Wien – Das Entlassen der Bundesregierung, das Unterschreiben von Gesetzen oder das Angeloben von Ministerinnen und Ministern: Über die Kompetenzen und Aufgaben des Bundespräsidenten hört man sehr viel, doch oft scheiden sich die Geister, wenn es darum geht, die Rolle des Bundespräsidenten zu bewerten. Was darf der Bundespräsident überhaupt? Darf unser Staatsoberhaupt aus heiterem Himmel die Regierung und das Parlament entlassen, wie das ein Teil der Kandidaten in den Raum stellt?

Liest man die Verfassung, ist der Bundespräsident der mächtigste Politiker im Land. In der Realität verzichtet er aber auf viele Kompetenzen.
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Das heutige Amt des Bundespräsidenten entstand in einer Zeit, in der die Demokratie nahe am Abgrund stand. In den 1920-Jahren verhärteten sich die politischen Fronten, die bürgerlichen Parteien waren dem Parlamentarismus feindlich gesinnt. Autoritäre Absichten führten schließlich zur Einführung des Amtes. Mit der Verfassungsänderung im Jahr 1929 wurde der Bundespräsident mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, um die Exekutive zu stärken und das Parlament zu schwächen. Bis heute ist diese Verfassungsänderung in Kraft.

Die Kompetenzen

Eine der Hauptaufgaben des Bundespräsidenten beinhaltet die Angelobung des Bundeskanzlers und der Regierungsmitglieder. Dieser Akt ist bereits recht bekannt. Über 60-mal wurde vom amtierenden Präsidenten Alexander Van der Bellen ein Regierungsmitglied angelobt. Die Formalität ist dabei immer dieselbe: Ein Minister oder eine Ministerin scheidet aus dem Amt aus, wird vom Bundespräsident entlassen, und das neue Regierungsmitglied wird daraufhin neu angelobt. Die Kompetenz, die Bundesregierung zu entlassen und eine neue zu ernennen, kommt normalerweise immer dann zum Einsatz, wenn ein neuer Nationalrat gewählt wurde. Aber auch bei einem Ministerwechsel während der Legislaturperiode, wie es in letzter Zeit öfter der Fall war, findet eine Angelobung in der Hofburg statt.

Doch dem Bundespräsidenten steht es verfassungsrechtlich zu, jederzeit ohne Begründung den Bundeskanzler oder die gesamte Bundesregierung zu entlassen. Ebenso darf er auf Vorschlag der Bundesregierung den Nationalrat entlassen. Damit hat der Präsident weitreichende Machtkompetenzen, mit denen er schnell die österreichische Innenpolitik verändern kann. Weitere Aufgaben beinhalten den Oberbefehl über das Bundesheer, das Unterschreiben von Gesetzen, die Unterzeichnung von Staatsverträgen und die Vertretung von Österreich nach außen. Auf dem Papier ist er damit der mächtigste Politiker im Land. In der Realität ist die Situation jedoch etwas anders.

Der Rollenverzicht

Die Vergangenheit hat gezeigt: Es ist gängige Praxis in Österreich, dass der Bundespräsident die oben genannten Kompetenzen nicht auslebt. Er hält sich aus dem politischen Geschäft heraus. "Rollenverzicht" ist das Schlagwort für dieses Verhalten. Seit 1955 ist es üblich, dass der Staatschef vielmehr als "Aufpasser und Schlichter" in der Innenpolitik agiert. Ein prominentes Beispiel für das aktive Eingreifen des Bundespräsidenten war Heinz Fischer. Er verweigerte der Novelle zur Gewerbeordnung im Jahr 2008 die Unterschrift und blockierte somit das Gesetz. Das zählte jedoch in der Zweiten Republik bisher zu den Ausnahmefällen.

Dass der Amtsinhaber auch tatsächlich auf seine Kompetenzen verzichtet, ist nirgends in der Verfassung vorgeschrieben. Es hat sich nur als Norm etabliert, das Amtsverständnis kann jederzeit von einem Amtsinhaber neu interpretiert werden.

Der Amtsantritt

Erhält der Bundespräsident bei der Wahl mehr als die Hälfte aller Stimmen, so gilt er als gewählt. Er wird von der Bundesversammlung angelobt und ist schließlich sechs Jahre im Amt. Er kann sich einer weiteren Wahl stellen, darf jedoch insgesamt nicht länger als zwölf Jahre im Amt sein.

Die sechsjährige Amtszeit ist nicht in Stein gemeißelt, auch der Bundespräsident kann vorzeitig aus dem Amt entlassen werden. Dafür bietet die Bundesverfassung einen genau geregelten Ablauf. Das Parlament muss eine Volksabstimmung über die weitere Zukunft des Bundespräsidenten durchführen lassen. Entscheidet sich die Bevölkerung für die Absetzung des Staatschefs, muss der Präsident neu gewählt werden. Fällt die Volksabstimmung zugunsten des Bundespräsidenten aus, gilt er als neu gewählt und der Nationalrat wird aufgelöst. Neuwahlen wären die Folge. Bis jetzt ist dieser Fall jedoch noch nie eingetreten. (Max Stepan, 13.9.2022)