Joe Biden lud in den Garten des Weißen Hauses, um das Paket für Klimaschutz und Soziales zu feiern. Doch die Teuerung trübt die Freude.

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Es hätte ein perfekter Abend werden können. Das wichtige Klimagesetz ist in Kraft getreten, die Umfragewerte bewegen sich wieder nach oben, und der Benzinpreis ist gefallen. Selbst die Regenwolken der Vortage waren einem makellos blauen Himmel gewichen, als US-Präsident Joe Biden am Dienstag mehr als 1.000 geladene Gäste im Garten des Weißen Hauses begrüßte, um seine politischen Erfolge zu feiern und gute Stimmung für die Kongresswahlen zu machen.

Doch draußen im Land wollte keine Partylaune aufkommen. Nachdem das Arbeitsministerium am Vormittag bekanntgegeben hatte, dass die Inflation in den USA im August nur von 8,5 auf 8,3 Prozent gefallen ist – 0,2 Punkte weniger als allgemein erwartet –, machte sich an den Aktienmärkten Panik vor einer weiteren kräftigen Zinserhöhung und einer Rezession breit. Der Dow-Jones-Börsenindex verlor fast vier Prozent – der schlimmste Absturz seit zwei Jahren.

Demonstrativ gute Laune

So richtig freudig klang es auch nicht, als zu Beginn der Feier im Weißen Haus Sänger James Taylor als Überraschungsgast seinen Erfolgshit Fire and Rain anstimmte. Doch Biden zeigte sich vor Abgeordneten und Senatoren, Ehrengästen und Botschaftern sowie hunderten Aktivisten und Unterstützern demonstrativ gutgelaunt. Nachdem er sein Sakko ausgezogen hatte, tigerte er mit dem Mikrofon in der Hand über die Bühne und lobte das Klima- und Steuerpaket als "eines der bedeutendsten Gesetze in der Geschichte des Landes".

Tatsächlich hätte angesichts der Blockadepolitik der Republikaner und der internen Streitereien der Demokraten vor ein paar Monaten kaum ein Beobachter geglaubt, dass es dem Präsidenten gelingen würde, ein Gesetzeswerk durch den Kongress zu bekommen, das gewaltige Investitionen für den Klimaschutz anstößt, die Arzneimittelpreise teilweise deckelt und Steuerschlupflöcher für Konzerne schließt.

Nicht zu Unrecht kann sich Biden also darauf berufen, seine Versprechen zumindest teilweise umgesetzt zu haben. Und tatsächlich haben sich seine bescheidenen Zustimmungswerte zuletzt von 37 auf über 42 Prozent gesteigert.

Fragwürdiges Manöver

Allerdings war es vielleicht etwas überschlau von den Marketingstrategen des Präsidenten, das Klima- und Sozialausgabenpaket offiziell als "Inflationsbekämpfungsgesetz" auszuflaggen, weil mit den erhofften Steuermehreinnahmen irgendwann auch einmal das Staatsdefizit reduziert werden soll.

Dieser politische Etikettenschwindel droht Biden nun, da sich die Teuerung hartnäckiger zeigt als erwartet, auf die Füße zu fallen. Die Republikaner haben das Thema schon ganz oben auf ihre Liste für den Kongresswahlkampf gesetzt.

Allgemein wird erwartet, dass die Demokraten bei den Midterms im November ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren. Biden will aber – ermuntert durch zuletzt günstigere Umfragen – unbedingt die hauchdünne Mehrheit im wichtigeren Senat verteidigen.

"Fortschritte in so einem großen Land zu erzielen ist nicht einfach", warb der Präsident am Dienstag um Verständnis und Geduld: "Aber wir machen Fortschritte." Tatsächlich sehen die Zahlen vom Arbeitsmarkt gut aus. Aber die kräftige Teuerung von Lebensmitteln, Mieten und Gesundheitskosten drückt auf die Stimmung im Land.

Graham sorgt für Unmut

Immerhin können die Demokraten hoffen, dass ihnen der Streit über das vom Verfassungsgericht gekippte Abtreibungsrecht bei den Wahlen hilft. Die von einigen republikanischen Bundesstaaten daraufhin erlassenen rigiden Verbote sind bei der Mehrheit der Bevölkerung unpopulär, und ein überraschender Vorstoß des republikanischen Senators Lindsey Graham für ein US-weites Abtreibungsverbot nach der 15. Woche provozierte am Dienstag Unmut sowohl beim fundamentalistischen als auch beim rechtsliberalen Flügel der Partei.

Dankbar griff das Biden-Lager das Eigentor der Republikaner auf. "Während der Präsident und die Vizepräsidentin sich auf die historische Verabschiedung des Inflationsbekämpfungsgesetzes konzentrieren, sind die Republikaner ganz damit beschäftigt, Millionen amerikanischer Frauen ihre Rechte wegzunehmen", kommentierte Präsidentensprecherin Karine Jean-Pierre.

Wenn nicht alles täuscht, hatte ausgerechnet der Trump-Vertraute Graham völlig unbeabsichtigt am Ende den schwierigen Tag für Biden noch gerettet. (Karl Doemens aus Washington, 15.9.2022)