Ein Blick auf die Royal Mile in Edinburgh.

Foto: EPA/Tolga Akmen

London/Edinburgh – Die Anteilnahme der Schottinnen und Schotten am Tod der Queen ist groß: Zehntausende säumten am Sonntag die Straßen, um der Verstorbenen auf ihrer Reise in die schottische Hauptstadt Edinburgh die letzte Ehre zu erweisen. Für Schottland könnte das Ende der Ära von Elizabeth II weitreichende Folgen haben, denn der Tod der Queen hat die Debatte um die Unabhängigkeit von London neu entfacht.

Die Königin war "eines der Fundamente des Vereinigten Königreichs, sie hat dazu beigetragen, die Einheit zu bewahren", sagt Archie Nicol. Der 67-Jährige ist eigens aus dem nordschottischen Kintore zum königlichen Anwesen in Balmoral gereist, wo die Queen am Donnerstag gestorben war.

Politische Kommentatoren bezweifeln, dass der neue, weniger populäre König Charles III ein ebensolcher Garant der Einheit sein wird. "Die Union (zwischen Schottland und dem Rest des Vereinigten Königreichs) ist jetzt, da die Königin weg ist, wahrscheinlich stärker gefährdet", warnt der Journalist Andrew Neil in der "Daily Mail". "König Charles wird Schottland genauso lieben wie die Königin", fügt er hinzu. "Aber er hat einfach nicht ihre Autorität."

Moment der Zerbrechlichkeit

"Einige Schotten werden das Ende dieser Ära als einen natürlichen Zeitpunkt für einen Neuanfang betrachten", meint auch der schottische Journalist Alex Massie in einem Kommentar für die "Times". "Der Übergang der Krone ist ein Moment der Schwäche, vielleicht sogar der Zerbrechlichkeit", schreibt Adam Tomkins, Verfassungsrechtler an der Universität Glasgow, in der Zeitung "The Herald".

Die Unabhängigkeitsbewegung in Schottland wächst seit Jahren. Der Brexit, den die Mehrheit der Schotten ablehnte, verschaffte ihr weiteren Zulauf. Seit 2007 regiert die Unabhängigkeitspartei SNP. Bei einem Referendum 2014 hatten sich allerdings 55 Prozent der Schottinnen und Schotten für den Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen.

Trotz des Widerstands der britischen Regierung kündigte die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon Ende Juni an, im Herbst 2023 ein neues Referendum über die Unabhängigkeit abhalten zu wollen – eine Entscheidung, die der Oberste Gerichtshof Großbritanniens im Oktober prüfen wird.

Entwicklung zu Vorreiter bei erneuerbaren Energien

Die SNP setzt sich zwar für die Unabhängigkeit Schottlands ein, fordert aber nicht unbedingt einen Bruch mit der Monarchie. Sturgeon hatte nach Bekanntwerden des Todes der Königin umgehend ihr "tiefstes Beileid" ausgesprochen und "die Hingabe und den außergewöhnlichen Dienst" der Queen gewürdigt. Der SNP-Gründer und ehemalige schottische Regierungschef Alex Salmond bezog sogar den Ausdruck "Königin der Schotten" (Queen of Scots) auf Elizabeth und knüpfte enge Beziehungen zu Charles, als dieser noch Thronfolger war.

Der neue König hat eine besondere Beziehung zu Schottland: Charles III. liebt nicht nur Schottenröcke, er verbrachte auch einen Teil seiner Jugend in einem strengen schottischen Internat und besitzt mehrere Anwesen in dem Landesteil.

Manche Regionalzeitungen wie der "Daily Record" sehen in Charles' Engagement für den Umweltschutz eine Chance für Schottland und hoffen, dass der König die Entwicklung weg vom Kohlebergbau hin zu einem Vorreiter bei den erneuerbaren Energien unterstützen wird. Dennoch seien die Schotten "wesentlich reservierter gegenüber dem Haus Windsor als die englischen Wähler", sagt der Journalist Alex Massie und fordert Regierungschefin Sturgeon auf, die Schotten in "eine republikanische Zukunft" zu führen.

In einer Umfrage der Denkfabrik British Future vom Juni unterstützten 45 Prozent der Schotten die Monarchie, während sich 36 Prozent für eine Republik aussprachen. Mit dem Tod der Queen könnte das republikanische Lager weiteren Zulauf gewinnen. (APA, 13.9.2022)