Geht es nach Enrico Letta, so sind die letzten zwei Wochen vor den vorgezogenen Parlamentswahlen in Italien die "vielleicht wichtigsten Tage in der Geschichte unseres Landes". Was meint der Spitzenkandidat und Parteichef des linken Partito Democratico (PD) damit? Nun, im Wesentlichen warnt er vor dem, was ausnahmslos alle Wahlumfragen seit Wochen, teils sogar seit Monaten prophezeien: Das Rechtsbündnis wird den Urnengang haushoch gewinnen, die einzige Partei aus dem Mitte-links-Spektrum – der bisher regierende sozialdemokratische PD – wird aus eigener Kraft nicht dagegenhalten können und wohl in Opposition gehen müssen.

Giorgia Meloni auf dem Weg zum Wahlsieg über Enrico Letta (im Hintergrund).
Foto: Alberto PIZZOLI / AFP

Zuletzt regierte in Italien eine sehr breit aufgestellte Koalition, der alle im Parlament vertretenen Parteien – links und rechts der Mitte – angehörten. Mit Ausnahme der zumeist als postfaschistisch titulierten Fratelli d’Italia, die von Giorgia Meloni angeführt werden. Grund für diese Regierung der nationalen Einheit war vor allem die Verpflichtung, Italien gemeinsam durch die Corona-Krise und ihre Folgen zu führen. Letztlich scherten allerdings die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung und die konservative Forza Italia aus und sorgten mit Misstrauensabstimmungen dafür, dass der eigene Boss, Ministerpräsident und Ex-EZB-Chef Mario Draghi, den Rücktritt erklärte.

Sozialdemokraten kämpfen weitgehend alleine

Schon lange hatte Meloni gemeinsam mit Matteo Salvini (dem in der Regierung unglücklichen Chef der rechten Lega) und mit Multi-Ex-Premier Silvio Berlusconi (Chef der Forza Italia) ein Bündnis geschmiedet. Da es Italiens notorisch zerstrittene und zersplitterte Linke nicht geschafft hat, ebenfalls eine schlagkräftige Allianz zu bilden, steht jetzt Lettas PD als möglicherweise stärkste (eher zweitstärkste) Partei wohl alleine da – und mit dem Rücken zur Wand.

Letta hat sich daher in seiner Wahlkampagne dezidiert auf Meloni eingeschossen, die laut Umfragen allerbeste Chancen hat, Italiens nächste – und dabei erste – Ministerpräsidentin zu werden.

"Ich glaube, dass sie eine große Gefahr für Italien ist", sagte der PD-Chef erst am vergangenen Sonntag in einem Interview mit dem italienischen TV-Sender La Sette (La7). Zwar wollte er nicht auf die Provokation des Interviewers eingehen, ob unter Giorgia Meloni eine Diktatur drohe; aber schon die Epoche unter der viermaligen Regierung des Meloni-Verbündeten Silvio Berlusconi sei sehr negativ für Italien gewesen.

Enrico Letta über Giorgia Meloni als "Gefahr" für Italien.
La7 Attualità

Am Montag hatten dann Letta und Meloni Gelegenheit, zu einem direkten Duell anzutreten – statt sich Kritik über die Medien auszurichten. Die führende italienische Tageszeitung "Corriere della Sera" lud die beiden in das eigene TV-Studio. Das hatte zwar auch schon Talk-Star Bruno Vespa für seine Sendung "Porta a Porta" in der öffentlich-rechtlichen RAI versucht; aber aufgrund regulatorischer Bestimmungen hätte Vespa die Spitzenkandidaten aller Parteien einladen müssen.

Gut strukturierte Debatte

Tatsächlich verlief dieses Duell viel geordneter und gesitteter ab, als man es etwa mit einem rechten Spitzenkandidaten wie Matteo Salvini hätte erwarten müssen. Statt mit hemdsärmeligem Gepolter konfrontierte Meloni ihren Gegner Letta größtenteils mit gut vorbereiteten Argumenten. Dieser blieb freilich nicht seine eigenen schuldig. Argument – Widerrede – Argument – Widerrede. Einmal von links, einmal von rechts. Alles durch den Moderator streng abgestoppt, damit beide die formal absolut gleichen Chancen hätten, mit ihren Botschaften zu den Wählerinnen und Wählern durchzudringen.

Teils überraschte, dass beide Kandidaten oft in ihrer Analyse übereinstimmten, mit welchen Problemen es Italien zu tu habe– das zeigte sich bei der Forderung nach einem Gaspreisdeckel, nach der Entkoppelung von Gas und Strom für die Energiekostenberechnung, nach tiefgreifenden Steuererleichterungen. Klassische Gegnerschaft gab es beim Thema Europa, bei der Migration, beim Arbeits- und Familienrecht und bei Verfassungsfragen für Italien.

Das komplette TV-Duell zwischen Giorgia Meloni und Enrico Letta.
Fratelli d'Italia

Zwar ließ Schnellrednerin Meloni stärker als Letta einen Hang zu Polemik erkennen, doch insgesamt blieben die Töne relativ sachlich. Auffallend war die Tatsache, dass Letta während der 90-minütigen Sendung kaum zu Meloni blickte – anders als die Chefin der Fratelli, die immer wieder Augenkontakt und Interaktion mit dem neben ihr sitzenden Linken-Vorsitzenden suchte. Die Sprache war klar – auf beiden Seiten: Für die Linken ist mit der Rechten kein Staat zu machen; die Rechte hingegen wollte wohl signalisieren, dass man gemeinsam über alles reden könne; dass nicht ausgegrenzt werden dürfe.

Der Moderator, "Corriere"-Chefredakteur Luciano Fontana, stellte – möglicherweise durch das zumindest ansatzweise konstruktive Diskussionsklima ermutigt – die Frage, ob es denn nach den Wahlen zu einer großen Koalition kommen könnte. Zur Antwort bekam Fontana das Gelächter Melonis zu hören: "Nein!" Und auch Letta sagte lächelnd: "Ich glaube, auf diese Frage brauchen wir nicht getrennt zu antworten. Nein, das wird nicht möglich sein." (Gianluca Wallisch, 13.9.2022)