Diskussionen über die Beschränkung von Bargeld lassen in Österreich die Wogen hochgehen. Der Buchautor Brett Scott attestiert Österreich deswegen eine "Vorbildrolle". In seinem Buch Cloud Money beschreibt er, wie Konzerne ihre Agenden den Konsumenten umhängen und kulturellen Druck ausüben. Er glaubt allerdings an die Rückkehr des analogen Zahlungsmittels.

STANDARD: Wie viel Bargeld haben Sie im Schnitt bei sich?

Scott: Um die 120 Euro. Ich verweigere unbares Zahlen und digitale Systeme ja nicht völlig, allerdings bewegen wir uns in eine gefährliche Richtung.

STANDARD: Wen oder was fürchten Sie konkret?

Scott: Vor zehn Jahren kamen die größten und reichsten Firmen aus der Öl- oder Finanzbranche. Heute sind es Tech-Giganten. Sie kooperieren immer stärker mit Finanzfirmen und bauen ihre Macht aus, das ist gefährlich. Bargeld steht ohnehin unter Druck und wird durch solche Allianzen noch erodiert.

Brett Scott verweigert sich nicht digitalen Entwicklungen. Er mahnt jedoch zur Vorsicht, dass wir uns beim Zahlungsverkehr nicht zu sehr den großen Tech-Unternehmen ausliefern.
Foto: Münze Österreich, Lea Fabienne Doerl

STANDARD: Entscheiden nicht die Menschen, wie sie zahlen möchten?

Scott: Nicht unbedingt. Das Narrativ lautet, dass die Konsumenten wegwollen vom Bargeld, doch das stimmt nur teilweise. Große Konzerne machen sich dafür stark, dass Veranstaltungen oder Geschäfte nur Cashless-Systeme anbieten. Wahl hat man dann oft keine mehr. Das ist auch keine Verschwörungstheorie, es passiert vor unseren Augen. In Österreich und Deutschland aktuell noch weniger, aber in London zum Beispiel ist die Situation schon völlig außer Kontrolle, bar bezahlen ist dort kaum noch möglich. So etwas passiert nicht von heute auf morgen, das ist ein jahrzehntelanger Prozess.

STANDARD: Leisten die Visa- und Mastercards dieser Welt so gute Lobbyarbeit?

Scott: Diese Unternehmen müssen nicht lobbyieren, sie geben den Ton in vielen Ländern schon an. Da braucht es keine geheimen Meetings mit Politikern. Visa etwa hat einen Deal mit der NFL, beim Superbowl kann nur noch cashless bezahlt werden. So etwas hat eine enorme kulturelle Signalwirkung. Was die NFL macht, kommt an. Somit denken unzählige Menschen in den USA, sie hinken hinterher, wenn sie nicht auch auf ein unbares Zahlungssystem umsteigen. Doch auch auf Regierungen lastet Druck, in die Richtung mitzuziehen. Alle wollen mit schnellen Entwicklungen mithalten, niemand will von der Weltwirtschaft ausgeschlossen oder gar als "rückständig" gelten.

STANDARD: Glauben Sie, dass solche gesammelten Daten dann gegen uns verwendet werden könnten. Dass zum Beispiel jemand, der oft zur Apotheke geht, mehr Versicherung bezahlen muss, weil er vielleicht krank ist?

Scott: Absolut. Finanzdaten können eine große Hilfe bzw. Hürde für jeden sein, der Profile von Menschen erstellen möchte. Ob jemand Zugang zu etwas bekommt, wird anhand von Datensätzen entschieden. Egal ob beim Staat oder Unternehmen, das ist der Big-Brother-Stil. Daneben gibt es den Big Butler. Große Tech-Konzerne schlagen einem automatisiert Dinge vor, die einem als nützlich oder hilfreich vorkommen. In Wahrheit ist das Manipulation, um dich in eine Richtung zu lenken.

STANDARD: Soll der technische Fortschritt demnach stoppen?

Scott: Nein, die Welt und neue digitale Systeme entwickeln sich, dagegen sage ich auch nichts. Aber nur weil Neues kommt, muss Beständiges nicht verschwinden. Bargeld gehört geschützt, und wir dürfen uns nicht noch mehr Konzernen ausliefern. Angenommen, wir lebten in einer Welt mit ausschließlich Fahrrädern als Transportmitteln. Dann freut man sich, wenn es plötzlich Autos gibt. Wenn dann aber die Autoindustrie gegen Fahrräder arbeitet und sie loswerden will, weil Räder veraltet sind und Platz brauchen, wird die Sache zum Problem.

Als Digitalisierungsgegner sieht sich Brett Scott nicht, er möchte aber um jeden Preis das Bargeld erhalten.
Foto: Münze Österreich, Lea Fabienne Doerl

STANDARD: Sie bezeichnen Barzahlungen als Akt Widerstands, wie meinen Sie das genau?

Scott: Bar zahlen ist politischer Widerstand. Cash-Zahlungen passieren zwischen zwei Parteien, ohne Daten, ohne zwischengeschaltete Institution oder Firma. Wofür Menschen ihr Geld ausgeben, ist nicht nur für Konzerne interessant, sondern auch für Regierungen. Da geht es nicht um große Anschaffungen wie einen Wohnungs- oder Autokauf, kleine Zahlungsströme sagen viel über das Verhalten einer Bevölkerung aus.

STANDARD: Was halten Sie von Bargeldobergrenzen?

Scott: Gibt es einmal ein solches Limit, wird die Summe laufend nach unten korrigiert. Griechenland ist das beste Beispiel. Ich verstehe die Debatte bezüglich Schwarzgeld etc., aber in Wahrheit wird Bargeld durch solche Limits nur weiter geschwächt.

STANDARD: Für Schwarzarbeit und Geldwäsche ist Bargeld essenziell. Ist das ein kollateraler Preis, der für eine gewisse Freiheit zu zahlen ist?

Scott: Der Großteil der Menschen nutzt Bargeld nicht dafür. In einer Cashless Society wird es genauso Verbrechen geben, außerdem findet Cybercrime bereits jetzt größtenteils digital statt.

STANDARD: Glauben Sie, dass wir in 50 Jahren noch mit Bargeld bezahlen werden?

Scott: Ja. Geopolitische Risiken und Naturkatastrophen nehmen zu. Rast ein Hurrikan auf die USA zu, wollen die Leute vermehrt Cash. Ich glaube an die Rückkehr des Analogen, ohne trotzdem auf digitalen Fortschritt verzichten zu müssen. (Andreas Danzer, 21.9.2022)