Der städtische Versorger gehört bald zu den bestgeprüften Unternehmen der Republik.

Foto: REUTERS/LEONHARD FOEGER

Wien – Aus der erhofften Ruhe in der Causa Wien Energie wird nichts. Nun steigen sich Prüfer und Ermittler buchstäblich auf die Füße, denn zu Rechnungshof und Stadtrechnungshof (Kontrollamt) kommen nun auch die Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die den Termingeschäften auf den Zahn fühlen.

Vor wenigen Tagen hatten die von der Stadt Wien beauftragten Berater und Anwälte, PwC, Ithuba und Freshfields den städtischen Versorger vom Vorwurf der "Spekulation" freigesprochen. Heute, Donnerstag, muss dieser Bericht an Finanzministerium und Bundesfinanzierungsagentur Öbfa übermittelt werden, die sich ihrerseits ein Bild machen wollen von den Vorgängen.

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Es sind, wie berichtet, mehrere Sachverhaltsdarstellungen bei den Korruptionsermittlern eingegangen und die Staatsanwälte haben nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es richtet sich gegen unbekannte Täter im Zusammenhang mit Wien Energie und deren umfangreichen Termingeschäften. Die Behörde bestätigte am Mittwochnachmittag einen Bericht der Kronen Zeitung. Konkret ermittelt wird wegen "grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen".

Das zielt auf das große Volumen der Termingeschäfte ab, insbesondere für umfangreiche Stromverkäufe, die die Eigenproduktion des größten regionalen Versorgers in Österreich weit überstiegen. Die drastisch gestiegenen Strompreise Ende August trieben den Bedarf an Sicherheiten (Margins), mit denen Stromverkäufe an den Strombörsen zu hinterlegen sind, in Milliardenhöhe – und überstiegen damit nicht nur die Finanzkraft des Versorgers bei weitem, sondern auch jene seines Mutterkonzerns Wiener Stadtwerke sowie der Stadt Wien.

Notkompetenz

Letztere war im Juli und August bereits mit je 700 Millionen Euro per bürgermeisterlicher Notkompetenz in die Bresche gesprungen, ehe der Bund mittels eines Darlehens im Volumen von zwei Milliarden Euro einspringen musste. Als Gegenleistung hat sich der Bund ausbedungen, die Vorgänge zu überprüfen.

Wien Energie versicherte in einer ersten Reaktion, mit den Behörden vollumfänglich zu kooperieren.

Bis zu zwei Jahre

Kridaträchtig handelt gemäß Strafgesetzbuch, wer entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens einen bedeutenden Bestandteil seines Vermögens zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht, verschleudert oder verschenkt oder durch ein außergewöhnlich gewagtes Geschäft, das nicht zu seinem gewöhnlichen Wirtschaftsbetrieb gehört, durch Spiel oder Wette übermäßig hohe Beträge ausgibt. Ein eine Million Euro übersteigender Befriedigungsausfall seiner Gläubiger ist mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe belegt.

Ob eine grob fahrlässige Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen verwirklicht wurde, steht keineswegs fest. Denn die Drohverluste wurde ja nie realisiert und Stromhandel gehört zum Geschäft eines Versorgers. Es ist aber eine Frage der Dimension. Sofern ausreichend Substrat aufgespürt werden sollte, ist jedenfalls davon auszugehen, dass die WKStA ein Sachverständigen-Gutachten in Auftrag geben wird.


"Keine Spekulation"

Wien Energie bestreitet vehement, "spekuliert" oder das Unternehmen aufs Spiel gesetzt zu haben. Man habe stets eine risikoarme Handelsstrategie verfolgt und im Interesse der Preisstabilität für die Kunden agiert.

Faktum ist, dass Wien Energie die Termingeschäfte seit 2020 sukzessive ausgeweitet hat. 2019 waren zwei Drittel der Jahresproduktion an Strom verkauft worden und alles ist sich wunderbar ausgegangen. 2021 hatten sich die Stromtermingeschäfte laut Finanzbericht nominell verdoppelt (plus 110 Prozent). Eben diese Ausweitung der Stromverkäufe auf Termin ist der Haupttreiber des im August bekannt gewordenen Liquiditätsengpasses, der kurzfristig nur durch staatliche Sicherheiten aufgelöst werden konnte.

Prinzip Hoffnung

Wiewohl Wien Energie die Termingeschäfte auf Stromverkäufe inzwischen sistiert hat: Das Risiko wurde noch nicht eliminiert, es endet nach Abreifen der einzelnen Terminkontrakte, also in der Zukunft bis 2023 oder 2024. Es kommen vorläufig nur keine neuen Risiken hinzu. Saldiert waren allein die Termingeschäfte Strom (Kauf und Verkauf) Ende 2021 mit rund einer Milliarde Euro negativ. 2020 waren es laut Finanzbericht lediglich 62 Millionen Euro gewesen. Das zehrte am Eigenkapital – allein die 1,4 Milliarden Euro an Kautionen seitens der Stadt Wien war doppelt so hoch wie das Eigenkapital von Wien Energie.

Nun regiert das Prinzip Hoffnung. Denn sämtliche Kautionszahlungen kommen erst in voller Höhe zurück, wenn die jeweiligen Stromlieferungen abgewickelt werden – sofern der Preis nicht wieder auf das Niveau vom 26. August 2022 steigt. (Luise Ungerboeck, 14.9.2022)