Ein 26-jähriger Autolenker liefert sich ein Straßenrennen und rast bei Rot über die Kreuzung. Dabei kracht er in das Fahrzeug einer unbeteiligten Frau, die wenig später verstirbt. Die Szenen, die sich vergangenen Sonntagabend auf der Wiener Ringstraße abspielten, lassen einen fassungslos zurück. Wieder einmal forderte der Straßenverkehr ein unnötiges Opfer. Dieses Mal sitzt der Schock aber besonders tief.

Bereits kurz nach dem Vorfall forderten mehrere Juristinnen und Journalisten eine Verschärfung des Strafrechts: Autofahrer, die sich illegale Straßenrennen liefern und dabei unschuldige Passantinnen und Passanten töten, sollten nicht nur wegen grob fahrlässiger Tötung, sondern wegen Mordes bestraft werden. Andere verlangten einen neuen Tatbestand für Straßenrennen im Strafgesetz.

Unser Verkehr muss von Grund auf neu gedacht werden.
Foto: APA/dpa/Peter Kneffel

Was sich wie ein Ruf nach Anlassgesetzgebung anhört, ist im aktuellen Fall berechtigt. Denn ein Blick auf Berichte der vergangenen Tage zeigt, dass der Vorfall auf dem Schottenring nur die Spitze des Eisbergs ist: Erst Anfang September soll ein 21-Jähriger mit bis zu 160 km/h über den Ring gerast sein. In der Nacht auf Montag lieferte sich ein ebenfalls 21-Jähriger eine Verfolgungsjagd mit der Polizei und preschte mit 110 km/h durch eine Tempo-30-Zone in Kaprun. In den allermeisten Fällen sind es junge Männer, die unter Einfluss von Alkohol und Testosteron den Verstand verlieren und ihr Auto zur Waffe machen.

Der aktuelle Fall in Wien empört deshalb zu Recht – und er wird hierzulande eine Diskussion auslösen, die es in Deutschland bereits gab: Als 2016 ein Raser bei einem Straßenrennen auf dem Kurfürstendamm in Berlin einen Pensionisten tötete, verurteilte ihn ein Gericht wegen Mordes. Die Entscheidung war allerdings umstritten: Nehmen Raser tatsächlich in Kauf, dass andere Menschen sterben, und begehen damit vorsätzlich einen Mord?

Verwaltungsdelikt

In Deutschland mündete die Debatte 2017 in einen neuen Straftatbestand. Illegale Autorennen gelten seither nicht mehr nur als Verwaltungsdelikt, sondern sind auch vom gerichtlichen Strafrecht erfasst. Wer Menschen gefährdet oder tötet, dem drohen bis zu zehn Jahre Haft. Die Debatte, ob Staatsanwältinnen in solchen Fällen Mordanklage erheben sollen, hat sich damit erledigt.

Auch für Österreich wäre das ein gangbarer Weg. Private Straßenrennen sind nach aktueller Rechtslage freilich verboten. Sie gelten in der Straßenverkehrsordnung (StVO) als Verwaltungsdelikt. Und auch das Strafrecht bietet Handhabe: Wenn Menschen getötet werden, kommen neben grob fahrlässiger Tötung auch Vorsatzdelikte wie Körperverletzung mit Todesfolge infrage.

Ein eigener, neuer Tatbestand hätte aber Vorteile: Der Beweis, dass Raser vorsätzlich Menschen verletzen oder töten, ist in der Praxis schwierig. Oft bleibt nur die grob fahrlässige Tötung übrig, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet wird. Täter kommen damit vergleichsweise glimpflich davon. Ein eigenes Delikt würde den Beweis erleichtern und eine praktische Lücke schließen.

Das Strafrecht darf freilich nicht der einzige Lösungsansatz bleiben. Unser Verkehrssystem ist noch immer darauf ausgelegt, schwächere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrerinnen oder Fußgänger systematisch zu benachteiligen. Auch wenn die getötete Frau im aktuellen Fall selbst in einem Auto unterwegs war – unser Verkehr muss von Grund auf neu gedacht werden. (Jakob Pflügl, 13.9.2022)