Eigentlich wollte Präsidentschaftskandidat Michael Brunner das Interview absagen. Denn dem Rechtsanwalt und Chef der Impfskeptikerpartei Menschen – Freiheit – Grundrechte gefalle es nicht, wie er im STANDARD dargestellt werde. Am Ende lud er doch in seine Kanzlei in der Wiener Wollzeile ein. Mit der Bedingung, das Gespräch aufzeichnen zu dürfen. Brunners Büro sicherte zu, "das Tonband" nicht zu veröffentlichen.

Glaubt nicht, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer möglichen Stichwahl siegreich wäre: Kandidat Michael Brunner.
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STANDARD: Sie versprechen, dass Sie als Bundespräsident umgehend die amtierende Bundesregierung entlassen würden, etwa weil Sie mit deren Corona-Maßnahmen nicht einverstanden sind. Aber was passiert dann?

Brunner: Ich gehe davon aus, dass die Regierung wie üblich dem neu gewählten Bundespräsidenten ihre Demission anbieten wird – ich würde sie annehmen. Sollte sie das nicht tun, kann der Bundespräsident eine Regierung bestellen, etwa aus höchsten Beamten oder anderen qualifizierten Personen.

STANDARD: Wer säße denn in Ihrer Übergangsregierung?

Brunner: Das kann ich jetzt nicht sagen. Das entscheidet man dann, wenn es so weit ist. Dann wird man mit allen politischen Verantwortungsträgern Gespräche führen.

STANDARD: Sie müssten sich um eine Regierung bemühen, die nicht tags darauf per Misstrauensvotum des Nationalrats abgewählt wird. Dort brauchen Sie eine Mehrheit, können aber mit keiner Partei so recht. Sie halten selbst FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz für einen "Systemkandidaten", der Ihnen wohl noch am nächsten steht. Wie soll das funktionieren?

Brunner: Diese Regierung muss nicht von der Mehrheit des Parlaments getragen sein. Wir haben in Österreich auch eine Minderheitsregierung gehabt. Ich gehe aber davon aus, dass das ohne Schwierigkeiten erfolgen wird: Die Regierung wird abberufen, man sieht, dass Neuwahlen notwendig werden, und es kommt dazu. Ich gehe nicht davon aus, dass hier ein Machtkampf entstehen wird. Selbst wenn das der Fall sein sollte, gibt es die Möglichkeit, dass die Übergangsregierung den Vorschlag an den Bundespräsidenten richtet, den Nationalrat aufzulösen – dann gibt es Neuwahlen.

STANDARD: Wenn man eine neue Regierung einsetzt, die davon ausgeht, dass sie keine Mehrheit im Nationalrat hat, und diesen auflöst, ehe er einen Misstrauensantrag stellen kann, grenzt das doch an einen Staatsstreich.

Brunner: Das ist sicherlich kein Staatsstreich. Das Ziel ist es, Neuwahlen im Sinne der Verfassung zu initiieren. Mit dieser Vorgangsweise hält sich der Bundespräsident ja nur an die Verfassung.

STANDARD: Sie denken auch ein EU-"Ausstiegsszenario" für Österreich an. Laut Wifo würde das heimische Bruttoinlandsprodukt dadurch dauerhaft um acht Prozent bzw. mehr als 30 Milliarden einbrechen. Wie wollen Sie das in Zeiten einer Krise erklären?

Brunner: Ich kenne die Zahlen nicht. Diese Zahlen müssen von tatsächlich unabhängigen Experten geprüft werden. Wir haben durch die verfehlte Corona- und Sanktionspolitik eine riesige Inflationsrate, nicht wegen eines Austrittsgedankens. Wir sind in der Armutsfalle gelandet. Wir müssen rasch Maßnahmen setzen. Eine ist für mich ein Austritt, wenn er vom Volkswillen getragen ist.

STANDARD: Sie wollen also eine Volksbefragung dazu?

Brunner: Natürlich. Aber zunächst einmal müssen die Bürger entsprechend informiert werden – nicht nur einseitig wie jetzt.

Brunner geht davon aus, dass nach einer möglichen Entlassung der amtierenden Bundesregierung im Nachgang "kein Machtkampf" entstehen würde.
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STANDARD: Sie treten auch dafür ein, die Sanktionen gegen Russland zu beenden. Dazu sind EU-Mitgliedsstaaten allerdings verpflichtet. Eine Ausnahmeregelung bedürfte der Einstimmigkeit in der Union. Das ist nicht realistisch. Das, was Sie versprechen, ist also gar nicht möglich.

Brunner: Ich sehe das nicht so. Es muss von der Bundesregierung rechtlich geprüft werden, ob sich durch die Energiekrise die Grundlagen erheblich geändert haben und juristisch ausgedrückt ein Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben ist. Als Bundespräsident kann man nur Empfehlungen abgeben. Aber man kann hier einmal eine breite öffentliche Diskussion entfachen.

STANDARD: In der ORF-Sendung "Im Zentrum" sprachen Sie zuletzt von einer "Welle von Impftoten". Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen führt 290 gemeldete Todesfälle in zeitlicher Nähe an – bei mehr als 19 Millionen verabreichten Impfungen. Wieso sollte Ihnen jemand trauen?

Brunner: Woher nehmen Sie diese Zahlen?

STANDARD: Vom zuständigen Amt.

Brunner: Es ist erwiesen, und die Medien, auch Systemmedien wie DER STANDARD, können es nicht mehr verschweigen, dass wir eine Übersterblichkeit und einen Geburtenrückgang haben, besonders in jenen Ländern, in denen besonders geimpft wurde. (Anmerkung der Redaktion: Brunner verweist auf Zahlen der EU-EMA und US-Vaers – es handelt sich hierbei lediglich um Verdachtsfälle – und eine angeblich niedrige Rate bei den Einmeldungen.)

STANDARD: Ich halte mich an Zahlen des Bundesamtes.

Brunner: Was sagt das Bundesamt?

STANDARD: 290 gemeldete Fälle.

Brunner: Das ist eine Meinung des Bundesamtes.

STANDARD: Das ist keine Meinung.

Brunner: Es ist eine Meinung, die widerlegt ist. An staatliche Institutionen können Sie sich nach den letzten Jahren nicht halten. Da ist alles verfälscht worden.

STANDARD: Wenn Sie als Präsidentschaftskandidat nicht mehr an staatliche Institutionen glauben: Ist das dann das richtige Amt für Sie?

Brunner: Ich glaube an staatliche Institutionen, die von glaubwürdigen Experten betrieben werden und von Entscheidungsträgern, die nicht politisch motiviert sind.

STANDARD: Aber Sie kennen doch das besagte Bundesamt.

Brunner: Ich kenne diese Zahlen nicht. Man müsste hinterfragen, wie man zu diesen Zahlen kommt. Eine Welle von Impftoten habe ich Ihnen gerade nachgewiesen.

STANDARD: Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, dass Sie Bundespräsident werden?

Brunner: Ob ich Bundespräsident werde oder in die Stichwahl komme, wird das Wahlergebnis zeigen. Wenn ich in die Stichwahl komme, gehe ich davon aus, dass Van der Bellen (Alexander, Anm.) keine zweite Amtsperiode haben wird. Das gilt aber wohl auch für die anderen Kandidaten, wenn sie in die Stichwahl kommen. (Jan Michael Marchart, 15.9.2022)