Ein kleines "Prost" mit dem Wasserglas zum Ende der kalten Progression. Das Vorhaben hat den Ministerrat passiert und tritt 2023 in Kraft.

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Die Verhandlungen der Regierung für ein Ende der kalten Progression sind beendet. Am Mittwoch hat das Projekt den Ministerrat passiert. Nun bedarf es noch des parlamentarischen Beschlusses, dann gehört die schleichende Steuererhöhung ab 1. Jänner 2023 der Vergangenheit an.

Mehrere Schritte tragen dazu bei, dass den Österreicherinnen und Österreichern ab kommendem Jahr mehr Netto von ihrem Bruttogehalt bleibt:

  • Steuergrenzen Angehoben werden die Steuergrenzen. Das soll verhindern, dass jene, die eine (meist überschaubare) Gehaltserhöhung bekommen, zu rasch in eine höhere Steuerklasse rutschen. Bisher mussten Steuern erst abgeführt werden, wenn mehr als 11.000 Euro verdient wurden. Ab dem kommenden Jahr bleiben Einkünfte bis 11.693 Euro steuerfrei. Mit 20 Prozent besteuert wird der Gehaltsanteil ab 19.134 Euro (statt bisher 18.000 Euro). 30 Prozent fallen für die Stufe ab 32.075 Euro (statt bisher 31.000 Euro) an. Die vierte Tarifstufe wurde von 60.000 Euro auf 62.080 Euro erhöht, die Steuer dafür beträgt 41 Prozent. Wer 93.120 Euro (statt bisher 90.000 Euro) verdient, muss 48 Prozent abführen, und die Hälfte wird fällig, wenn das Einkommen 93.120 Euro übersteigt. Unverändert bleibt der Spitzensteuersatz von 55 Prozent – er gilt für Einkünfte ab einer Million Euro.
    Die Steuergrenzen (Tarifstufen) werden jährlich um zwei Drittel der jeweiligen Teuerung angehoben. Die im Jahr 2023 auszugleichende Inflation beträgt laut dem Vortrag an den Ministerrat 5,2 Prozent – damit errechnet sich die Anhebung für das kommende Jahr um 3,47 Prozent. Die beiden niedrigsten Tarifstufen werden um 6,3 Prozent angehoben. Als Grundlage für die Ermittlung der jeweils auszugleichenden Inflation gilt die Jahresinflationsrate der Statistik Austria.

Ausgleich

Die kalte Progression beträgt im Jahr 2023 laut einer Berechnung von Wifo und IHS 1,85 Milliarden Euro. Durch die automatische Anpassung im Ausmaß von zwei Dritteln werden 1,23 Mrd. Euro ausgeglichen. Die Differenz von 617 Millionen Euro wird durch folgende Entlastungsmaßnahmen abgegolten:

  • Anpassung Die Absetzbeträge (Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag, Verkehrsabsetzbeträge, Pensionistenabsetzbeträge) samt zugehöriger Einschleifgrenzen und der SV-Rückerstattung werden in voller Höhe der Inflationsrate angepasst – im ersten Schritt erfolgt eine Anhebung um 5,2 Prozent.

In Summe gibt es damit für Bezieher unterer Einkommen eine etwas überproportionale Entlastung, die im kommenden Jahr 617 Millionen Euro betragen wird. Ein Beispiel: Ein Durchschnittspensionist erspart sich mit dem neuen Modell kommendes Jahr 371 Euro. Bis 2026 erhöht sich die Ersparnis laut Finanzministerium auf 3.771 Euro.

Über alle Einkommen gerechnet beträgt die Entlastung durch das Ende der kalten Progression im kommenden Jahr 1,85 Milliarden Euro. Bis 2026 soll sich diese Gesamtentlastung auf rund 20 Milliarden Euro erhöhen. 20 Milliarden, die den Menschen bis dahin in ihren Geldbörseln zugutekommen.

Die Ausgestaltung für die Entlastung im Rahmen von zwei Dritteln war schon länger bekannt. Erst am Dienstag wurde die Einigung über die Verwendung des letzten Drittels bekannt, dass für 2023 eben für die Entlastung der niedrigeren Steuerstufen verwendet wird.

Grundsätzlich gibt es hier keine Bindung für die Regierung, wie sie dieses Geld verwendet. Sie muss jedoch künftig jeweils bis 15. September des Jahres beschließen, was mit dieser Summe gemacht wird.

Meilenstein

Das Ende der kalten Progression wurde am Mittwoch vielerorts gelobt. Als Meilenstein bezeichnete etwa die Industriellenvereinigung die Abschaffung. Es sei im Sinne der Arbeitgeber, dass Mitarbeiter mehr von ihren Löhnen hätten, heißt es. Vergessen worden sei hingegen auf die Agrargemeinschaften, kritisierte die FPÖ Niederösterreich. Sie fordert eine Valorisierung der Freigrenze für Ausschüttungen von Agrargemeinschaften an ihre Mitglieder.

Das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut in Wien weist darauf hin, dass mit dem Wegfall eines Teil der bisherigen Steuereinnahmen auch das Bundesbudget fragiler werde. Zum Ausgleich empfiehlt das Institut, vermögensbezogene Steuern zu erhöhen. Zudem sei die Unterstützung von Haushalten mit niedrigem Einkommen nicht treffsicher. Laut Momentum-Berechnungen blieben Menschen im untersten Einkommensfünftel lediglich 84 Euro pro Kopf pro Jahr mehr, bei den reichsten Haushalten seien es hingegen 492 Euro. Haushalte in der Mitte der Einkommensverteilung erhalten pro (bedarfsgewichteten) Kopf 312 Euro im Jahr mehr.

Nicht in der Verfassung

Das Ende der kalten Progression ist zwar für jetzt fixiert, in der Verfassung wird es jedoch nicht verankert. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) argumentierte das damit, dass man dafür "wegen der dafür notwendigen Zweidrittelmehrheit längere Verhandlungen gebraucht hätte". Man habe aber schon 2023 starten wollen. Ohnehin würden sich künftige Regierungen schwertun, die "schleichende Steuererhöhung" wieder einzuführen – weil damit eindeutig werde, dass den Menschen wieder etwas weggenommen wird. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonte, dass die Maßnahmen für alle wirkten und nicht nur für mittlere und höhere Einkommen. Rutsche Österreich in eine Deflation, löse das keine Anpassung aus und werde auch nicht mit späteren positiven Inflationsraten verrechnet. (Bettina Pfluger, 15.9.2022)