Alexander Van der Bellen war bei der Corona-Demo am vergangenen Samstag in Wien ein Thema. Er war eines der Feindbilder der Demonstrierenden.

Foto: Markus Sulzbacher

Mitten im Rennen um die Bundespräsidentschaft sah sich Alexander Van der Bellen im Sommer 2016 zu einem ungewöhnlichen Schritt gezwungen. Er legte seine Gesundheitsdaten offen. Damit reagierte er auf Falschmeldungen über seinen Gesundheitszustand. Lungenkrebs habe er, Demenz mache sich breit und vieles mehr, hieß es damals. Es waren bewusst gestreute Gerüchte, um Zweifel zu säen. Dahinter steckte eine Kampagne, die aus einem Playbook, einem Leitfaden, für Desinformation eines Geheimdienstes stammen könnte.

Demenz und Lungenkrebs

Über Van der Bellens angebliche gesundheitliche Probleme berichtete damals als Erstes der rechtsextreme Blog "Politcally Incorrect", der in Deutschland beheimatet ist. Dort ist ein Beitrag mit einem anonymen Brief an das Bezirksgericht Wien Innere Stadt erschienen, in dem die Sachwalterschaft von Alexander Van der Bellen angeregt wurde. Begründung: Er habe Demenz und werde wegen Lungenkrebs behandelt, hieß es darin. Der Brief sei echt, bestätigte später das Bezirksgericht, aber so einen Brief "könne jeder schreiben".

Brief war das Stück vorgebliche Wahrheit, das die Erzählung brauchte

Trotzdem hat der Brief seinen Zweck erfüllt. Gerüchte über den angeblichen Gesundheitszustand Van der Bellens gab es zwar schon zuvor, aber er war nun das Fundament der Geschichte, die von "Politically Incorrect" erzählt wurde. "Österreich: Demenz-Gerüchte um Van der Bellen", lautete die Schlagzeile des Blogs, der auf den ersten Blick wie eine typische Nachrichtenseite daherkommt. Zur vermeintlichen Untermauerung der Story wurde der Brief auch noch zum Download bereitgestellt. Jede und jeder konnte das Schreiben lesen. Der Brief war das Stück vorgebliche Wahrheit, das die Erzählung brauchte.

"Rosenkranz statt Van der Bellen" wurde am vergangenen Samstag in Wien bei der Corona-Demo gefordert.
Foto: Markus Sulzbacher

Nachdem der Artikel veröffentlicht worden war, fand er rasant seinen Weg zu Facebook und Twitter, wo sich die Gegnerinnen und Gegner von Van der Bellen darauf stürzten und ihn teilten. Über diesen Weg wurden am Ende hunderttausende Personen erreicht. Manche haben nur die Überschrift "Österreich: Demenz-Gerüchte um Van der Bellen" gelesen.

Der Artikel von "Politically Incorrect" platzte in eine politisch enorm aufgeladene Zeit, in der eine erneute Stichwahl zwischen dem ehemaligen Grünen-Chef Van der Bellen und dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer anstand.

FPÖ trat für Obdachlose ein

Unterschiedlicher konnten die beiden Kandidaten nicht sein, in einer Zeit, in der der Umgang mit den zahlreichen Geflüchteten aus Syrien das beherrschende Thema war. Die Freiheitlichen konnten die erste Stichwahl erfolgreich anfechten, die Hofer äußerst knapp verloren hatte. Die Freiheitlichen setzten in der Wahlauseinandersetzung alles daran, Hofer zum Präsidenten zu machen. Dafür wurden Obdachlose mit Sachspenden versorgt oder zeitweise sogar die Rechte der LGBTQ+-Community hochgehalten. Nicht nur Journalistinnen und Journalisten kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Niemand hatte damit gerechnet, dass die FPÖ so über ihren Schatten springt.

Zeitgleich hatte "mindestens halb Österreich" schon vom dem Gerücht gehört, der ältere Zigarettenraucher Van der Bellen habe Lungenkrebs und sei dement. Damit hatte die perfide Kampagne ihr Ziel erreicht. Mit der Kampagne sollten wohl Zweifel bei unentschlossenen Wählerinnen und Wähler geweckt werden. Sie sollten sich die Frage stellen, ob Van der Bellen wirklich der Richtige für das höchste Amt im Staat sei.

"Ein schädliches Ausmaß für unsere Demokratie"

Van der Bellens Wahlkampfteam tat sich anfangs schwer damit, mit den Gerüchten umzugehen. Beteuerungen, Dementis und selbst eine für Medien inszenierte Bergwanderung Van der Bellens brachten sie kaum zum Verstummen. Dies gelang erst, nachdem die Befunde offengelegt wurden, die Van der Bellen eine gute Verfassung bescheinigten. Und sie wurden verstärkt zum Thema gemacht. Der damalige Wahlkampfmanager Lothar Lockl erklärte damals die Beweggründe für die Veröffentlichung der Befunde: "Der Wahlkampf hat an Härte zugenommen, der so längst ein schädliches Ausmaß für unsere Demokratie erreicht hat. Deshalb: bis hierher und nicht weiter."

Artikel noch immer online

Begünstigt wurde die Desinformationskampagne auch dadurch, dass rechtlich gegen "Politically Incorrect" nur schwer vorgegangen werden konnte. Die Seite hat nicht einmal ein ordentliches Impressum, auf dem eine Anschrift des Blogbetreibers zu finden sein sollte. Der Artikel und der Brief über den angeblichen Gesundheitszustand des österreichischen Staatsoberhauptes sind heute noch online abrufbar.

In der aktuellen Wahlauseinandersetzung wird derzeit übrigens versucht, das Alter Van der Bellens zu einem Thema zu machen. Er sei schon viel zu alt für das Amt, lautet die Botschaft, die von rechten Politstrategen, Bloggern und Influencern getrommelt wird.

Feindbild

Bei der Corona-Demonstration am vergangenen Samstag in Wien war Van der Bellen eines der Feindbilder der Rechtsextremen und Anhänger und Anhängerinnen von Verschwörungsmythen. (Markus Sulzbacher, 17.9.2022)