Armenien und Aserbaidschan geben einander die Schuld für die Eskalation der Lage.

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Eriwan/Baku – Im Schatten des Ukraine-Kriegs sind zwischen Armenien und Aserbaidschan im Südkaukasus erneut schwere Kämpfe mit dutzenden Toten ausgebrochen. Beide Seiten meldeten am Dienstag den Tod von jeweils etwa 50 ihrer Soldaten. Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte, das seien noch keine endgültigen Zahlen. Er telefoniert mit Russlands Präsident Wladimir Putin und bat um Hilfe der Militärallianz OVKS.

Laut Armeniens Verteidigungsministerium hatten aserbaidschanische Truppen an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen angegriffen. Aserbaidschan wiederum gibt Armenien die Schuld an der Eskalation: Laut dem aserbaidschanischen Verteidigungsministerium hat ein großangelegter armenischer Sabotageversuch die Kämpfe ausgelöst. Armenien werden damit Verstöße gegen die von Russland im Jahr 2020 ausgehandelte Waffenruhe vorgeworfen. "Die gesamte Verantwortung für die Situation liegt bei der militärisch-politischen Führung Armeniens", hieß es.

Die früheren Sowjetrepubliken bekriegen einander seit Jahrzehnten wegen des Gebiets Bergkarabach. Allerdings wurde nach armenischen Angaben diesmal nicht die Exklave angegriffen, sondern die Attacken trafen Stellungen bei den Städten Goris, Sotk und Dschermuk. Diese liegen auf dem Gebiet Armeniens.

Kämpfe dauern an

Am Dienstag in der Früh gab es widersprüchliche Berichte über die Lage. In Medien war von einer Waffenruhe die Rede, aber auch von einer Vereinbarung der beiden Verteidigungsminister, "die Situation an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze zu stabilisieren". Paschinjan sagte in der Früh, dass die Intensität der Kämpfe nachgelassen habe, sie aber andauerten. Russland, Armeniens Verbündeter, erklärte, es habe eine Feuerpause vermittelt, die seit dem Vormittag gelte und einzuhalten sei. Doch nach aserbaidschanischen Angaben wurde gegen die Vereinbarung nur 15 Minuten nach Inkrafttreten wieder verstoßen.

Putin, Macron und Michel informiert

Paschinjan hatte in der Nacht nach Angaben seiner Regierung mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert. Paschinjan sprach von einem aserbaidschanischen Angriff, auf den es eine internationale Reaktion geben müsse. Er und Putin vereinbarten demnach, in Kontakt zu bleiben. Der armenische Regierungschef alarmierte laut Berichten außerdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Ratspräsident Charles Michel, der sich nach den schweren Kämpfen im Jahr 2020 als Vermittler zwischen Eriwan und Baku engagiert hatte.

Michel sei in Kontakt mit den Führungen beider Länder, hieß es. Die EU wolle weiterhin ein "ehrlicher Makler" zwischen beiden Ländern sein und den Brüsseler Dialog zwischen Eriwan und Baku fortsetzen, meinte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Nach seinen Angaben brach der EU-Sonderbeauftragte Toivo Klaar in die beiden Hauptstädte auf, "um die erforderliche Deeskalation zu unterstützen".

Die Vereinten Nationen und die USA schalteten sich im Lauf des Tages ebenfalls ein und drängten auf ein Ende der Kämpfe. Am Mittwoch werde sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Konflikt befassen, meldete die russische Agentur Tass. Die Türkei, die Aserbaidschans unterstützt, forderte Armenien auf, Provokationen zu unterlassen. US-Außenminister Antony Blinken unterstrich, es gebe für den Konflikt keine militärische Lösung.

Als "besorgniserregend" wertete auch das österreichische Außenministerium die Kämpfe. "Wir drängen beide Seiten dazu, sich jeglicher Handlungen zu enthalten, die zu einer weiteren Eskalation der Lage führen können", hieß es in einer Mitteilung am Dienstag. Wichtig sei die Rückkehr zu Gesprächen, um die Spannungen zu verringern. Österreich war in der Vergangenheit mehrmals Schauplatz von Vermittlungsgesprächen zwischen beiden Konfliktparteien.

Bergkarabach gehört zu Aserbaidschan, wird aber von Armeniern bewohnt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sicherten sich armenische Kräfte in einem Krieg von 1992 bis 1994 die Kontrolle über das Gebiet und besetzten weite Teile Aserbaidschans. 2020 gewann Aserbaidschan seine Gebiete zurück und eroberte strategisch wichtige Stellen in Bergkarabach. Den nach vier Monaten vereinbarten Waffenstillstand überwacht Russland, die Schutzmacht der christlichen Armenier. Auch die EU unternahm seitdem viele Anstrengungen, um den Konflikt zu lösen. (red, APA, 13.9.2022)