Für die aufgegriffenen Flüchtlinge steht für deren Befragung in Tirol derzeit so gut wie keine Infrastruktur zur Verfügung, abgesehen von diesem Raum.

Foto: DER STANDARD / Steffen Arora

In dem Raum sind einige Bierbankgarnituren aufgestellt. Ein neuer Wartebereich befindet sich laut Innenministerium in Umsetzung.

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Eine Gruppe junger Männer steht verloren an der Bushaltestelle vor der Justizanstalt Innsbruck, im Westen der Stadt. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan und Indien, wie sie sagen. Vor wenigen Tagen wurden sie im Burgenland von der Polizei aufgegriffen, mit einem Zugticket ausgestattet und hier zu einem Gebäude im Wald direkt hinter dem Gefängnis geschickt. Aber wieso?

Seit Monaten steigen die Asylantragszahlen in Österreich, mehr als 60.000 sind es seit Anfang des Jahres. Die meisten Menschen kommen im Osten an, die Behörden dort sind gefordert und die Bundesquartiere überfüllt. Zur Entlastung der burgenländischen Behörden sollen sogenannte Erstbefragungen auch in anderen Bundesländern stattfinden. Dafür lässt man die Betroffenen seit einem Erlass von Anfang August nicht mehr mit Bussen zur Befragung fahren, sondern erlaubt ihnen die eigenständige Anreise.

16 Personen pro Tag

Waren es heuer bis Ende Juli 89 Asylsuchende, die mit Bussen nach Tirol kamen, sind es jetzt laut Fremdenpolizei Tirol durchschnittlich 16 Personen pro Tag, die in Tirol für die rund einstündige Erstbefragung anreisen.

Das spüren auch die Anrainerinnen und Anrainer nahe der Justizanstalt in Innsbruck. Manche Menschen seien zu ihren Häusern gekommen und hätten um ein Stück Brot oder eine warme Jacke gebettelt. Sie hätten Hunger und wüssten nicht, wo sie die Nacht verbringen sollen, heißt es. Einige von ihnen haben in den vergangenen Tagen in der Unterführung vor dem Gefängnis geschlafen und gegen die Kälte ein Feuer gemacht. Anrainer riefen die Polizei.

Campieren am Gelände verboten

Abseits der Büros, in denen die Erstbefragungen durchgeführt werden, gibt es praktische keine Infrastruktur für die Menschen, die quer durch Österreich hierher beordert werden. Von acht bis 16 Uhr werden Interviews durchgeführt, heißt es am Aushang vor dem Gebäude. Campieren am Gelände ist verboten, steht zusätzlich auf der Tür.

Einige der Asylsuchenden, die nach ihrem Aufgriff im Burgenland nach Tirol geschickt werden, stehen vor verschlossenen Türen.
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Harald Baumgartner, Chef der Tiroler Fremdenpolizei, sagt, dass Menschen bei der Befragung mit Wasser versorgt werden und bei Bedarf auch ein Essen anfordern können, für die Ersteinvernahme aber keine reguläre Verpflegung vorgesehen sei. In die Grundversorgung kommen sie erst, wenn sie in einem sogenannten Verteilerquartier angekommen sind. Nach der Befragung in Innsbruck werden sie auch auf ein solches verwiesen. Die Antragstellenden erhalten ein weiteres Zugticket mit einer Adresse eines Zentrums. Das nächstgelegene ist in Salzburg, viele werden aber wieder nach Traiskirchen oder Baden geschickt.

Hoffnung auf Weiterreise?

Warum diese Menschen für eine rund einstündige Befragung durch das ganze Land hin- und hergeschickt werden, lässt sich auf den ersten Blick nicht nachvollziehen. Fakt ist, dass sich die derzeit hohen Antragszahlen nicht direkt in den Zahlen der Grundversorgung widerspiegeln. So gab es in den vergangenen zwei Wochen rund 7000 Asylanträge, aber nur etwas mehr als 500 zusätzliche Grundversorgungsbezieher. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sehr viele Menschen zwischen dem ersten Aufgriff und ihrem eigentlich vorgesehenen Eintritt in staatliche Versorgungsstrukturen behördlich verloren gehen.

Es ist kein Geheimnis, dass viele der in Österreich Aufgegriffenen gar nicht im Land bleiben, sondern weiterreisen wollen. Wird man nach dem Aufgriff mit Bussen zu Quartieren gebracht, ist das unmöglich. Reist man auf eigene Faust durch das Land und in der Folge weiter, fragt niemand nach. Abgesehen von Menschen aus Syrien oder Afghanistan sind die Chancen auf Asyl bei vielen Neuankömmlingen aus Indien oder Tunesien gering.

Frage nach Zuständigkeit

Hinzu kommt, dass zwar die Bundesquartiere quasi überfüllt sind, die Länder aber ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. So ist besonders Tirol säumig, was die Quotenerfüllung betrifft. Natürlich ist auch Tirol erst für Quartiere im laufenden Asylverfahren zuständig, nicht aber für jene, die noch nicht in der Grundversorgung sind. Wer also für die Menschen zuständig ist, die durch das Land geschickt werden, bleibt offen.

Konkret bedeutet das für einige der Männer in Innsbruck, dass auch sie nicht wissen, wo sie übernachten sollen. In den vergangenen Tagen scheiterten Versuche von Freiwilligen und dem Innsbrucker Gemeinderat Mesut Onay (Alternative Liste), sie in einem Flüchtlingsheim unterzubringen. Sie hätten keinen offiziellen Status, hieß es dort. Sie mussten in die Notschlafstelle.

An Betonwand verewigt

Andere hatten kein Glück und auch kein Geld mehr, um den Bus in die Stadt zu bezahlen. Sie übernachten in der Unterführung und dürften nicht die ersten sein: An der Betonwand haben sich Menschen aus verschiedenen Ländern verewigt.

Auf die Situation in Tirol angesprochen, kündigte das Innenministerium am Dienstnachmittag an, ein Wartebereich befinde sich "in Umsetzung". Dass Personen vor Ort auch campieren, werde von der Tiroler Polizei aber nicht bestätigt.

Für die aufgegriffenen Flüchtlinge steht in Tirol derzeit so gut wie keine Infrastruktur zur Verfügung, abgesehen von diesem Raum. (Steffen Arora, Irene Brickner, Laurin Lorenz, 14.9.2022)