So süß und doch so laut: brüllende Säuglinge.
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Menschen fühlen sich gerne aufgehoben. Das zeigt sich schon in den ersten Lebenswochen: Nimmt man ein weinendes Neugeborenes in den Arm, beruhigt es sich dem Gefühl nach schneller wieder – sofern es nicht zusätzlich hungrig ist oder Schmerzen hat. Wenn frischgebackene Eltern aber nur wenige Stunden Pause zwischen kindlichen Heulkrämpfen haben und die Rückkehr der Ruhe auf sich warten lässt, zehrt das an den Nerven.

Das weiß Kumi Kuroda vom japanischen Riken-Zentrum für Hirnforschung aus eigener Erfahrung: Sie hat selbst vier Kinder. Das nächtliche Weinen kann insbesondere bei unerfahrenen Eltern einen hohen Leidensdruck verursachen, sagt Kuroda: "Es kann bei ihnen zu Stress führen und in wenigen Fällen sogar zu Kindesmisshandlung." Um evidenzbasierte Tipps zu geben, wie schreiende Babys am effektivsten wieder zum Einschlafen gebracht werden können, ging sie die Frage gemeinsam mit ihrem internationalen Forschungsteam systematisch an. Die Ergebnisse sind nun im Fachblatt "Current Biology" erschienen.

Am Pulsschlag des Geschreis

Für die Studie beobachtete das Team 21 schreiende Kleinkinder und ihre Reaktionen auf verschiedene Methoden. Verglichen wurden die Optionen "bewegte Besänftigung" und "körpernahes Kalmieren" in allen Kombinationen – also in ruhender oder schaukelnder Babywiege sowie gehend und sitzend auf dem Arm der Mutter. Gleichzeitig wurde der Versuch, den schreienden Säugling zum Einschlafen zu bringen, per Video aufgezeichnet und der Herzschlag der Kinder gemessen.

Die bewegten Strategien erwiesen sich im Gegensatz zum ruhigen Sitzen oder Liegen als besonders hilfreich. So dauerte es meist nur eine halbe Minute, bis ein weinendes Baby sich beruhigte und sein Puls sich verlangsamte, wenn seine Mutter mit ihm ein paar Runden im Studienraum drehte. Saß sie mit dem schreienden Säugling ruhig auf einem Sessel, so reichte der Körperkontakt offenbar nicht aus, um einen ähnlichen Effekt herbeizuführen, der Puls des Babys stieg dabei sogar eher an. Auch wenn die spazieren gehende Trägerin stehen blieb, sorgte das für eine steigende Herzschlagfrequenz.

Evolutionäre Wurzeln

Diese Beobachtung führt das Team auf eine biologische "Transportreaktion" zurück, die sich auch bei vielen anderen Säugetieren zeigt: Sobald etwa ein Löwenjunges am Schlafittchen gepackt und an einen anderen Ort gebracht wird, zeigt sein Körper Anzeichen der Entspannung. Der Herzschlag sinkt, das Jungtier hört auf zu winseln. Bei Mäusen, Hunden, Affen und anderen Säugern, deren Nachwuchs nach der Geburt relativ hilflos ist, sieht es ganz ähnlich aus.

Junge Säugetiere, die von älteren getragen werden, verhalten sich dabei üblicherweise eher ruhig, wie diese Mandrille demonstrieren.
Foto: APA/AFP/JACK GUEZ

Eine mögliche Erklärung für das Phänomen: Ein Transport ist oft in Gefahrensituationen nötig, um Babys vor Raubtieren oder anderen ungemütlichen Umweltbedingungen in Sicherheit zu bringen. Dabei kann es evolutionär von Vorteil gewesen sein, wenn die getragenen Kinder sich möglichst unauffällig verhielten, also vor allem: leise.

Die Lösungsformel

Ein weiteres Problem beim nächtlichen Beruhigen weinender Babys stellt die riskante Phase dar, wenn die Betreuungsperson versucht, das entschlafene Kleine wieder ins Bett zu legen – und dabei der Körperkontakt abbricht. Zu früh darf es nicht abgelegt werden, weil es dann noch nicht tief genug schläft. Das schlägt sich auch in den wissenschaftlichen Analysen nieder: Nach fünf Minuten Spazieren weinte zwar kein Kind mehr und fast die Hälfte war eingeschlafen. Doch wurden sie direkt ins Bett gelegt, ging ihr Puls stark nach oben, was bei einem Drittel der Babys dafür sorgte, dass sie innerhalb von 20 Sekunden wieder wach wurden und zu schreien begannen.

Daher entwickelte das Forschungsteam eine Art Formel, mit der die Erfolgsquote, das Baby zu beruhigen und fest einschlafen zu lassen, hoch sein soll. Auf ein fünfminütiges Herumtragen des Babys mit möglichst wenigen abrupten Bewegungen folgt demnach eine Phase des ruhig Sitzens, die weitere fünf bis acht Minuten dauern sollte. Erst dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es nicht wieder aufwacht und zu weinen beginnt, wenn man es wieder schlafen legt.

Was beruhigt weinende Babys am besten? In der Studie schlagen die Fachleute ein Schema vor, das sich im Durchschnitt bewährt: fünf Minuten lang gehend herumtragen, fünf bis acht Minuten ruhig warten und dann schlafen legen.
Bild: Current Biology 2022, Ohmura et al.

Ein solcher Übergang in unterschiedlichen Phasen klingt nicht wie Hexerei, kann für Eltern und andere Kinderbetreuer in Stresssituationen aber hilfreich sein. Studienleiterin Kuroda geht davon aus, dass die Ergebnisse, die nur bei Müttern getestet werden, auch auf andere Personen übertragbar sind. Und sie zeigt sich selbst von einigen Erkenntnissen überrascht: "Ich dachte, dass das Aufwachen des Babys beim Hinlegen damit zusammenhängt, in welcher Körperhaltung es aufs Bett gelegt wird oder wie sanft dabei die Bewegung ist." Diese Vermutungen wurden experimentell aber nicht gestützt.

Wearables für Babys

Deshalb sei es sinnvoll, intuitiven Umgang mit Kleinkindern auch durch Forschung zu ergründen, meint Kuroda: "Wir brauchen die Wissenschaft, um die Verhaltensweisen von Babys zu verstehen, weil sie viel komplexer und diverser sind, als wir dachten." Und weil es auch für Erwachsene nützlich ist, im Alltag und beim Sport gesundheitliche Parameter wie den Puls zu dokumentieren, will das auch Team "Baby-Tech" entwickeln, also Wearables, die diese Daten auch bei Kleinkindern in Echtzeit messen.

Da die Stichprobe der Studie klein ist, sind außerdem Folgestudien empfehlenswert. Letztendlich spielt die individuelle Komponente aber eine große Rolle, vor allem bei "Schreibabys", die besonders schwierig zur Ruhe finden. Angeboren ist der perfekte Umgang dabei jedoch nicht: Wie eine kürzlich erschienene Forschungsarbeit darlegt, müssen Eltern auch erst lernen, Babygeschrei zu interpretieren und richtig zu reagieren. (Julia Sica, 13.9.2022)