Der Sarg der Königin verließ den Palast.

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Tausende Trauergäste säumten den Weg.

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König Charles III. und seine Schwester Prinzessin Anne, die seit dem Tod der Queen nicht von der Seite des Sargs gewichen ist.

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Zum letzten Mal hat die verstorbene Queen Elizabeth II. ihren ungeliebten Londoner Buckingham Palace verlassen. Begleitet von ihren Kindern und nahen Verwandten, angeführt von König Charles III., sowie den wichtigsten Mitarbeitern wurde der Sarg am Mittwochnachmittag auf einer Lafette der königlichen Artillerie zum Parlament gefahren. In dessen ältestem Teil, der Westminster Hall, haben die Briten bis zum Montag Gelegenheit, ihrer toten Königin die Ehre zu erweisen. Die Organisatoren erwarten Hunderttausende – schon jetzt ist von einer zehn Kilometer langen Schlange mit bis zu 30 Stunden Wartezeit die Rede.

Sonor erklang jede Minute die Totenglocke von Big Ben, dem vor zehn Jahren in Elizabeth Tower umbenannten Glockenturm des Parlaments. Unter klingendem Spiel einer Militärkapelle geleiteten die Soldaten der Grenadiergarde, mit roten Uniformjacken und pechschwarzen Bärenfellmützen, ihre tote Oberbefehlshaberin. Auf dem Sarg glitzerten in der milden Septembersonne die Diamanten der kaiserlichen Staatskrone, die erstmals 1937 George VI, der Vater der Queen, für seine Krönung getragen hatte.

Die feierliche Prozession wird Ältere an den Abschied von der tödlich verunglückten Prinzessin Diana vor 25 Jahren erinnert haben. Während damals ausschließlich männliche Familienmitglieder hinter dem Sarg schritten, vertrat diesmal Prinzessin Anne allein das zahlreichere Geschlecht. Die 72-Jährige war am vergangenen Donnerstag im Sommerschloss von Balmoral am Sterbebett gewesen, als die Queen 96-jährig verstarb. Auf der langen Reise von den schottischen Highlands zunächst nach Edinburgh und schließlich nach London war sie dem Sarg der Mutter nicht von der Seite gewichen.

Geschlossener Sarg im Parlament

Auf dem Weg in die Westminster Hall wurde Anne von ihren Brüdern Charles, Andrew und Edward, ihren Neffen William, dem Thronfolger, und Harry sowie ihrem Mann Tim Laurence und Sohn Peter Phillips begleitet. Leicht verspätet endete die Prozession wie geplant um genau 15 Uhr Ortszeit am Eingang der mehr als 900 Jahre alten Halle, wo der Erzbischof von Canterbury eine kurze Andacht zelebrierte. "Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine" – mit Worten aus Psalm 139 überantwortete die Königsfamilie die Verstorbene der Obhut des Parlaments.

Die öffentliche Zurschaustellung habe ursprünglich die Untertanen vom Tod des Monarchen überzeugen sollen, erläuterte Historikerin Alice Hunt der BBC. In der jüngeren Geschichte wurde der Brauch nach dem Tod Edwards VII. 1910 wiederaufgenommen, wenn auch mit geschlossenem Sarg; dessen Mutter Victoria hatte sich dem Ansinnen verweigert. 1952 standen die Londoner stundenlang im kalten Februarregen, ehe sie am Sarg des Vaters der Queen, George VI., vorbeidefilieren konnten. Fünfzig Jahre später kamen rund 200.000 Briten, um dessen 101-jährig verstorbener Witwe, der Queen Mum, die letzte Ehre zu erweisen.

DER STANDARD

Bedeutung in Nordirland

Als Zeichen der vorsichtigen Modernisierung der Monarchie unter dem neuen Chef hatten diesmal die Schotten als Erste Gelegenheit, sich am Montag und Dienstag persönlich von ihrer Königin zu verabschieden. Charles III. stattete unterdessen am Dienstag dem britischen Teil Irlands einen Besuch ab, wo er von der unionistisch-königstreuen Bevölkerung begeistert empfangen wurde. Als Vertreter der irisch-nationalistischen Nordiren ließen aber auch der Präsident des Belfaster Landtags, Alex Maskey, sowie die Chefin der größten Parlamentsfraktion Sinn Féin, Michelle O’Neill, keinen Zweifel an der Bedeutung der Verstorbenen für die Aussöhnung und den Frieden in der einstigen Bürgerkriegsprovinz.

Die Queen, sagte der einstige Angehörige der irisch-republikanischen Terrortruppe IRA, sei "keine distanzierte Beobachterin" gewesen, sondern habe den Friedensprozess unterstützt. Maskey erinnerte an die beiden letzten Besuche der britischen Monarchin auf der Grünen Insel: Bei einem Staatsbesuch in Dublin hatte Elizabeth II. 2011 ihre Staatsbankettrede mit einigen Worten auf Irisch begonnen und damit ihre Gastgeber in der Republik begeistert. Ein Jahr später gab sie dem früheren IRA-Armeechef, dem mittlerweile verstorbenen Martin McGuinness, die Hand; der Sinn Féin-Politiker hatte mit Maskey und Gerry Adams die Umwandlung der republikanischen Bewegung von der Waffengewalt der IRA zur Teilnahme am demokratischen Prozess wesentlich mitgestaltet.

Am Freitag in Wales

Der sichtlich bewegte König sagte den Nordiren seine Anteilnahme zu. Die politischen Institutionen der Region sind blockiert, weil die größte Unionistenpartei DUP ultimativ eine Abänderung des zwischen dem Königreich und der EU vereinbarten Nordirland-Protokolls verlangt. Darüber sprach Premierministerin Liz Truss am Rande eines Gedenkgottesdienstes in der Belfaster anglikanischen St.-Anna-Kathedrale mit ihrem irischen Kollegen Micheál Martin.

Als letzten seiner Besuche in den vier Parlamenten des Königreichs wird Charles am Freitag den walisischen Senedd in Cardiff besuchen – als ausdrückliche Anerkennung des Monarchen für die Regionalisierung, die das Land im vergangenen Vierteljahrhundert durchlaufen hat. In der Londoner Schlange hingegen waren Menschen aus allen Landesteilen und aus Übersee vertreten. "Sie war 70 Jahre lang für uns da", sprach ein älterer Mann ins BBC-Mikrofon. "Da können wir uns ein paar Stunden Zeit nehmen." (Sebastian Borger aus London, 14.9.2022)