem Land, in dem der Anteil von nicht in Schweden Geborenen seit der Jahrtausendwende von elf auf 20 Prozent gewachsen ist, zu den wichtigsten Wahlkampfthemen gehört.

Schüsse auf Spielplatz

Neben dem Fiasko am Arbeitsmarkt – so hat nach zehn Jahren Aufenthalt nicht einmal die Hälfte der Asyleinwanderer einen Job – ging es vor allem um die eskalierende Schusswaffengewalt zwischen kriminellen Banden, die in diesem Jahr schon 47 Todesopfer gefordert hat und zunehmend auch Unbeteiligte bedroht. So wurden Ende August auf einem Spielplatz im mittelschwedischen Eskilstuna eine Mutter und ihr fünfjähriges Kind angeschossen. Auch die Sozialdemokraten haben im Wahlkampf nach dem Vorbild der dänischen Schwesterpartei für Einschränkungen der Migration und härtere Strafen plädiert.

Mit der Forderung nach Kabinettssitzen bringen die Schwedendemokraten nun das bürgerliche Lager in Zugzwang. Konservative, Christdemokraten und Liberale sehen die Rechten zwar als Partner in einer möglichen neuen Koalition, lehnen eine Regierungszusammenarbeit aber ab. Ein gemeinsames Regieren komme nicht infrage, betonten am Montag erneut Repräsentanten der Liberalen. Argumente für diesen Standpunkt hatten die um ein gemäßigtes Image bemühten Schwedendemokraten erst im Wahlkampf wieder selbst geliefert.

So bekundeten führende Lokalpolitiker offen Sympathie für die nazistische "Nordische Widerstandsbewegung", und der rechtspolitische Sprecher Tobias Andersson kommentierte die Kampagne seiner Partei in der Stockholmer U-Bahn auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit den Worten: "Willkommen im Rückwanderungszug. Du hast ein One-Way-Ticket, nächster Halt Kabul!"

Trotz Einigkeit über eine insgesamt härtere Linie zeichnen sich denn auch für eine mögliche bürgerliche Führung vor allem zwischen Schwedendemokraten und Liberalen Konflikte in der Migrationspolitik ab. So sind der von den Schwedendemokraten geforderte Zuzugsstopp und eine "Migrantenrückwanderung" großen Stils für die Liberalen nicht akzeptabel.

Energie wichtigstes Thema

Insgesamt hatte der Block um Ulf Kristersson in den wichtigsten Wahlkampffragen im Vergleich zum sozialdemokratischen Lager der Noch-Ministerpräsidentin aber mit größerer Einigkeit punkten können. Das gilt für die Bekämpfung der Bandenkriminalität, wo man unter anderem drastisch erhöhte Gefängnisstrafen anstrebt. Überwiegend einig ist man sich auch in der Energiepolitik, die angesichts galoppierender Strom- und Spritpreise im Wahlkampfendspurt zum Spitzenthema geworden war.

Vor allem geht es dabei um den Ausbau der Kernkraft. Sie steht bislang für gut 30 Prozent im Energiemix und wird von einer Mehrheit der Wähler als nötig für die künftige Versorgung angesehen. Mit der Ankündigung des Baus neuer Atomkraftwerke hatte sich der Oppositionsführer Ulf Kristersson deutlich vom gespaltenen rot-grünen Lager abgesetzt – Ministerpräsidentin Andersson hat zuletzt Aufgeschlossenheit gegenüber einem Kernkraftausbau signalisiert, Grüne und Linke sind dagegen.

"Einen statt entzweien"

Angesichts des unsicheren Wahlergebnisses halten sich die Spitzenpolitiker bislang mit verbindlichen Aussagen zurück. Oppositionsführer Kristersson betonte gleichwohl, als möglichem neuem Regierungschef werde es ihm darum gehen, zu "einen, statt zu entzweien", und der "inzwischen allzu großen politischen Polarisierung" entgegenzuwirken. Nötig sei dies angesichts der großen Herausforderungen für das Land.

Neben der Energiekrise nannte Kristersson den geplanten Nato-Beitritt sowie den EU-Vorsitz, den Schweden ab Jänner nächsten Jahres übernehmen wird. Auch in der europäischen Zusammenarbeit dürften sich möglicherweise geänderte Machtverhältnisse in Schweden widerspiegeln. (Anne Rentzsch, 12.9.2022)