Einer der gigantischen Detektoren am Large Hadron Collider bei Genf. Der größte Teilchenbeschleuniger der Welt verbraucht bis zu 750 Gigawattstunden pro Jahr, was das Stromnetz in Frankreich stark belastet.

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Einige der wichtigsten Prestigeprojekte der europäischen und auch der österreichischen Wissenschaft gehören zu den besonders großen Energieverbrauchern. Der allergrößte ist wohl der Large Hadron Collider (LHC). Der mit 27 Kilometern Umfang größte Teilchenbeschleuniger der Welt, der unterirdisch im Grenzgebiet zwischen der Schweiz und Frankreich bei Genf angesiedelt ist, benötigt für seine Experimente zwischen 600 und 750 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr. Das entspricht dem Energieverbrauch von rund 150.000 durchschnittlichen österreichischen Haushalten.

Die Muttereinrichtung des LHC, die Europäische Organisation für Kernforschung (Cern), betreibt noch sieben weitere, kleinere Teilchenbeschleuniger sowie andere energieintensive Infrastruktur. Das läppert sich dann auf jährlich rund 1,3 Terawattstunden zusammen oder das Äquivalent von 300.000 Haushalten in Österreich. Das ist immerhin fast die Hälfte der Energie, die der Kanton Genf produziert.

Verkomplizierte Planungen

Vor ein paar Jahren wurde das noch mehr oder weniger achselzuckend zur Kenntnis genommen. Doch nun wird die Sache für das Cern zunehmend prekär. "Das ist ein finanzielles Problem, da die Energiepreise auf dem Markt sehr hoch sind, aktuell bis zu zehnmal höher", sagt Serge Claudet, der Energiekoordinator des Cern, im Fachblatt "Science". Damit würden die Budgets für die nächsten Jahre deutlich überstrapaziert.

Die exorbitant gestiegenen Stromkosten sind aber nur das eine Problem. Das andere ist die grundsätzliche Verfügbarkeit des Stroms. Die französischen Energiebehörden können anordnen, dass das Cern zu Zeiten, in denen das Stromnetz am wenigsten stabil ist – in der Regel morgens und abends –, nicht arbeitet. Je nach Häufigkeit dieser Anordnungen könnte der Datenoutput des Cern erheblich sinken.

Um die Stromversorgung in Frankreich und der Schweiz nicht zu gefährden, will man am Cern bis Ende September konkrete Pläne ausarbeiten, wie in diesem Winter Strom gespart werden kann, berichtete kürzlich das "Wall Street Journal". Diese Pläne sollen dann zuerst dem Cern-Rat und bis Ende des Monats den Regierungen von Frankreich und der Schweiz vorgelegt werden.

Verteuerte Krebstherapien

Von der Kostenexplosion ist auch Medaustron in Wiener Neustadt massiv betroffen. In diesem interdisziplinären Zentrum für Krebsforschung und Tumortherapie werden seit 2016 mit verschiedenen Arten von geladenen Teilchen neuartige Bestrahlungen bei Patientinnen und Patienten durchgeführt. Diese Isotope werden ebenfalls in einem ringförmigen Teilchenbeschleuniger erzeugt. Dieser sogenannte Synchrotron ist das Herzstück der Einrichtung – und sehr energieintensiv.

Der Gesamtverbrauch von Medaustron beträgt zwar weniger als ein Hundertstel des Cern, aber immer noch rund elf Gigawattstunden pro Jahr. Gut acht Prozent davon werden von einer neuen Photovoltaikanlage gedeckt, der größten in Wiener Neustadt. Eine Erweiterung dieser Anlage für 2023 ist geplant, "aber eine völlige Autarkie der Stromversorgung ist durch die Energieanforderungen des Teilchenbeschleunigers nicht möglich", heißt es auf Nachfrage des STANDARD. "Aktuell sind wir von einer Erhöhung der Energiekosten um das Fünffache betroffen", ergänzt die Medaustron-Geschäftsführung.

Eine Kalkulation für das kommende Jahr sei "herausfordernd, aber wir haben verschiedene Szenarien durchgerechnet und sind dabei, mit unseren Eigentümern eine Strategie festzulegen, um, soweit möglich, vernünftig zu planen und die Kostenbelastung abfedern zu können". Im Moment seien am Medaustron aber keine Einschränkungen im Betrieb der Beschleunigeranlage und damit für den Patientenbetrieb und die Forschungstätigkeiten geplant.

Verdoppelte Betriebskosten

Doch nicht nur der Betrieb von Teilchenbeschleunigern, auch der von Supercomputern ist energieintensiv. Österreichs leistungsfähigster Computer steht an der TU Wien und heißt VSC-5. Das steht für Vienna Scientific Cluster in der fünften Generation. Der VSC-5 besteht aus 770 einzelnen Rechnern und landete beim jüngsten globalen Top-500-Ranking der Supercomputer im Mai bereits auf Platz 301, obwohl er sich noch in der Installationsphase befand.

Die höhere Rechnerkapazität bedeutet aber auch einen höheren Energieverbrauch. Und der Preis dafür hat sich trotz Vorauskäufen schon dieses Jahr deutlich erhöht, sagt der Physiker Heribert Stoeri, seit dem VSC-Beginn 2009 dessen wissenschaftlicher Projektleiter. "Im Vorjahr betrugen die Stromkosten rund eine Million Euro. Heuer werden sie das Doppelte ausmachen."

Dabei wurde bei der Anschaffung des VSC, an dem neben der TU Wien noch fünf weitere österreichische Unis beteiligt sind, auf besondere Energieeffizienz geachtet. Finanziert werden die Mehrkosten aktuell noch durch interne Budgetumschichtungen. Doch irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem das nicht mehr geht, befürchtet Stoeri.

Kein Strom für Innovation?

Beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg hat man ähnliche Sorgen wie in Genf und Wien. Das größte Forschungszentrum dieser Art in unserem Nachbarland hat im Voraus zwar genug Energie für das Jahr 2023 eingekauft. Doch wenn die deutsche Regierung nationale Energiebeschränkungen verhängt, dann kann es passieren, dass diese bereits eingekauften Vorräte nicht genützt werden können, klagt Wim Leemans, Direktor des Desy-Beschleunigerbereichs, im Fachmagazin Science .

Eine Einschränkung des Betriebs würde wichtige Forschungsarbeiten beeinträchtigen. Dazu gehörte am Desy zuletzt die Entschlüsselung des Spike-Proteins von Sars-CoV-2. Aktuell werden dort unter anderem Materialien untersucht, die in Solarzellen und Batterien verwendet werden. Damit könnte es ironischerweise dazu kommen, dass gerade jene Innovationen, die wir zur Bekämpfung der Energiekrise besonders dringend brauchen, durch diese deutlich verlangsamt werden. (Klaus Taschwer, 14.9.2022)